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Unvermittelt kam ihm zu Bewußtsein, daß Nancy stehengeblieben war, und er wandte sich zu ihr um. Sie stand unbeweglich, mit geschlossenen Augen, das kesse Gesichtchen weiß wie Schnee. Er erschrak fürchterlich; bestimmt würde sie gleich ohnmächtig werden. Doch noch ehe er bei ihr war, öffnete sie die Augen und tat einen tiefen Atemzug.

»Fühlen Sie sich nicht wohl, Mrs. Howell?« fragte er.

»Doch. Mir war nur ein bißchen flau.«

»Wollen Sie wirklich die Identifizierung vornehmen?«

»Wollen nicht, aber ich werde es tun.«

Und dann war es doch nicht so schlimm. Larry war so still, so entrückt allem Irdischen, und vor allem so gar nicht er selbst, daß sein Anblick kaum ein Gefühl aufkommen ließ, höchstens die Frage, warum er aus freien Stücken dort war, wo er war. Sein trauriges, hageres Gesicht trug einen verächtlichen Ausdruck, der seine völlige Gleichgültigkeit allem Geschehen gegenüber verriet. War es wirklich erst vorgestern abend gewesen, daß sie mit ihm auf der Bank gesessen und seinen leicht beschwipsten Reden gelauscht hatte? Flüsternd hörte sie wieder seine Stimme, aus unendlicher Ferne, aus lang vergangener Zeit. Und wo war Lila? War Lila auch an diesem Ort des Todes, der so voller Süße zu sein schien? Nancy drehte sich um und ging hinaus. Masters folgte ihr auf die Straße, wo sie an den Wagen gelehnt stehengeblieben war, und er verspürte den Wunsch, ihr über den Kopf zu streichen, ihre Hand zu halten – ihr durch eine liebevolle Geste an Trost zu geben, was er vermochte.

Eigentlich hatte Masters ein schlechtes Gewissen, daß er sie diesem erschütternden Erlebnis ausgesetzt hatte. In Wirklichkeit hatte er es einfach nicht über sich gebracht, sie nach ihrer Unterhaltung auf der Terrasse alleinzulassen, und hatte sich auf diese makabre Weise ihrer Gesellschaft versichern wollen. Von Anfang an hatte er gespürt, daß ihre lebhafte, naive Neugier einem fähigen Kopf entsprang, so wirr es auch in ihm aussehen mochte, und zu seiner nicht unbeträchtlichen Überraschung mußte er feststellen, daß es sein Wunsch war, an ihr die mageren Beweise zu testen, auf denen sein Verdacht beruhte.

»Würden Sie«, erkundigte er sich, »mit mir eine Tasse Kaffee trinken?«

»Vielen Dank, aber ich glaube, ich möchte lieber nach Hause.«

»Aber es liegt mir sehr daran, Mrs. Howell. Ich möchte mit Ihnen etwas besprechen.«

»Was denn?«

»Ein, zwei Fakten, die mich beunruhigen. Wie ist es?«

»Ich lade Sie zu einer Tasse Kaffee bei mir zu Hause ein, Leutnant. Wäre Ihnen das recht?«

»Wenn’s Ihnen nicht zuviel Umstände macht…«

Sie fuhren also zurück, saßen an Nancys Küchentisch und tranken den Kaffee, der vom Frühstück übriggeblieben war. Über den Tisch hinweg sah sie ihn an, mühsam ihre Neugier im Zaum haltend.

»Vielleicht halten Sie mich für verrückt«, begann Masters.

»Weshalb?«

»Weil, Mrs. Howell, dieser Fall ganz eindeutig in die eine Richtung weist, und ich nicht von dem Gedanken abkomme, daß er womöglich in eine ganz andere läuft.«

»In welche denn?«

»Es sieht aus wie Mord und Selbstmord. Und ich komme nicht los von dem Gedanken, daß es vielleicht Mord ist und Mord, der aussehen soll wie Selbstmord. Mord durch eine dritte Person.«

Nancy war perplex. »Wieso kommen Sie auf diese Idee?«

»Aufgrund verschiedener Umstände, wie ich schon sagte. Eines Schlüssels, der verlorengegangen ist, oder auch nicht… Der Tatsache, daß Sie die Klimaanlage im Connorschen Haus abgeschaltet gefunden haben. Warum? Dr. Richmond glaubt, daß sie beabsichtigten, die Fenster zu öffnen. Diese Theorie befriedigt mich nicht.«

»Aber warum sonst sollte sie abgeschaltet worden sein?«

»Vielleicht, weil jemand die Todeszeiten durcheinanderbringen wollte?«

»Da komme ich nicht mit, Leutnant«, sagte Nancy gespannt.

»Wenn man den Zeitpunkt des Todes mit ziemlicher Sicherheit feststellen will«, erklärte Masters, »muß man eine Anzahl Faktoren in Betracht ziehen: Klima, Wetter, Temperatur, Luftdruck, spezielle örtliche Verhältnisse, und so weiter. Bei höheren Temperaturen zersetzt sich eine Leiche zum Beispiel weit schneller als bei niedrigen. Und selbstverständlich muß der medizinische Sachverständige auch eine Klimaanlage in seine Berechnungen einbeziehen.«

»Sie meinen«, fragte Nancy atemlos, »es ist möglich, daß in unserem Fall an den Klimaanlagen herummanipuliert worden ist?«

Masters konnte ihre rasche Auffassungsgabe nur bewundern. »Genau. Nehmen wir einmal an, Mrs. Howell, daß es eine dritte Person gibt in diesem Fall, und nennen wir sie >Mörder<. Der Mörder beabsichtigt, Lila Connor umzubringen – mit den Gründen wollen wir uns jetzt nicht befassen. Er kennt sich aus in den Privatangelegenheiten der Connors; er weiß von dem heftigen Streit am Samstagabend. Er sieht, daß Larry Connor einen großartigen Strohmann abgibt, dem man den Mord an Lila Connor in die Schuhe schieben kann. Und ganz offensichtlich ist es, wenn man Larry den Mord an Lila erfolgreich angehängt hat, sicherer, ihn ebenfalls umzubringen, bevor er sich verteidigen kann. Also sagt sich der Mörder: Ich muß es so machen, daß es aussieht wie Mord und Selbstmord. Ehemann bringt seine Frau um und dann sich selbst…«

»Wollen Sie wirklich behaupten, daß Larry nur umgebracht worden ist, damit man ihm den Mord an Lila anhängen kann?«

»Ich denke nur laut«, sagte Masters lächelnd. »Passen Sie auf: Gewisse Umstände – vielleicht Eile oder unvorhergesehene Ereignisse – zwingen den Mörder, Lila und Larry Connor so kurz hintereinander zu töten, daß es schwer, wenn nicht unmöglich ist, mit Gewißheit festzustellen, welcher Mord zuerst verübt wurde. Hauptbedingung beim Plan des Mörders ist jedoch, daß Lilas Tod von medizinischer Seite ausdrücklich als derjenige erkannt wird, der zuerst eingetreten ist. Und hier kommt das Abschalten der Klimaanlage ins Spiel.«

»Ich verstehe«, sagte Nancy mit vor angestrengtem Nachdenken gekrauster Stirn. »Oder vielleicht doch nicht? War die Klimaanlage in Larrys Büro an- oder abgeschaltet, als Sie ihn fanden?«

»Abgeschaltet. Es war stickig und heiß im Zimmer.«

»Aber wenn Ihre Theorie zutrifft, hätte sie dann nicht angeschaltet sein müssen?«

»Nein. Aber lassen wir den technischen Kram jetzt mal beiseite. Die Sache ist die, Mrs. Howell, daß ich die Mord- Selbstmordtheorie nicht akzeptiere.«

Doch Nancy schüttelte den Kopf. »Das ist mir alles zu phantastisch, Leutnant. Sie haben doch überhaupt keinen Grund für diese Annahme. Mir scheint, Sie haben sie aus der Luft gegriffen.«

»Zumindest würde sie die Hitze im Haus erklären, und den fehlenden Schlüssel zur Hintertür des Connorschen Hauses. Das heißt, falls der Schlüssel wirklich fehlt. Wissen Sie zufällig, ob Larry Connor stets einen Schlüssel zur Hintertür bei sich hatte?«

»Das wird er wohl. Ich habe oft gesehen, daß er die Hintertür aufschloß, wenn Lila nicht da war.«

»Sehen Sie! Sie sind eine Frau mit guter Beobachtungsgabe, Mrs. Howell. Darum wollte ich auch mit Ihnen sprechen.«

»Ich hoffe nur, daß durch meine Beobachtungen kein Unschuldiger in Verdacht gerät.«

»Bestimmt nicht.«

»Ich weiß nicht recht. So langsam glaube ich, Sie sind so clever, daß Sie den Fall leicht einer Person anhängen können, die gar nichts damit zu tun hat.«

»Das will ich nicht hoffen. Soll ich jetzt fortfahren mit meinen phantastischen Ideen?«