»Für dich vielleicht, aber bestimmt nicht für Leutnant Masters. Dieser Mann verdächtigt uns alle, dich und mich eingeschlossen. Wußte Larry von dieser Sache zwischen Jack und Lila?«
»Das bezweifle ich. Ich habe niemals eine Veränderung in seinem Verhalten Jack gegenüber bemerkt.«
»Und Vera?«
»Jack hat zwar nichts davon gesagt, aber ich nehme an, sie wußte Bescheid. Vera ist ja nicht dumm. Es ist bestimmt nicht leicht, sie auf die Dauer an der Nase herumzuführen, und ich kann mir vorstellen, daß das nicht das erstemal war, daß Jack fremd ging.«
»Mußt du dich unbedingt so ekelhaft ausdrücken?« fragte Nancy geistesabwesend, denn ihre Gedanken beschäftigten sich bereits wieder mit dem Problem. »Wenn Vera etwas wußte, hat sie sich jedenfalls nichts anmerken lassen. Sie war immer sehr liebenswürdig zu Lila – so liebenswürdig, daß noch nicht einmal ich Verdacht geschöpft habe. Sie war liebenswürdig zu ihr und hat sie doch nicht ausstehen können.«
»Ja, Vera ist wirklich eine bewundernswerte Frau. Selbst wenn sie alles über Jack und Lila gewußt hätte, sie wäre imstande gewesen und hätte sich damit abgefunden – nachdem Jack Schluß gemacht hatte, natürlich.«
»So kommen wir nicht weiter«, stellte Nancy fest. »David, weißt du, wer mir nicht aus dem Sinn gehen will? Ich meine, als potentieller Mörder?«
»Ich?«
»Außer dir.«
»Ich gebe auf.«
»Stanley.«
»Stanley?«
»Ja, Stanley.«
»Aber das ist doch absolut idiotisch!«
»So, ist es das? Ich muß immer wieder daran denken, daß Stanley allein auf der Straße blieb, als ich ins Haus zurückging. Ich habe mich zufällig noch mal umgesehen, und da stand er da und starrte ganz seltsam hinauf zu Lilas erleuchtetem Fenster. Ich frage mich nur, inwieweit er Lilas Avancen ernst nahm. Sie hat ihn natürlich nur auf den Arm genommen, aber Stanley versteht nichts von Frauen. Außerdem ist er mimosenhaft empfindlich. Ich frage midi, wozu er fähig wäre, wenn man ihn in eine kompromittierende Lage gebracht und dann ausgelacht hätte.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Stanley jemals, und würde er noch so gereizt, mit einem Messer in der Hand Amok liefe.«
»Wirklich nicht? Männer sind doch tatsächlich mit Blindheit geschlagen, was diese Dinge betrifft.«
»Aber es war doch nicht nur Lila, die umgebracht wurde! Nach Masters’ Theorie ist Larry auch getötet worden. Willst du ernstlich behaupten, daß Stanley, nachdem er Lila in einem Wutanfall erstochen hat, noch fähig wäre, einen komplizierten Plan auszuarbeiten, wie er auch Larry töten und den Anschein erwecken könne, ein Mörder habe Selbstmord begangen? Selbst wenn Stanley in jener Nacht die Zeit gehabt hätte, seine Phantasie hätte niemals dazu ausgereicht. Nein, ich bin keineswegs davon überzeugt, daß Larry ermordet worden ist. Er hat sich selbst das Leben genommen; sämtliche Indizien deuten darauf hin.«
»Ja, nicht wahr? Das wäre überaus zuvorkommend von ihm. Welch ein Zufalclass="underline" Larry bringt sich genau im richtigen Moment um, damit ihm der Mord an Lila angehängt werden kann, die in Wirklichkeit von Stanley umgebracht wurde. Nein, David, komm mir nicht damit!«
»Wir haben jetzt drei Theorien«, sagte David. »Mord und Selbstmord durch Larry; oder zwei Morde durch einen Unbekannten; oder einen Selbstmord und einen Mord durch Unbekannt. Und einmal abgesehen von Lichtern und Schlüsseln und Klimaanlagen und allem, was Masters daraus folgert, halte ich’s immer noch mit Theorie Numero eins. Die ist zwar scheußlich, aber einfach und logisch, und das genügt mir.«
»Und das Licht in Lilas Zimmer?« fragte Nancy. »Jemand muß es doch ausgemacht haben, wenn die Birne nicht ausgebrannt ist.«
»Vielleicht hat Stanley es ausgemacht.«
»Übrigens, wenn man vom Teufel spricht… Da kommt Stanley.«
Stanley Walters hatte die beiden seit geraumer Zeit von seinem Garten aus beobachtet. Jetzt überquerte er das Gäßchen und kam auf die Terrasse der Howells getrottet. Er machte einen nervösen, ängstlichen Eindruck und sah gar nicht aus wie ein kühl berechnender Mörder, und noch viel weniger wie die Hauptfigur eines blutigen Eifersuchtsdramas.
»Hallo, Stanley«, sagte David.
»Hallo, Stanley«, sagte Nancy. »Was macht Mae?«
»Ach, Mae fühlt sich nicht wohl«, sagte Stanley. »Sie hat sich hingelegt. Kopfschmerzen.«
»Oh, das tut mir leid«, sagte Nancy. »Möchtest du ein Bier, oder sonst etwas?«
»Nein, danke.« Stanley nahm Platz, legte die Hände ineinander und betrachtete sie eingehend. Dann preßte er sie zwischen die Knie.
»Ich… ich hätte gerne mit euch gesprochen. Ich meine, mir geht dauernd etwas im Kopf herum, das ich nicht loswerden kann.«
»Runter damit von der Seele, Stanley«, sagte Nancy herzlich. »Das ist die beste Therapie. Und vielen Dank, daß du uns für so vertrauenswürdig hältst.«
»Ja«, sagte David. »Was hast du denn auf dem Herzen, alter Junge?«
»Etwas, das sich damals, in der Nacht, als Lila umgebracht wurde, ereignet hat.« Stanley sah hinauf zum Schlafzimmerfenster des Nachbarhauses; auch als er weitersprach, nahm er den Blick nicht fort. »Ich weiß, man sagt, daß Larry Lila getötet habe, bevor er das Haus verließ. Das ist nicht wahr. Ich weiß es genau, denn ich war drüben, nachdem er weggefahren ist, und da lebte Lila noch.«
»Du hast Lila gesehen?« rief Nancy. »Siehst du, David?«
»Er hat nicht gesagt, daß er sie gesehen hat«, sagte David. »Er hat gesagt, daß sie noch lebte.«
»Aber natürlich hat er sie gesehen! Woher soll er sonst wissen, ob sie noch lebte?«
»Er kann ja ihre Stimme gehört haben.«
»Das ist doch lächerlich. Stanley, hast du Lila gesehen oder nicht?«
»Ja, ich habe sie gesehen und mit ihr gesprochen«, sagte Stanley unglücklich. »Aber ich wünschte, bei Gott, ich hätte es nicht.«
»Na also, David! Hoffentlich bist du jetzt zufrieden. Und nun hör auf, uns dauernd zu unterbrechen. Weiter, Stanley. Warum bist du zu Lila ‘rübergegangen?«
Stanleys heftiges Erröten bewies, daß dies die große Preisfrage war. Und es war ebenfalls deutlich – seine Stimme verriet es – , daß der Wunsch, sich die Last von der Seele zu reden, in diesem Punkt nicht bis zur vollen Wahrheit ging.
»Nun ja… Ich war da unten in dem Gäßchen… Das weißt du ja, Nancy… Und da mußte ich an Lila denken – ich meine, ich machte mir Gedanken über ihr Befinden ganz allein da im Haus – , und da bin ich ‘rübergegangen, um nach ihr zu sehen.«
Du bist ‘rübergegangen, um endlich mal ein paar außereheliche Lorbeeren zu ernten, dachte David; aber aussprechen tat er es nicht.
»Du bist richtig ins Haus gegangen?« fragte Nancy mit einem mißbilligenden Blick auf ihren Mann. Dieses Weib, dachte David, muß einen sechsten Sinn haben.
»Nnnnein… Sie wollte mich nicht hereinlassen. Ich meine, Lila glaubte wohl, daß ich… nun, eben aus einem anderen Grund gekommen war.« Stanley begann zu schwitzen. Er zog ein Taschentuch heraus und wischte sich die Stirn.
»Und was genau hat sich abgespielt, Stanley? Weißt du, das kann nämlich äußerst wichtig sein. Laß bitte keine Einzelheiten aus, ja? Also?«
»Nun ja, ich bin an die Hintertür gegangen und hab’ geklingelt. Lila hat oben ihr Schlafzimmerfenster aufgemacht, den Kopf herausgesteckt und midi gefragt, was, zum Teufel, ich wolle. Ich sagte, ich wolle nur sehen, wie es ihr gehe. Sie lachte und sagte so etwa: >Nichts zu machen heute abend, mein Lieber< und, ich solle nach Hause gehen. Das tat ich dann auch.« Stanley benutzte abermals sein Taschentuch. »Und das ist alles. Und auch das wäre nicht gewesen, hätte ich meinen Verstand beisammen gehabt.«
»Du sagst, sie hat ihr Fenster aufgemacht?« fragte Nancy. »Hat sie es wieder geschlossen?«
»Ja, Nancy.«
Nancy wirbelte zu David herum. »Jack hat zu Leutnant Masters gesagt, daß Lila und Larry vermutlich die Fenster aufmachen wollten. Damit versucht er die abgeschaltete Klimaanlage zu erklären. Jade meinte, sie wären nicht mehr dazu gekommen. Das stimmt aber offenbar nicht, denn Lila hat das Fenster geöffnet, als Stanley kam, und es dann wieder geschlossen. Warum hat sie es nicht einfach offengelassen, wenn die Klimaanlage abgestellt war?«