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Ein toter Mensch hat keine Rechte mehr, müssen Sie wissen. Er kann kein Land besitzen. Er kann keinen Besitz verkaufen. Er kann nicht wählen – weder bei einer Wahl für ein Regierungsamt, noch bei der Abstimmung in der Aktionärsversammlung, selbst wenn er den Hauptanteil der Aktien besitzt. Besitzt er aber nur einen kleinen Anteil – auch wenn dieser sehr einflussreich ist, wie meiner zum Beispiel beim Transportsystem, das neue Siedler auf Peggys Planet schickte –, hört man gar nicht auf ihn. Man könnte sagen, dass er auch ebenso gut tot sein könnte.

Ich hatte aber keine Lust, so tot zu sein.

Das war keine Habgier. Als gelagerte Intelligenz hatte ich sehr wenig Bedürfnisse. Es bestand keine Gefahr, dass man mich abschaltete, weil ich die Elektrizitätsrechnung nicht bezahlen konnte. Ich wurde von ganz anderen, viel schwerwiegenderen Motiven angetrieben. Die Terroristen waren nicht verschwunden, obwohl das Pentagon ihr Schiff aufgebracht hatte. Täglich fanden Schießereien statt, gingen Bomben hoch und wurden Leute gekidnappt. Zwei weitere Startschlaufen wurden angegriffen und eine schwer beschädigt. Ein Tanker mit Schädlingsbekämpfungsmitteln wurde absichtlich vor der Küste von Queensland versenkt, sodass jetzt ein etwa hundert Kilometer langer Bereich des Great Barrier Reef im Sterben lag. In Afrika und Zentralamerika sowie im Mittleren Osten wurden regelrechte Kriege ausgetragen. Der Deckel konnte kaum noch auf dem Dampfdrucktopf gehalten werden. Was wir dringend brauchten, waren tausend Transportschiffe wie die S. Ya. Aber wer sollte die bauen, wenn ich stumm blieb?

Also logen wir.

Wir setzten die Geschichte in die Welt, dass Robin Broadhead einen cerebrovaskularen Unfall erlitten hatte, was ja auch stimmte. Dann fügten wir aber noch die Lüge hinzu, dass meine Gesundung ständig fortschreite. Nun, auch das stimmte, wenn auch nicht genau im allgemein üblichen Sinn. Sobald ich zu Hause war, konnte ich mit General Manzbergen und einigen Leuten in Rotterdam sprechen, allerdings nur per akustischer Verbindung. Eine Woche später ließ ich mich ab und zu sehen – in einem weiten faltenreichen Hausmantel, den ich Alberts reicher Phantasie verdankte. Wieder einen Monat später gestattete ich einem PV-Team, mich dabei zu filmen, wie ich sonnengebräunt und munter, wenn auch etwas dünn, mit unserer kleinen Jolle auf dem See segelte.

Alles in allem ging es mir nicht schlecht, wie Sie sehen. Ich kümmerte mich um meine Geschäfte. Ich plante und führte meine Pläne aus, das Gärmittel in seiner Wirksamkeit herabzusetzen, von dem sich die Terroristen nährten – nicht genug, um das Problem zu beseitigen, aber genug, um den Deckel noch eine Zeit lang draufzuhalten. Ich hatte Zeit, mir Alberts Sorgen wegen der komischen Dinger anzuhören, die er Kugelblitze nannte. Wenn wir damals nicht genau wussten, was sie bedeuteten, war das wohl auch gut. Mir fehlte einzig und allein ein Körper. Als ich mich darüber bei Essie beklagte, sagte sie mit Nachdruck: »Mein Gott, Robin, das ist doch nicht das Ende der Welt für dich! Wie viele andere hatten das gleiche Problem!«

»Auf einen Datenspeicher reduziert zu werden? Nicht viele, wenn du mich fragst.«

»Aber das gleiche Problem«, behauptete sie. »Überlege! Ein gesunder junger Mann geht Skispringen, stürzt und bricht sich das Rückgrat. Querschnittlähmung! Der Körper, der nur noch zur Schadenersatzforderung taugt, muss gefüttert werden, gewickelt, gebadet – das bleibt dir erspart, Robin. Vor allem ist der wichtige Teil von dir immer noch vorhanden.«

»Hast ja Recht«, pflichtete ich ihr bei. Ich fügte nicht hinzu, was ich von allen Leute Essie am wenigsten erklären wollte, dass nach meiner Definition von »wichtig« noch einige Extras dazugehörten, auf die ich immer besonderen Wert gelegt hatte. Aber selbst dabei musste man die positiven Seiten den negativen gegenüberstellen. Wenn ich zum Beispiel keine Geschlechtsorgane mehr hatte, konnte es auch in der Zukunft keine Probleme mit meinen plötzlich sehr kompliziert gewordenen sexuellen Beziehungen geben.

All das musste ich nicht aussprechen. Stattdessen forderte Essie mich auf: »Reiß dich zusammen, Robin! Denk daran, dass du bis jetzt nur eine Annäherung an das Endprodukt bist.«

»Was soll das nun heißen?«, wollte ich wissen.

»Gab da große Probleme, Robin. Die Jetzt-und-Später-Speicherung war ziemlich mangelhaft, muss ich zugeben. Ich habe bei der Entwicklung des neuen Albert viel gelernt. Ich hatte vorher noch nie versucht, eine ganze und sehr geschätzte Person, die unglücklicherweise starb, zu speichern. Die technischen Probleme …«

»Mir ist schon klar, dass es technische Probleme gegeben hat«, unterbrach ich sie. Ich wollte jetzt wirklich nicht Einzelheiten über das riskante, nicht erprobte und überaus schwierige Unterfangen hören, »mich« aus dem zerfallenden Eimer meines Kopfs in das wartende Becken einer Speichermatrix zu gießen.

»Sei ganz ruhig. Nun, jetzt haben wir genügend Zeit. Jetzt können wir die Feinabstimmung vornehmen. Vertrau mir, Robin! Jetzt können wir Verbesserungen machen.«

»In mir?«

»Natürlich in dir, Robin!«, versicherte sie mit einem Augenzwinkern. »Auch in der sehr unzulänglichen Kopie deines Selbst. Ich habe Grund zur Annahme, dass das noch viel interessanter für dich gemacht werden kann.«

»Oh«, rief ich. »Super!«, und wünschte mehr als je zuvor, wenigstens auf kurze Zeit mir einige Teile meines Körpers ausleihen zu können, da ich jetzt am liebsten meine liebe Frau in die Arme nehmen wollte.

Und unterdessen – und unterdessen drehten sich die Welten weiter. Selbst die winzigen Welten meines Freundes Audee Walthers und seiner verzwickten Liebe.

Wenn man sich alles von innen heraus betrachtet, scheinen alle Welten gleich groß zu sein. Audee kam seine eigene nicht klein vor. Ich löste eines seiner Probleme schnell. Ich gab jedem zehntausend Anteile an der Fähre zu Peggys Planet, der S. Ya., und den damit zusammenhängenden Unternehmen. Janie Yee-xing brauchte sich jetzt keine Sorgen mehr zu machen, hinausgeworfen zu werden. Es stand ihr frei, sich selbst als Pilot anzuheuern, wenn sie wollte, oder als Passagier auf der S. Ya. mitzufahren, wenn ihr das lieber war. Das galt auch für Audee. Er konnte auch zurück zu Peggys Planet gehen und seine früheren Chefs auf den Ölfeldern herumkommandieren. Oder nichts von beidem tun und den Rest seines Lebens in Luxus verbringen. Das konnte Dolly auch. Aber natürlich löste das keineswegs ihre Probleme. Die drei hingen eine Zeit lang in unseren Gästesuiten herum, bis Essie schließlich den Vorschlag machte, ihnen unsere Wahre Liebe für eine Kreuzfahrt ohne bestimmtes Ziel zu borgen, bis sie mit sich ins Reine gekommen wären. Das taten wir.

Keiner von ihnen war dumm – wie wir alle taten sie das, was der Augenblick erforderte. Sie erkannten eine Bestechung, wenn sie ihnen angeboten wurde. Sie wussten, ich wollte unbedingt, dass sie über meinen gegenwärtigen, unangenehmen körperlosen Zustand den Mund hielten. Sie wussten aber auch, dass es ein Freundschaftsangebot war, außerdem kam ja noch die Überschreibung der Aktien hinzu.

Und was machten die drei nun an Bord der Wahren Liebe?

Ich glaube, das will ich lieber nicht erzählen. Das meiste geht nur die drei etwas an. Denken Sie mal nach! Es gibt im Leben von jedem – selbstverständlich auch in Ihrem, und ganz bestimmt in meinem – Augenblicke, in denen es weder wichtig noch schön ist, was man macht. Man erleichtert sich auf der Toilette, man hegt einen flüchtigen und schockierenden Gedanken, man lässt einen Furz fahren oder erzählt eine Lüge. Nichts davon ist sehr wichtig, aber man will nicht, dass diese Tätigkeiten in der Öffentlichkeit breitgetreten werden.

Von Audee Walthers’ persönlichen Angelegenheiten möchte ich Folgendes sagen. Was seine Taten beflügelte und seine Sorgen nährte, war dieses herrliche und erstrebenswerte Ding – Liebe. Seine Frustrationen stammten ebenfalls von der Liebe. Er liebte seine Frau Dolly, weil er sich anerzogen hatte, sie zu lieben, so lange sie verheiratet waren – das entsprach seiner Einstellung zum Verhalten verheirateter Leute. Andererseits hatte Dolly ihn wegen eines anderen Mannes verlassen (ich verwende diese Bezeichnung in Wans Fall trotz aller Bedenken), und Janie Yee-xing war erschienen, um ihn zu trösten.