Ubar mehrere Zentimeter größer war als ich; es war fast, als stimmten ihre Körperproportionen nicht.
»Du läßt mich sofort frei«, verkündete sie, »und schickst das eklige Insekt fort.«
»Spinnen sind eigentlich bemerkenswert saubere Insekten«, sagte ich mit einem bezeichnenden Blick auf ihre verdreckten Roben.
Sie zuckte die Achseln.
»Wo ist der Tarn?« fragte ich.
»Du solltest lieber fragen, wo der Heimstein Ars ist«, erwiderte sie.
»Wo ist der Tarn?« wiederholte ich. Mein Tier interessierte mich in diesem Augenblick mehr als das lächerliche Stück Stein, für das ich mein Leben riskiert hatte.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie. »Es ist mir auch egal.«
»Was ist geschehen?« wollte ich wissen.
»Ich wünsche nicht, daß dieses Verhör fortgesetzt wird«, verkündete sie.
Wütend ballte ich die Fäuste.
Sanft schlössen sich die Eßwerkzeuge Nars um den Hals des Mädchens. Angst überkam sie mit plötzlichem Zittern. »Es soll aufhören!« keuchte sie und wand sich in dem erbarmungslosen Griff.
Ihre Finger versuchten die harten Zangen vergeblich zur Seite zu schieben.
»Möchtest du ihren Kopf?« fragte die mechanische Stimme des Insekts.
Ich wußte, daß das Insekt keinem intelligenten Wesen weh tun konnte – also mußte es einen Plan verfolgen. Deshalb sagte ich: »Ja.« Die beiden Klingen begannen sich unbarmherzig wie eine gigantische Schere um den Hals des Mädchens zu schließen.
»Halt!« schrie sie. »Ich habe versucht, den Tarn nach Ar zurückzulenken. Aber ich habe noch nie einen geritten und hatte keinen Tarnstab!«
Ich machte eine Handbewegung, und Nar zog seine Esswerkzeuge zurück.
»Wir waren irgendwo über dem Sumpfwald«, fuhr das Mädchen fort, »als wir einem Schwärm wilder Tarns begegneten. Mein Tarn griff den Führer des Schwarms an.«
Sie erschauderte bei dem Gedanken, und ich hatte Mitleid mit ihr. Hilflos an den Sattel eines Riesentarns geschnallt, der sich in einen Kampf auf Leben und Tod einläßt – das mußte ein schreckliches Erlebnis gewesen sein.
»Mein Tarn brachte den anderen Vogel um«, fuhr das Mädchen fort, »und folgte ihm zu Boden, wo er seinen Gegner in Stücke riß.« Sie zitterte. »Ich löste den Sattelgurt und versteckte mich zwischen den Bäumen. Nach einigen Minuten flog dein Tarn wieder davon, Schnabel und Krallen waren voller Blut und Federn. Zuletzt sah ich ihn, wie er die Führung des Schwarms übernahm.«
Und damit war jede Hoffnung dahin, dachte ich. Der Tarn war wieder wild geworden. Seine Instinkte hatten über die Tarnpfeife und die Erinnerung an die Menschen triumphiert. »Und der Heimstein Ars?« fragte ich.
»In der Satteltasche«, bestätigte sie meine Befürchtung. Ich hatte die Tasche verschlossen, die fest mit dem Sattel verbunden war. Ihre Stimme hatte bedrückt geklungen, und ich spürte ihre Scham, daß sie den Heimstein nicht an sich gebracht hatte. Der Tarn war nun fortgeflogen, seine wilde Natur hatte die Oberhand gewonnen, der Heimstein war in der Satteltasche. Ich hatte versagt, die Tochter des Ubar hatte versagt, und so standen wir einander nun gegenüber auf der grünen Lichtung im Sumpfwald Ars.
7
Das Mädchen richtete sich stolz auf – was bei ihrer Aufmachung etwas lächerlich wirkte. Sie wich vor Nar zurück, und ihre Augen blitzten mich durch die schmale Öffnung ihres Schleiers an. »Es war der Tochter des Ubar eine Freude«, sagte sie, »dir und deinem achtbeinigen Bruder vom Verbleib deines Tarn und des Heimsteins zu berichten. Ihr werdet mich jetzt sofort freilassen!« »Du bist frei«, sagte ich. Sie starrte mich verblüfft an und wich weiter zurück, wobei sie Nar besonders im Auge behielt. Ihr Blick war auf mein Schwert gerichtet, als erwartete sie von mir niedergeschlagen zu werden, wenn sie mir den Rücken kehrte.
»Es ist gut«, sagte sie schließlich, »daß du meinem Befehl gehorchst. Vielleicht wird dir deswegen ein leichter Tod gewährt.«
»Wer könnte der Tochter des Ubar etwas abschlagen?« fragte ich und fügte boshaft hinzu: »Viel Glück im Sumpf.«
Sie blieb stehen und erschauderte. Ich wandte mich ab, legte meine Hand auf ein Vorderbein Nars – sehr sanft, um seine empfindlichen Härchen nicht zu verletzen.
»Nun, mein Bruder«, sagte ich und dachte an die Beleidigung des Mädchens, »setzen wir unsere Reise fort?« Ich wollte Nar zu verstehen geben, daß nicht alle Menschen so über das Spinnenvolk dachten wie die Bewohner Ars.
»Ja, mein Bruder«, erwiderte die mechanische Stimme. Und tatsächlich wäre ich lieber ein Bruder dieses sanften, intelligenten Monstrums gewesen als der Freund mancher Barbaren, die mir schon hier auf Gor begegnet waren. Vielleicht war es sogar eine Ehre, daß er mich als seinen Bruder bezeichnet hatte.
Ich stieg auf Nars Rücken, und wir setzten uns in Bewegung.
»Wartet!« rief die Tochter des Ubar. »Ihr könnt mich nicht hier allein lassen!« Sie stolperte von dem Grashügel und fiel ins Wasser. Sie kniete in der grünen Flüssigkeit und hob flehend die Hände, als würde sie sich plötzlich ihrer entsetzlichen Lage bewußt. Es war kein schönes Schicksal, im Sumpfwald allein gelassen zu werden. »Nehmt mich mit«, sagte sie.
»Warte«, sagte ich zu Nar, und die Riesenspinne blieb stehen.
Das Mädchen versuchte aufzustehen, doch eines ihrer Beine schien plötzlich viel länger zu sein als das andere. Wieder stolperte sie und stürzte. Sie fluchte wie ein Tarnsmann. Ich lachte und glitt von Nars Rücken. Ich watete zu ihr und trug sie auf den kleinen Hügel zurück. Für ihre Größe war sie überraschend leicht.
Ich hatte sie kaum in die Arme genommen, als sie wild nach mir schlug.
»Wie kannst du es wagen, die Tochter eines Ubars anzufassen!« rief sie.
Ich zuckte die Achseln und ließ sie ins Wasser fallen. Wütend rappelte sie sich auf und humpelte zu dem Baum. Ich folgte ihr und untersuchte das Bein. Ein gewaltiger Schuh hatte sich von ihrem kleinen Fuß gelöst und hing lose herab. Die Sohle war etwa zwanzig Zentimeter dick. Ich lachte. Endlich hatte ich eine Erklärung für die unglaubliche Größe des Mädchens gefunden.
»Der Schuh ist kaputt«, sagte ich. »Tut mir leid.«
Sie versuchte aufzustehen, aber es gelang ihr nicht. Ich löste auch den anderen Schuh. »Kein Wunder, daß du kaum gehen kannst«, sagte ich. »Warum trägst du die dummen Dinger?«
»Die Tochter eines Ubar muß auf ihre Untertanen herabsehen«, war die Antwort.
Als sie sich jetzt aufrichtete, reichte sie mir kaum bis zum Kinn. Wütend hielt sie den Blick gesenkt. Die Tochter eines Ubar schaute zu niemandem auf.
»Ich befehle dir, mich zu beschützen«, sagte sie.
»Ich nehme von der Tochter des Ubar von Ar keine Befehle entgegen«, sagte ich.
»Du mußt mich mitnehmen«, sagte sie.
»Warum?« fragte ich. Nach den rauhen Sitten des Landes schuldete ich ihr nichts – eher war es anders herum. Nach ihrem Versuch, mich umzubringen, der nur durch Nars Netz fehlgeschlagen war, hatte ich eigentlich das Recht, sie zu töten und ihren Körper den Wasserechsen zu überlassen. Natürlich vermochte ich diese Dinge nicht vom goreanischen Standpunkt aus zu sehen, aber das wußte sie natürlich nicht. Wie konnte sie auch ahnen, daß ich sie nicht so behandeln würde, wie sie es nach der rauhen Justiz Gors verdient hatte?
»Du mußt mich beschützen«, sagte sie. Ein flehender Unterton lag in ihrer Stimme.
»Warum?« fragte ich wütend.
»Weil ich deine Hilfe brauche«, sagte sie. Dann schnappte sie aufgebracht: »Das hätte ich nicht sagen müssen!« Sie hatte den Kopf gehoben und schaute mir einen Augenblick lang in die Augen. Wutzitternd senkte sie den Kopf wieder.