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»Ich brauche Sie nicht mehr«, sagte er zu Beyer. »Lassen Sie mir nur Ihren Hauptschlüssel da. Das hier ist jetzt Sache der Polizei.«

»Warum? Was meinen Sie damit?« sagte der Mann nervös.

Er blickte über Masters’ Schulter. Entsetzt fuhr er zurück.

»Mr. Connor ist zweifellos tot«, sagte Masters. »Das ist doch Connor, oder nicht?«

»Mein Gott, ja! Aber wie konnte das nur geschehen, Leutnant?«

»Sieht aus wie Selbstmord.«

»Schrecklich! Ein so netter, junger Mann! Kann ich irgend etwas helfen?«

»Das können Sie, Mr. Beyer. Sie können gehen und mich ungestört arbeiten lassen.«

Sanft schob er dem verdutzten Mr. Beyer die Tür zum Lagerraum vor der Nase zu. Kurz darauf hörte er, wie der Mann das Haus durch die Hintertür verließ.

Masters ging um den Schreibtisch herum. Auf den ersten Blick deutete wahrhaftig alles auf Selbstmord hin. Besonders in Anbetracht der nächtlichen Gewalttat in Shady Acres.

An der gegenüberliegenden Wand stand ein mit braunem Kunstleder bezogenes Sofa. Auf dem Sofa lag die Leiche Larry Connors; der rechte Arm hing zu Boden. Masters stellte fest, daß er es sich zum Sterben bequem gemacht hatte. Sein helles Cord-Jackett und die Krawatte hingen ordentlich über einer Stuhllehne. Sein weißes Hemd stand am Kragen offen. Die Schuhe hatte er nicht ausgezogen, etwas, das Masters unbedingt als erstes getan hätte, wenn er es sich hätte gemütlich machen wollen, jedoch die Füße lagen in Ruhestellung nebeneinander auf dem Sofa. Es gab weder eine Waffe noch eine Wunde oder Blut. Gewisse physiologische Merkmale deuteten auf eine Überdosis irgendeines Medikamentes hin. Die Umstände ließen sämtlich auf Selbstmord schließen.

Masters trat einen Schritt zurück und musterte das Büro. Es war fast quadratisch, etwa zwanzig Fuß im Quadrat. Eine Mattglastür, direkt gegenüber der anderen, die zum Lagerräum führte, gehörte vermutlich zum Vorzimmer, das zur Straße hin lag. An der Wand zum Lagerraum, dicht an einem Ende des Sofas, befand sich eine dritte, halb offene Tür, durch die man in einen Waschraum sehen konnte.

Masters ging hinein, tastete nach dem Schalter, fand keinen, und entdeckte schließlich eine Kette, die von der Decke herabhing. Er zog, und eine einzelne Birne leuchtete auf. In ihrem etwas kümmerlichen Licht sah er eine Toilette und eine Waschkommode. Über der Waschkommode hing ein Apothekenschränkchen mit einem halbblinden Spiegel. Auf der Kommode standen die beiden Hälften einer kleinen, weißen Schiebeschachtel und ein Glas mit etwas Wasser. Auf dem Spülkästen der Toilette stand eine Flasche billiger Weinbrand, verschraubt und dreiviertel voll. Masters nahm das Schubladenteil der Schachtel in die Hand und roch dran. Es strömte einen ihm bekannten aromatischen Geruch aus, schwach nur und kaum noch wahrnehmbar. Es fiel Masters nicht schwer, den Geruch zu identifizieren; seine Kenntnisse, was die Schliche der Bars und Kneipen betraf, waren weitaus größer als seine Erfahrung mit Mördern. Chloralhydrat, der Hauptbestandteil eines >Mickey Finn<. In kleinen Dosen wirkte es wie ein Schlafmittel, in großen führte es zu Kollaps, Koma und Versagen der Herz- und Lungentätigkeit.

Masters stellte die Schachtel wieder hin und besah sich die Weinbrandflasche. Er hatte Larry Connor nicht gekannt, war aber nichtsdestoweniger enttäuscht von ihm. Seine Frau hatte er brutal ermordet, für seinen eigenen Tod jedoch hatte er eine weit angenehmere Methode gewählt: Er hatte das Zeug in Weinbrand genommen!

Wieder im Büro, bediente sich Masters des Telefons auf dem Schreibtisch. Er rief den Coroner, der eben in freudiger Erwartung eines leckeren Abendessens heimgekehrt sein mußte, zu Hause an. Der Coroner, ein reizbarer Mann, reagierte recht unfreundlich auf diese zweite Störung, so kurz nach der ersten, sagte jedoch, er käme sofort herüber. Masters drückte kurz die Gabel nieder, dann wählte er die Nummer der Polizeistation. Er fragte den Mann vom Sonntagsdienst, ob die beiden Beamten, die er im Connorschen Haus zurückgelassen hatte, schon wieder eingetroffen seien. Sie waren noch nicht da. Er fragte, ob der Chef noch da sei. Das war kaum anzunehmen, und er erhielt auch prompt eine verneinende Auskunft. Er erklärte dem Mann, wohin er die beiden Beamten schicken sollte, wenn sie kamen, und legte auf.

Masters setzte sich in Larry Connors Drehstuhl, legte die Füße hoch, schloß die Augen und kaute auf seiner Zigarre herum.

Warum, überlegte er, hatte sich Larry Connor für seinen Selbstmord ausgerechnet sein Büro ausgesucht? Warum hatte er sich, nachdem er seine Frau getötet hatte, nicht einfach zu Hause umgebracht? Mörder, die Selbstmord verüben, tun dieses gewöhnlich noch während desselben Wutanfalls, in dem sie den Mord verübt haben. Gewiß, auf ein Schema konnte man sich dabei nicht verlassen. Selbstmörder waren immer, zumindest zeitweise, psychopathisch, der eine in dieser, der andere in jener Hinsicht, und die Methoden, die sie sich zur Ausführung ihrer Absicht ausdachten, waren oft die absurdesten. Sie sprangen aus Fenstern und von Mauervorsprüngen.

Sie nahmen in öffentlichen Bedürfnisanstalten Gift. Sie schnitten sich in Hotels, wo sie einzig zu diesem Zweck ein Zimmer genommen hatten, die Pulsadern auf. Die Liste der abartigen Verhaltensweisen konnte noch beliebig verlängert werden. Larry Connor war kopf- und planlos davongelaufen; es war gut möglich, daß er sich erst in seinem Büro zum Selbstmord entschlossen hatte.

Gesetzt jedoch der Fall, das traf zu: Wie hatte er sich dann das Mittel dazu besorgt? Nun, das war nicht schwer. Chloralhydrat war in jeder Kneipe mit entsprechend niedrigem Niveau zu haben. Außerdem, lag nicht der Verdacht nahe, daß dies nicht das erstemal war, daß Larry Connor an Selbstmord gedacht hatte? Vermutlich war er schon zuvor auf die Idee gekommen, daß man mit Chloralhydrat auf verhältnismäßig angenehme Art und Weise aus dieser Welt gehen könne und hatte sich, nebst einer Flasche Weinbrand, einen Vorrat davon angelegt. Aber dies waren alles rein akademische Fragen. Larry war tot; dort lag er. Er hatte eine tüchtige Dosis Chloralhydrat geschluckt, und mehr wußte man nicht.

Masters hörte den Coroner an der Hintertür und ging durch den Lagerraum nach hinten, um ihn einzulassen. Der Coroner, klein, grau und verkniffen, schob sich eilig herein und machte sich verdrossen an die Arbeit; er hatte noch einen Tropfen Sauce am Kinn. Masters hielt sich in der Nähe der Hintertür. Hier, so hatte er entdeckt, war etwa achtzehn Zoll von der Tür entfernt ein Fenster in der Wand, in dessen untere Hälfte eine Klimaanlage eingelassen war. Das Fenster lag genau gegenüber der Tür zum Büro, also würde die Kaltluft, wenn die Bürotür offenstand, direkt durch sie hindurchgeblasen werden und konnte beide Räume kühl halten. Abermals fiel Masters die drückende Hitze auf. Er drehte an ein paar Knöpfen, der Ventilator begann sich zu drehen, und dankbar spürte er die kalte Luft hereinströmen. Er ließ den Apparat eingeschaltet und ging ins Büro zurück. Der Coroner kniete neben dem Sofa.

»Verdammt noch mal, schöner Mist, den wir da am Hals haben!« knurrte der Coroner. »Sieht ja fast aus wie ‘ne Vendetta.«

»Wohl nur ein kleiner Familienzwist. Dieser Fall hier wird Ihnen vermutlich mehr Schwierigkeiten machen. Ein Tod durch Erstechen ist leicht zu erkennen, doch der hier, an den müssen die Herren Doctores ‘ran.«

»Sieht aus wie Herzinfarkt, aber in Anbetracht der Umstände würde ich sagen, Gift.«

»Meiner Meinung nach ist es beides. Ersteres hervorgerufen durch letzteres. Die Schachtel steht nebenan, im Waschräum; ebenfalls der Schnaps, mit dem er’s ‘runtergespült hat. An der Schachtel haftet noch ein schwacher Geruch. Wissen Sie, was drin war?«

»Was denn?«