»Bittest du mich um diesen Gefallen?« fragte ich.
Plötzlich wirkte sie seltsam unterwürfig.
»Ja«, sagte sie. »Fremder, ich, die Tochter des Ubar von Ar, bitte dich um deinen Schutz.«
»Du hast mich umbringen wollen«, antwortete ich. »Wie kann ich wissen, daß du nicht mein Feind bist?«
Ein langes Schweigen trat ein.
»Ich weiß, worauf du jetzt wartest«, sagte die Tochter des Ubar ruhig – unnatürlich ruhig, wie mir scheinen wollte. Ich verstand sie nicht. Warum zögerte ich? Zu meiner Verblüffung kniete die Tochter des Ubar Marlenus vor mir, einem einfachen Krieger aus Ko-ro-ba, nieder, senkte den Kopf und hob die Arme, die Handgelenke über Kreuz.
Es war die gleiche einfache Geste, die Sana im Zimmer meines Vaters gemacht hatte – die Unterwerfung einer gefangenen Frau. Ohne den Blick zu heben, sagte die Tochter des Ubar mit klarer Stimme: »Ich unterwerfe mich.«
Später wünschte ich mir, ich hätte eine Schnur gehabt, um ihre unschuldig gehobenen Handgelenke zu fesseln. Einen Augenblick lang war ich sprachlos, doch dann erinnerte ich mich an die goreanische Regel, nach der ich verpflichtet war, entweder die Unterwerfung anzunehmen oder meinen Gefangenen zu töten. Ich nahm ihre Hände und sagte: »Ich nehme deine Unterwerfung an.« Dann zog ich sie sanft hoch.
Ich führte sie an der Hand zu Nar, half ihr auf den schimmernden, haarigen Rücken der Spinne und folgte ihr. Wortlos setzte sich Nar in Bewegung. Die acht schmalen Insektenfüße schienen kaum in das grüne Wasser zu tauchen. Einmal geriet Nar in Treibsand, und ihr Rücken krümmte sich plötzlich. Ich hielt die Tochter des Ubar fest umschlungen, während sich das Insekt wieder aufrichtete, eine Sekunde im Schlamm schwamm und sich dann mit wirbelnden Beinen befreite.
Nach etwa einer Stunde hielt Nar an und hob eines der Vorderbeine. In einer Entfernung von etwa drei Pasangs waren grüne Wiesen und Sa-Tarna-Felder zu erkennen. Die mechanische Stimme sagte: »Ich möchte mich dem festen Land nicht weiter nähern. Dort ist es gefährlich für das Spinnenvolk.«
Ich glitt zu Boden und half der Tochter des Ubar herab. Nebeneinander standen wir in dem seichten Wasser. Ich legte meine Hand flach auf Nars groteskes Gesicht, und das Monster schloß mit kurzem Druck seine Eßwerkzeuge um meinen Arm. »Lebt wohl«, sagte Nar.
Ich erwiderte diesen Gruß und wünschte ihm und seinem Volk alles Gute.
Das Insekt legte mir seine Vorderbeine auf die Schultern. »Ich frage dich nicht nach deinem Namen, Krieger«, sagte es. »Auch werde ich den Namen deiner Heimatstadt vor der Unterworfenen nicht wiederholen, aber du sollst wissen, daß das Spinnenvolk deiner und deiner Stadt in Ehren gedenkt.«
Noch einmal klang die mechanische Stimme auf: »Nimm dich vor der Tochter des Ubar in acht.«
»Sie hat sich unterworfen«, erwiderte ich, zuversichtlich, daß sich das Mädchen an die Regeln halten würde.
Als Nar im Sumpf verschwand, winkte ich ihm nach. Gleich darauf war mein grotesker Freund nicht mehr zu sehen. »Gehen wir«, sagte ich zu dem Mädchen und schlug die Richtung zu den Sa-Tarna-Feldern ein. Die Tochter des Ubar folgte einige Meter hinter mir.
Wir waren etwa zwanzig Minuten lang durch den Sumpf gewatet, als das Mädchen plötzlich aufschrie. Ich fuhr herum. Sie war bis zur Hüfte im Brackwasser versunken – ein Treibsandloch! Sie schrie hysterisch. Vorsichtig versuchte ich mich ihr zu nähern, doch der Boden unter meinen Füßen wurde weich. Ich versuchte sie mit meinem Schwertgürtel zu erreichen – er war zu kurz. Der Tarnstab, der im Gürtel gesteckt hatte, fiel ins Wasser und ging unter.
Das Mädchen sank immer tiefer in das Wasser, und bald waren nur noch Kopf und Schultern zu sehen. Sie schrie unbeherrscht; angesichts des fürchterlichen Todes hatte sie jede Beherrschung verloren. »Nicht bewegen!« schrie ich. Aber sie zuckte hysterisch und wühlte wie ein wildgewordenes Tier. »Der Schleier!« schrie ich. »Mach ihn los! Wirf ihn her!« Ihre Finger versuchten an dem Schleier zu ziehen, doch in ihrem Entsetzen vermochte sie ihn nicht mehr rechtzeitig zu lösen. Dann erreichte der Schlamm ihre weit aufgerissenen Augen, und ihr Kopf verschwand in dem grünlichen Wasser, ihre Hände schwenkten verzweifelt durch die Luft.
Hastig sah ich mich um und erblickte einen halb untergetauchten Baumstamm. Ohne mich um die möglichen Gefahren zu kümmern, hastete ich zu dem Holz und zog mit aller Kraft daran. Wahrscheinlich waren es nur Sekunden, aber es schien mir Stunden zu dauern, bis der Stamm nachgab und aus dem Schlamm freikam. Ich schob ihn hastig auf die Stelle zu, an der die Tochter des Ubar untergegangen war. Ich klammerte mich an dem Stamm fest, paddelte in dem flachen Wasser über dem Treibsand dahin und griff immer wieder in die grünliche Brühe. Endlich berührten meine Finger etwas – das Handgelenk des Mädchens -, und ich zog sie langsam aus dem Sand. Mein Herz machte einen Freudensprung, als ich ihr Wimmern hörte, als ihre Lungen die feuchte, belebende Luft ansaugten. Ich schob den Stamm zurück, nahm das Mädchen auf und trug sie zu einer grasbewachsenen festen Landzunge am Rande des Sumpfes.
Ich setzte sie im Gras ab. Etwa hundert Meter weiter begann ein gelbes Sa-Tarna-Feld und ein buntes Dickicht aus Ka-la -na-Bäumen. Erschöpft ließ ich mich neben dem Mädchen nieder und lächelte vor mich hin. Die stolze Tochter des Ubar in all ihren Festgewändern stank zum Himmel nach Sumpf und Angstschweiß.
»Du hast mir wieder das Leben gerettet«, sagte die Tochter des Ubar.
Ich nickte.
»Sind wir jetzt aus dem Sumpf heraus?« fragte sie.
Ich nickte erneut.
Das schien ihr zu gefallen. Mit einer Bewegung, die so gar nicht zu ihrer feierlichen Aufmachung paßte, legte sie sich zurück und schaute zum Himmel auf. Zweifellos war sie ebenso abgespannt wie ich. Außerdem war sie ein Mädchen. Ich spürte Mitleid.
»Bitte«, sagte sie.
»Was möchtest du?« fragte ich.
»Ich habe Hunger«, sagte sie.
»Ich auch«, lachte ich. »Dort drüben sind Ka-la-na-Bäume. Warte hier; ich hole einige Früchte.«
»Nein, ich komme mit – wenn du gestattest«, sagte sie.
Die plötzliche Unterwürfigkeit überraschte mich, doch ich dachte an ihre Gesten im Sumpf.
»Aber natürlich freue ich mich über deine Gesellschaft.«
Ich nahm ihren Arm, doch sie wich zurück. »Da ich mich unterworfen habe«, sagte sie, »muß ich dir folgen.«
»Das ist Unsinn«, sagte ich. »Geh neben mir.«
Aber sie senkte scheu den Kopf. »Das ist nicht gestattet.«
»Wie du willst«, sagte ich lachend und setzte mich in Bewegung. Sie folgte mir eingeschüchtert, wie ich meinte.
Wir hatten die Ka-la-na-Bäume fast erreicht, als ich das leichte Rascheln von Brokat hinter mir vernahm. Ich wandte mich um – gerade noch rechtzeitig! Mit hastiger Bewegung vermochte ich ihre Hand zu ergreifen, die einen langen, schmalen Dolch umklammert hielt. Sie brüllte wütend auf, als ich ihr die Waffe abnahm.
»Du Tier!« schrie ich aufgebracht. »Du schmutziges, stinkendes, undankbares Tier!«
Ich fühlte mich versucht, ihr den langen Dolch in die Brust zu stoßen.
Wütend steckte ich ihn schließlich in meinen Gürtel.
»Du hast dich unterworfen«, sagte ich.
Trotz meines festen Griffes, der schmerzhaft sein mußte, richtete sich Marlenus' Tochter vor mir auf und sagte arrogant: »Du Tharlarion!
Glaubst du etwa, daß sich die Tochter des Ubar von ganz Gor einem wie dir unterwerfen würde?«
Grausam drückte ich sie auf die Knie nieder – das schmutzige, stolze Mädchen.
»Du hast dich unterworfen«, sagte ich.
Sie verfluchte mich, und in ihren grünen Augen funkelte der Haß. »So behandelst du also die Tochter eines Ubar?« schrie sie.
»Ich will dir zeigen, wie ich mit dem heimtückischsten Mädchen auf ganz Gor umgehe!« rief ich und ließ sie los. Mit beiden Händen riß ich ihr den Schleier vom Gesicht, griff in ihr Haar und zerrte sie wie ein gewöhnliches Tavernenmädchen oder eine Lagerhure hinter mir her in den Schatten der Ka-la-na-Bäume. Eine herrliche Kaskade schwarzen Haares löste sich, dunkel wie die Flügel meines Tarn. Eine herrliche olivgetönte Haut umgab die grünen Augen, ihr Gesicht schimmerte atemb eraubend schön. Ihr Mund war wütend verzogen. »Es macht mir Freude«, sagte ich, »das Gesicht meines Feindes zu sehen.«