»Wieso enttäuschend? Samstags hast du doch keinen Unterrieht.«
»Aber ich muß Arbeiten zensieren, die das Ergebnis meines Unterrichts sind. Es ist einfach phantastisch, wie wenig ein gewissenhafter Dummkopf lernen kann, wenn er sich anstrengt.«
»Aber du darfst auch nicht zu viel erwarten von Schülern, die Nachhilfe in Englisch brauchen, Liebling. Wo bleibt deine Logik?«
»Du hast recht. Gott sei Lob und Dank für diese Kurve«, sagte er und zog geistesabwesend mit dem Finger eine von ihren Kurven nach. »Eine herrliche Einrichtung.«
»David, das kitzelt!« quietschte Nancy und gab ihm einen Klaps auf die Hand.
Unbekümmert lehnte sie sich in die Kissen zurück und betrachtete ihn mit einem Ausdruck, den man als blind begeistert bezeichnen konnte. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: David bot keineswegs einen außergewöhnlichen Anblick; Nancys blinde Begeisterung war die Folge einer geheimnisvollen Anziehungskraft, die sie sich einfach nicht erklären konnte. Sie hatte sie vom ersten Augenblick ihres Kennenlernens an gespürt. Sie spürte sie noch, und war nur allzu willig, sie immer und ewig zu spüren, auch wenn sein kurzgeschorenes Haar eine Farbe besaß, die man bei allem Wohlwollen höchstens neutral nennen konnte, wenn seine Hände und Füße weit größer waren, als durch die übrigen Proportionen seines Körpers gerechtfertigt, und seine Nase fast ebenso schief war wie sein Lächeln. Mit einem Wort: David bildete in keiner Weise eine Gefahr für die Frauen, weder was ihre Hormone noch was ihre Moral betraf. Und doch, für Nancy war er eine Gefahr – und eine höchst angenehme dazu. Es war ein höchst zufriedenstellender Zustand.
»Liebling«, murmelte Nancy mit halbgeschlossenen Augen, »wieviel Uhr ist es?«
»Halb sechs. Warum?« fragte David und streckte einen Arm aus.
Flink rollte sich Nancy aus seiner Reichweite.
»Ich rechne nur aus, wieviel Zeit wir noch haben. Um sieben sollen wir bei den Richmonds sein, die wollen im Garten eine Spießbratenparty geben. Aber bis dahin kann man noch viel unternehmen. Wie wär’s, wenn du dich zunächst mal unter die Dusche begibst?«
»Große Lust habe ich nicht«, sagte David lüstern, »aber ich muß wohl.«
»Ja. Aber mach schnell, Liebling. Mir zuliebe, ja?«
Also schoß David ab ins Bad, und Nancy wartete, bis sie die Dusche hörte. Dann schlüpfte sie aus dem Bett, ging zum Toilettentisch und zog mit geistesabwesender Miene drei-, viermal die Bürste durchs Haar. Dann spähte sie durch die Vorhänge auf die Asphaltstraße hinaus. Vor dem Hause der Richmonds hielt der Lieferwagen einer einheimischen Bierfirma. Der Fahrer schob einen kleinen Handkarren die Einfahrt der Richmonds hinauf, der beladen war mit einem Fäßchen Bier mit Hahn und Pumpvorrichtung zum Zapfen, wie in einer Bar.
Na ja, dachte Nancy, jetzt, wo David bei mir ist und da drüben das Fäßchen wartet, kann ja aus dem Tag doch noch was werden. Und weiter kam sie nicht mit ihren Gedanken, denn auf sie zu kam, das Handtuch noch in der Hand, David, unverhüllte Lüsternheit im Gesicht.
»Und jetzt, Liebling, wehr dich!«
»Wer will sich denn wehren?« murmelte Nancy und öffnete ihm weit die Arme.
2
Die Party war, wie sich herausstellte, gar keine Spießbratenparty. Das war natürlich keine beabsichtigte Irreführung; es war lediglich zur Gewohnheit geworden, Zusammenkünfte, bei denen im Garten gegrillt wurde, Spießbratenpartys zu nennen. Es gab Buletten, und Jack Richmond briet sie auf einem Grill über Holzkohlenfeuer. Dr. Jack Richmond war ausgesprochen paranoid in bezug auf seine Kunst, über Holzkohlenfeuer die Buletten genau richtig zu grillen, und es war jedermann strikt untersagt, ihm zu helfen oder sich einzumischen. Die Tatsache, daß er die gestärkte Mütze und Schürze eines Meisterkochs trug, durfte nicht zu Fehlschlüssen verleiten; seine Buletten waren tatsächlich so gut, wie er behauptete.
Sie in Shorts und er in langer Hose, gingen Nancy und David, die inzwischen noch eine ganze Menge unternommen hatten, um sieben Uhr hinüber. Sie nahmen den kürzeren Weg durch den Garten der Connors, und gerade als sie an deren Haus vorbeikamen, wurde oben ein Fenster geöffnet, und Larry Connors Stimme ertönte.
»He, Leute! Wir kommen gleich rüber!«
Nancy und David winkten zum Fenster hinauf, das sich sofort wieder schloß, und gingen weiter. Durch eine zweite niedrige Hecke betraten sie den Garten der Richmonds und dann die Terrasse, wo Dr. Jack seine gesamte Aufmerksamkeit auf eine herrlich rotglühende Schicht Holzkohle konzentrierte. Er drehte sich um und hob zum Gruß die Kohlenzange, und Nancy mußte – still für sich – zugeben, daß er so ziemlich der anziehendste Mann war, den sie je gesehen hatte. Sie war erstaunt, daß diese Feststellung sie so kalt ließ. Vielleicht ließ das auf eine Art Perversion oder Ähnliches schließen. War es anomal, wenn man eine schiefe Nase einer geraden vorzog?
»Willkommen, Nachbarn«, sagte Jack. »War das nicht Old Larry, der euch da gerade etwas nachgerufen hat?«
»Ja«, sagte Nancy. »Er sagte, er und Lila kämen gleich.«
»Ich muß sagen, es klang ziemlich vergnügt. Hoffentlich hält seine gute Laune an.«
»Ach, Larry ist schon in Ordnung«, sagte David.
»Na klar, und Lila ist ‘ne großartige Frau, und beide sind ein ganz reizendes Paar. Aber wenn sie anfangen, sich gegenseitig anzugiften, dann schafft das eine etwas gespannte Atmosphäre.«
Nancy mußte zugeben, daß das stimmte, doch sie gab es nur heimlich zu, ganz für sich. Sie fand, Jack Richmond hätte so etwas über Lila und Larry Connor nicht sagen dürfen, auch wenn es der Wahrheit entsprach. Gewiß, man spürte, daß die beiden in gewisser Weise verbittert waren, und diese Bitterkeit kam oft urplötzlich zum Ausbruch, wenn sie etwas getrunken hatten. Nancy nahm an, das kam davon, daß Lila nicht gerade vorsichtig war in der Wahl der Männer, für die sie ihren recht beachtlichen Sex-Appeal in Aktion treten ließ. Immerhin, Larry war seinerseits in gewissen Situationen auch nicht gerade mit Hemmungen belastet, was Nancy aufgrund persönlicher Erfahrungen bescheinigen konnte. Doch wie dem auch sei, sie glaubte nicht, daß Lila eine echte Nymphomanin war. Im Gegenteil, sie hegte sogar den Verdacht, daß Lila unter ihrer fast fiebrig wirkenden Oberfläche eher eiskalt war; jedenfalls machte Lila manchmal auf sie den Eindruck einer grausam-falschen Schlange. Zum Beispiel, wie sie den armen, alten Stanley Walters bearbeitete. Stanley war in keiner Weise ein Idealbild von Mann, ganz gewiß nicht, und es war ekelhaft, wie Lila ihn manchmal vorsätzlich dermaßen in Erregung versetzte, daß er das bißchen Verstand, das er besaß, dann auch noch verlor. Nancy hatte das Gefühl, daß sie das nur tat, um Stanleys Frau zu ärgern; vermutlich kam es Lila gar nicht zu Bewußtsein, wie grausam ihr Verhalten Stanley gegenüber war, der von Lila immer wieder enttäuscht und dem von Mae ständig die Hölle heißgemacht wurde, und der so in zweifacher Hinsicht das Opfer war. Nancy zuckte die Achseln. Sie mochte Lila trotz allem, und sie beabsichtigte nicht, das Thema, das Jack Richmond angeschnitten hatte, weiterzuverfolgen.
Glücklicherweise kam in diesem Augenblick Vera Richmond mit einer Riesenschüssel Tomaten-, Gurken- und Zwiebelsalat aus dem Haus. Sie stellte die Schüssel auf ein Tischchen, und Nancy begrüßte sie und fragte, ob sie ihr helfen könne. Ja, sagte Vera, das könne sie.
»Mein Gott, Nancy!« sagte Vera. »Was hast du für herrlich braune Beine! Es ist richtig gemein von dir, Shorts zu tragen und uns andere hier alle in den Schatten zu stellen.«
Vera trug selber Shorts, und sie bewunderte Nancys Beine lediglich deshalb in so großzügiger Weise, weil sie, was ihre eigenen betraf, auch nichts zu fürchten hatte. Veras Gesicht wurde beherrscht von einer zu großen Nase und zu viel Zähnen, doch ihre Beine waren lang und schön, und wenn sie nicht ganz so gut waren wie Nancys, dann nur höchstens soviel, daß man gewiß keine Staatsaktion daraus zu machen brauchte.