»Das stimmt«, sagte Nancy. »Ich mußte unbedingt noch eine Zigarette haben, und da sah ich Stanleys Zigarette im Dunkeln glühen und dachte, daß er vielleicht auch eine für mich hätte. Ich ging also an den Zaun und rief, und er gab mir die Zigarette, und dann haben wir noch ein Weilchen herumgestanden und geplaudert und geraucht. Das war, nachdem ich Larry mit seinem Wagen hatte wegfahren sehen.«
»Hast du etwa die Stirn, offen zuzugeben, daß du mit Stanley mitten in der Nacht allein auf der Straße gestanden hast?« rief Mae Walters.
»Jawohl, Mae«, sagte Nancy. »Es ist wohl besser, ich gebe alles zu. Ich habe gesagt, daß wir nur geraucht und geplaudert haben, aber… Junge, haben wir geknutscht! Mitten zwischen den Abfalleimern. Tut mir leid, David, aber ich war einfach hin, als ich Stanley sah.«
»Schon gut«, sagte David. »Jeder Mensch hat hin und wieder das Recht auf einen kleinen Ehebruch.«
»Verdammt, jetzt reicht’s mir aber!« protestierte Stanley. »David, du weißt ganz genau, daß nichts dergleichen vorgefallen ist. Ehrenwort, Mae!«
»So?« sagte Mae zweifelnd. »Das muß ich mir aber erst noch mal gründlich überlegen.«
»So, und jetzt Schluß mit den Albernheiten«, sagte Masters. »Mrs. Howell, wieviel Uhr war es, als Sie Larry Connor das Haus verlassen sahen?«
»Genau kann ich das nicht sagen, aber es muß so ungefähr Mitternacht gewesen sein. Gegen elf waren David und ich von der Party zurückgekommen. Dann haben wir noch ein wenig miteinander geredet, dann ist David eingeschlafen und ich bin nach draußen gegangen. Eine Weile habe ich auf den Haustürstufen gesessen, und dann bin ich herumgewandert. Als ich bei der Einfahrt der Connors war, wurde die Garagentür plötzlich geöffnet, und Larry fuhr seinen Wagen heraus.«
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Ja.«
»Wirkte er aufgeregt?«
»Nein, nur deprimiert. Er meinte, was für eine schöne Nacht es sei, mit den vielen Sternen und so, und daß er in die Stadt fahren und in seinem Büro übernachten werde. Er sagte, hoffentlich vergäße ich nicht, was er mir auf der Party von sich und Lila erzählt habe, weil er wolle, daß ich die Wahrheit kenne.«
»Mehr nicht?«
»Mehr nicht.«
»Sagten Sie nicht, daß Sie heute nachmittag auf der Suche nach ihm in sein Büro gefahren sind?«
»Richtig. David und Jack waren Golf spielen gegangen, und ich hatte nichts zu tun. Da bin ich zu Larrys Büro gefahren. Vorder- und Hintertür waren verschlossen, und auf mein Klopfen bekam ich keine Antwort. Wie ich schon sagte, fand ich jedoch seinen Wagen auf dem Parkplatz in der Seitenstraße. Ich nahm an, daß er irgendwo in der Nähe sei. Ich muß aber zugeben, daß ich das jetzt bezweifle.«
»Ich ebenso. Trotzdem, das mit dem Wagen ist merkwürdig. Wenn er sich davonmachen wollte, warum hat er ihn nicht mitgenommen?«
»Ich habe keine Ahnung. Vielleicht kriegen Sie den Grund heraus?«
Masters wandte sich an Jack Richmond. »Und jetzt zu Ihnen, Doktor. Sind Sie sofort zu Bett gegangen?«
»Leider nein«, sagte Jack. »Ich wurde zu einer Entbindung gerufen. Das war kurz nach ein Uhr. Es stellte sich heraus, daß sich die Wehen in die Länge zogen, und ich mußte etwa zwei Stunden im Krankenhaus warten, bis ich die Patientin entbinden konnte. Als ich nach Hause kam, bin ich todmüde ins Bett gefallen. Und hier, fürchte ich, habe ich dann nichts mehr bemerkt, was meine Neugier erweckt hätte, wenn’s das ist, was Sie wissen wollen.«
»Genau. Vielen Dank, Doktor.«
Um die Hausecke herum erschien jetzt der Coroner, gefolgt von zwei Polizisten, einer in Zivil, der andere in Uniform. Masters ging ihnen entgegen. Die Beamten verschwanden im Haus, und Masters kam auf die Terrasse zurück.
»Das wäre im Augenblick alles«, sagte Masters. »Sie alle haben aufregende Stunden hinter sich. Am besten gehen Sie wohl nach Hause und ruhen sich aus.«
Er machte kehrt und folgte dem Coroner und den beiden Polizeibeamten, wobei er eine Figur machte, die weder dem Unschuldigen Zuversicht, noch dem Schuldigen Angst einflößen konnte.
7
Eine Stunde später ging er wieder. Der Coroner war bereits fort, und die beiden Polizeibeamten beendeten eben ihre Arbeit und schlossen das Haus ab. Ein langer Sommertag ging jetzt seinem Ende zu, und Masters fuhr die kurze Strecke bis in die Stadt mit eingeschalteten Scheinwerfern. Sein Ziel war der Büroblock, in dem Larry Connors Büro lag. Er bog in die schmale Straße dahinter ein und parkte auf dem kleinen Platz, wo noch immer Larry Connors Buick stand.
Er stieg aus und trat an den Wagen heran. Die Fenster waren hochgekurbelt und alle vier Türen abgeschlossen. Durch die vordere Scheibe spähte er auf den Fahrersitz, doch war dort nichts Ungewöhnliches zu sehen. Auf der von der Oberseite des Armaturenbrettes gebildeten Ablage stand eine offene Kleenex-Schachtel, aus deren Schlitz ein Tuch herausragte. Auf dem rechten Vordersitz lag ein zerdrücktes Zigarettenpäckchen. Das war alles.
Masters richtete sich auf und stöhnte, weil sein Rücken dabei so schmerzte. Auch ein Zeichen fortschreitender Jahre. Dann ging er auf die Tür an der Rückseite des Gebäudes zu. Sie war, wie Nancy gesagt hatte, verschlossen. Mit müden Schritten ging er ums Haus herum zur Vordertür und versuchte hier sein Glück. Ebenfalls zu. Das Schloß machte einen soliden Eindruck. Keiner der Schlüssel, die er bei sich hatte, würde passen, und die Tür aufbrechen, wäre wohl eine etwas zu drastische Demonstration polizeilicher Gewalt gewesen. Zufällig kannte Masters den Hausbesitzer; gewiß hatte der einen Schlüssel. Er ging ins gegenüberliegende Hotel und betrat eine der Telefonzellen in der Halle.
Der Hausbesitzer, ein Mann namens Beyer, schien nicht gerade begeistert über Masters’ Bitte, doch er versprach, sofort zu kommen.
»Kommen Sie bitte an die Hintertür«, sagte Masters.
Bevor er wieder auf seinen Posten zurückkehrte, erstand er noch eine Zehn-Cent-Zigarre, zündete sie jedoch nicht an. Nachdenklich kaute er darauf herum, während er, an den Kotflügel seines Wagens gelehnt, auf Beyer wartete. Nach zwanzig Minuten erschien der Mann mit den Schlüsseln.
»Was hat denn das eigentlich zu bedeuten, Leutnant?«
»Mr. Connor ist gestern abend hierhergekommen«, sagte Masters. »Wie Sie sehen, steht sein Wagen auch da. Doch seither hat ihn niemand mehr gesehen. Wir hielten es für das beste, einmal nachzusehen.«
»Ich betrete nicht gerne eigenmächtig die Räume meiner Mieter.«
»Ich werde ohne triftigen Grund nichts anrühren.«
Beyer schloß auf und trat zur Seite, um Masters den Vortritt zu lassen. Drinnen blieb der Leutnant zunächst einmal stehen, doch er vernahm in der Hitze und der stickigen Dunkelheit keinen Laut, nur Beyers Atem. Vor sich nahm er undeutlich einen unförmigen Gegenstand wahr.
»Der Lichtschalter ist neben der Tür«, sagte Beyer. »Links.«
Masters tastete herum. An der Decke begannen zwei Leuchtröhren zu flackern. Er stand in einem kleinen, vollgestellten Raum, der mehrere große Kartons und, aufgereiht an einer Wand, drei stählerne Büroschränke enthielt. Offenbar ein Lagerraum für abgelegte Akten. Direkt gegenüber entdeckte er eine Tür mit Mattglasscheibe.
»Wie sind die Räume hier angeordnet?« fragte Masters.
»Drei Zimmer hintereinander, von vorne nach hinten«, sagte Beyer. »Das da, hinter der Glastür, ist das mittlere – Mr. Connors Büro. Dahinter, zur Straße, liegt das Vorzimmer, wo die Sekretärin sitzt.«
»Aha.«
Masters zögerte; es war ein Zögern, das fast an Furcht grenzte. Er scheute sich, die Mattglastür zu öffnen, aber er mußte – es war seine Pflicht. Er ertappte sich dabei, daß er es hinausschob, sich betont gründlich im Lagerraum umsah, in alle Kartons und Schubladen schaute. Endlich faßte er sich ein Herz und öffnete die Tür. Sie schwang nach innen; der Lichtkegel aus dem Lagerraum hob die Ecke eines Schreibtisches und den Sessel dahinter aus dem Dunkel. Masters suchte und fand den Lichtschalter; eine grelle Leuchtröhre glühte auf, und in ihrem Licht sah Masters das, was er geahnt und gefürchtet hatte.