»In vino veritas, oder wie immer Bier auf Latein heißt«, sagte Larry mit bitterem Lachen. »Lila ist die geschickteste Lügnerin der Welt. Wußtest du das nicht, Nancy? Ich hab’ eine ganze Zeit gebraucht, bis ich dahinterkam, und mehr noch, ihre Lügerei ist schon psychopathisch. Stets zieht sie die Lüge der Wahrheit vor. Sie hat kein Gewissen, kann nicht unterscheiden zwischen Recht und Unrecht. Sie ist nicht richtig im Kopf, Nancy, und dafür gibt es kein Heilmittel, es sei denn, man erlöste sie von ihrem Leiden, wie man einen tollen Hund erlöst, den man einfach abknallt.«
Wenn Larry Connor einen betrunkenen Eindruck gemacht hätte, wäre Nancy einfach von der Bank aufgesprungen und weggegangen. Doch er klang nicht betrunken. Er klang stocknüchtern, ja sogar kühl und überlegt, als denke er laut über ein schwieriges Problem nach.
»Larry, bitte sag nichts, das dir hinterher leid tut«, bat Nancy. »Da sind Lila und Jack. Komm, wir gehen hinüber.«
»Augenblick, Nancy. Ich wollte dir doch erzählen, wie ich Lila kennengelernt habe. Das war in Kansas City. Ich arbeitete dort mit zwei älteren Wirtschaftsprüfern in einem Büro, und alles lief großartig. Es gab sogar ein Mädchen, das ich heiraten wollte. Und dann ging ich eines Abends zu einer Cocktailparty, und dort traf ich Lila. Sie saß ganz allein mit einem Martini in der Hand in einer Ecke. Ich ging hin und unterhielt mich mit ihr. Gemeinsam verließen wir die Party und aßen zu Abend, und hinterher gingen wir in ihre Wohnung. Sie fing an, von sich zu erzählen. Sie war gerade geschieden, wie sie sagte, und zwar von einem Sadisten, der sich gefreut hatte, wenn sie litt. Ich wurde wütend und ritterlich und entwickelte einen prächtigen Haß auf den armen Teufel.
Nichts davon war wahr. Ich traf ihn, als Lila und ich etwa ein Jahr verheiratet waren, und da stellte es sich heraus, daß er der netteste Kerl war, den man sich denken kann. Außerdem war er gar nicht ihr erster Mann gewesen, wie sie behauptete, sondern ihr dritter. Ich bin der vierte, und sie ist erst sechsundzwanzig. Mit sechzehn hatte sie angefangen; ziemlich früh. Von Ehemann Nummer eins und drei hatte sie sich scheiden lassen, Nummer Zwei beging Selbstmord.«
»Larry, du mußt aufhören damit. Ich will nichts mehr hören.«
»Glaubst du mir nicht?«
»Ich will dir einfach nicht mehr zuhören.«
»Bitte, Nancy! Du bist die einzige hier, aus der ich mir etwas mache. Ich möchte, daß du alles verstehst, was vielleicht später noch geschieht.«
»Bitte, sprich nicht so, Larry. Du machst mir angst.«
»Nein, nein, erschrecken will ich dich nicht. Für mich ist es eine Art Therapie, mit dir zu sprechen, Nancy. Bitte, erlaube es mir. Hast du jemals darüber nachgedacht, warum Lila und ich vor einem Jahr hierhergezogen sind?«
Nancy lehnte sich zurück. »Ihr seid gekommen, weil du die Firma des alten Mr. Campbell übernommen hast, nicht wahr? Ich hörte, daß du sie kurz vor seinem Tode gekauft hast.«
»Nein, in Wahrheit dachte ich, wir könnten hier, in der Kleinstadt, noch einmal von vorne anfangen, Lila und ich. Sie hatte etwa tausend Dollar Schulden gemacht, die ich nicht bezahlen konnte, trotz meines guten Einkommens. Ich dachte, hier würde sie vielleicht anders werden. Aber sie ist nicht anders geworden. Ich habe erst die Hälfte der Schulden in Kansas City abgezahlt, und schon wieder stürzt sie mich bis an den Hals in neue Schulden. Ich weiß nicht mehr aus noch ein, Nancy. Vielleicht schmeiße ich eines Tages alles hin und verschwinde.«
»Weglaufen nützt nichts, Larry.« Nancy fühlte sich äußerst unbehaglich.
»Ich weiß nicht recht. Nette Nachbarn habt ihr, Nancy.«
»Jawohl, genau das finden wir auch, David und ich«, murmelte Nancy hilflos.
»Das kommt, weil ihr die Wahrheit nicht kanntet und sie vermutlich auch nicht geglaubt hättet, wenn sie euch jemand gesagt hätte. Trotzdem, vielen Dank.«
»Jawohl, Nancy«, kam plötzlich Lilas Stimme hinter der Bank hervor. »Nett von dir, das zu sagen. Larry, Liebling, bist du Nancy mit deinen betrunkenen Phantastereien auf die Nerven gefallen? Was treibt dich nur immer, solche monströsen Lügengeschichten zu erzählen, wenn du blau bist?«
Nancy fuhr hoch, erschreckt und beschämt. Lila Connor betrachtete ihren Mann mit eigenartigem Lächeln. Jack Richmond, der neben ihr stand, trug seine Berufsmiene zur Schau, als befinde er sich in seiner Praxis. Larry zuckte nur die Achseln; er wandte noch nicht einmal den Kopf.
»Mußt du dich unbedingt so heranschleichen, Lila? Ich habe Nancy gerade erzählt, was für eine Psychopathin du bist.«
»Ja, das hörte ich. Nancy, du darfst ihm das nicht übelnehmen. Er sagt alles mögliche, wenn er damit das Mitgefühl einer netten, kleinen Frau erringen kann.«
»Ach, laßt doch«, sagte Jack Richmond. »Kommt, holt euch noch ein Bier.«
»Lieber nicht«, sagte Lila. »Ich glaube, wir gehen besser nach Hause. Meinst du nicht, daß es besser ist, wenn wir jetzt nach Hause gehen, Larry?«
»Ja, natürlich.« Larry erhob sich seufzend, die personifizierte Niederlage, als habe er verloren, verloren und noch mal verloren. »Gute Nacht, Nancy. Gute Nacht, Jack. Das nächstemal paß besser auf, wen du dir einlädst, Jack.«
Er ging davon, in die Dunkelheit hinter der Terrasse hinein, auf sein Haus zu. Lila Connor stieß ein kurzes, hartes Lachen aus. Sie schien etwas sagen zu wollen, doch dann hob sie die Arme, ließ sie wieder fallen und ging ihrem Mann nach.
»Tja«, sagte Jack, »immer dasselbe mit den beiden. Worum, in aller Welt, hat sich’s denn eigentlich gedreht, Nancy? Ich hab’ nur die letzten Worte mitgekriegt.«
»Ich möchte lieber nicht darüber sprechen, Jack.«
»Recht hast du«, stimmte der Doktor sofort zu. »Komm, sehen wir nach, ob wir nicht noch mehr Feuer löschen müssen, Nancy. Ich glaube, Mae macht Stanley mal wieder das Leben schwer.«
Doch Mae und Stanley Walters befanden sich zur – willkommenen – Abwechslung einmal im Waffenstillstand, und bald sagten, ohne daß sich weitere Zwischenfälle ereigneten, die Walters gute Nacht und gingen über das Gäßchen nach Hause. Jack und David tranken noch ein letztes Bier, während Nancy Vera half, die Terrasse aufzuräumen. Dann verabschiedeten sich auch Nancy und David. Sie nahmen wieder ihren Weg durch den Connorschen Garten. Obgleich es noch zeitig war, kaum elf Uhr, sahen sie nur noch ein Licht im Connorschen Haus; es kam aus einem Zimmer im ersten Stock.
3
»Liebling«, sagte Nancy Howell, »was hältst du eigentlich von Lila?«
»Sie ist schön, sexy und entzückend ungeniert«, sagte David Howell. »Das habe ich heute abend hinter einem Spiräengebüsch feststellen können. Das mit der Ungeniertheit, meine ich.«
David lag auf der Seite, mit dem Rücken zu Nancy, die in einem blaßgelben Nachthemd auf der anderen Bettkante saß. Den einzigen, schwachen Lichtschein warf die Nachttischlampe, denn David wollte schlafen, und darum hatte er Nancy auf ihre Frage auch so eine Antwort gegeben. Sie hatte sie zum Schweigen bringen und im Grunde nichts anderes heißen sollen als: >Hör um Gottes willen auf zu quatschen, mach das Licht aus und geh schlafen.« Dummerweise hatte Nancy nicht das geringste Bedürfnis zu schlafen.
»Das war vermutlich, als Larry und ich auf der Bank saßen und schmusten«, sagte sie. »Aber im Ernst, David, was hältst du von Lila? Ich meine, ganz ehrlich. Ich will die Meinung hören, die du sonst niemals aussprechen würdest, zu keinem Menschen.«
»Ich hab’s dir doch eben gesagt.«
»Larry behauptet, sie kann nicht zwischen Recht und Unrecht unterscheiden.«
»Larry hat recht. Sie hat keinerlei Moralgefühl. Gott sei Dank.«
»Larry sagt, sie ist die geborene Lügnerin.«
»Ich hab’ nichts gegen Lügnerinnen«, sagte David schläfrig. »Und ich hätte auch nichts dagegen, wenn du dich jetzt hinlegen und das Licht ausmachen würdest. Gute Nacht, Geliebte.«