Der Offizier richtete sich auf. Er knurrte wütend und versuchte sein Schwert zu ziehen. Die Klinge war noch nicht halb aus der Scheide, als ich ihn ansprang. Meine gefesselten Hände schlössen sich um seinen Hals. Er wehrte sich verzweifelt und versuchte meine Finger zu lösen; das Schwert glitt ihm aus der Scheide. Doch ich ließ nicht locker. Nun zog er Talenas Dolch aus seinem Gürtel, und ich hätte den tödlichen Stoß sicher nicht verhindern können.
Plötzlich zuckte er zusammen, und ich sah einen blutigen Stumpf am Ende seines Arms. Talena hatte sein Schwert aufgenommen und ihm die Hand abgeschlagen, die den Dolch hielt. Ich ließ den Offizier los. Er zuckte im Gras und war tot. Talena, nackt, hielt noch das blutige Schwert in den Händen, und in ihren Augen stand das Entsetzen über ihre Tat.
»Laß das Schwert fallen«, befahl ich schnell – aus Besorgnis, ihr könnte der Gedanke kommen, nun auch mich damit anzugreifen. Das Mädchen gehorchte, sank auf die Knie und barg das Gesicht in den Händen. Die Tochter des Ubar war offenbar nicht ganz so unmenschlich, wie ich angenommen hatte.
Ich nahm das Schwert, näherte mich dem anderen Soldaten und fragte mich, ob ich ihn umbringen würde, wenn er noch lebte. Vielleicht hätte ich ihn geschont, ich weiß es nicht; jedenfalls wurde ich der Entscheidung enthoben. Er lag reglos im Gras. Die schweren Handschellen hatten ihm den Schädelknochen gespalten.
Ich durchsuchte die Beutel des Offiziers und fand den Schlüssel zu meinen Handschellen. Es bereitete mir Mühe, ihn in die vorgesehene Öffnung zu stecken.
»Laß mich das machen«, sagte Talena, nahm den Schlüssel und öffnete das Schloß. Ich warf die Fessel ab und rieb mir die Handgelenke.
»Ich bitte dich«, sagte Talena, die niedergeschlagen neben mir stand, die Hände in der bunten Sklavenfessel.
»Natürlich«, sagte ich. »Es tut mir leid.« Ich suchte weiter in dem Beutel und fand schließlich auch den winzigen Schlüssel für die Sklavenfesseln.
Ich befreite sie.
Nun machte ich mich an eine eingehende Untersuchung der Beutel und Waffen.
»Was hast du vor?« fragte Talena.
»Ich nehme mir, was wir brauchen können«, sagte ich und sortierte den Inhalt der Beutel. Wichtigste Gegenstände waren ein Kompaßchronometer, einige Eßrationen, zwei Wasserflaschen,
Bogensehnen, Fäden und Öl für den Mechanismus einer Armbrust. Ich beschloß, mein eigenes Schwert und die Armbrust des Soldaten mitzunehmen, die ich entspannte. Der Köcher enthielt etwa zehn Geschosse. Keiner der Soldaten hatte einen Speer oder einen Schild bei sich gehabt. Anschließend trug ich die beiden Körper zum Sumpf hinab und warf sie in das schmutzige Wasser.
Als ich auf die Lichtung zurückkehrte, saß Talena im Gras. Ich war überrascht, daß sie sich noch nicht wieder angekleidet hatte. Sie hatte ihr Kinn auf das Knie gelegt, und als sie mich erblickte, fragte sie ziemlich unterwürfig: »Darf ich mich anziehen?«
»Aber sicher.«
Sie lächelte. »Wie du siehst, trage ich keine Waffen bei mir.«
»Du unterschätzt dich«, sagte ich.
Sie schien geschmeichelt zu sein. Aus ihrer schmutzigen Kleidung suchte sie sich ein Stück Unterkleid heraus, etwas Blauseidenes, das die Schultern frei ließ, zog es über und band es mit einem Gürtel aus Schleierseide zusammen. Mehr nahm sie nicht. Überraschenderweise schien sie keinen Gedanken mehr an ihr Aussehen zu verschwenden; sie wirkte ehrlich erleichtert, die hinderliche Festkleidung der Tochter des Ubar los zu sein. Das Unterkleid, das natürlich für ihre hohen Schuhe berechnet war, hing ihr über die Füße. Auf ihre Bitte schnitt ich ihr den Stoff zurecht, bis er einige Zentimeter über den Fußgelenken endete.
»Danke«, sagte sie.
Ich lächelte sie an. Das schien eine völlig neue Talena zu sein.
Sie wanderte auf der Lichtung umher. Offensichtlich gefiel sie sich sehr; sie drehte sich mehrmals im Kreise und schien sich an der neugewonnenen Bewegungsfreiheit zu freuen.
Ich nahm einige Ka-la-na-Früchte auf und öffnete zwei Eßrationen.
Talena setzte sich neben mir ins Gras. Wir teilten uns die Mahlzeit.
»Tut mir leid, was mit deinem Vater geschehen ist«, sagte ich.
»Er war der Ubar aller Ubars«, sagte sie und zögerte einen Augenblick.
»Das Leben eines Ubar ist stets gefahrvoll.« Nachdenklich starrte sie ins Gras. »Er muß gewußt haben, daß es eines Tages so kommen würde.«
»Hat er denn nie mit dir darüber gesprochen?« fragte ich.
Sie warf den Kopf zurück und lachte. »Stammst du denn nicht aus Gor?
Ich habe meinen Vater nur bei den öffentlichen Feiern gesehen. Die Töchter der Hohen Kasten werden in Ar in den Hohen Gärten aufgezogen, wie Blumen, bis irgendein hochgeborener Bräutigam, vorzugsweise ein Ubar oder ein Administrator, den Brautpreis zahlt, der von den Vätern festgelegt ist.«
»Soll das heißen, daß du deinen Vater überhaupt nicht gekannt hast?« fragte ich.
»Ist das denn in deiner Stadt anders, Krieger?«
»Ja«, sagte ich und dachte daran, daß in Ko-ro-ba die Familie noch immer in hohen Ehren stand. Ich überlegte, ob das vielleicht auf den Einfluß meines Vaters zurückzuführen war, dessen irdische Einstellung zuweilen mit den rauhen Sitten auf Gor in Konflikt geriet.
»Das würde mir wohl gefallen«, sagte sie. Dann musterte sie mich eingehend. »Aus welcher Stadt kommst du, Krieger?«
»Nicht aus Ar«, erwiderte ich.
»Darf ich deinen Namen wissen?«
»Ich heiße Tarl.« ' »Ah, du bist Tarl Cabot aus Ko-ro-ba, nicht wahr?«
Ich konnte mein Erstaunen nicht verbergen, und sie lachte fröhlich.
»Wußte ich's doch«, sagte sie.
»Woher?«
»Der Ring«, fuhr sie fort und deutete auf das rote Metallband, das meinen rechten Mittelfinger umspannte. »Das ist das Zeichen Cabots, des Administrators von Ko-ro-ba, und du bist sein Sohn Tarl, den die Krieger von Ko-ro -ba in der Kunst des Kampfes unterwiesen haben.«
»Die Spione Ars sind sehr tüchtig«, sagte ich.
»Tüchtiger als die Attentäter von Ar«, sagte sie. »Pa-Kur, Ars Meisterattentäter, sollte dich töten, aber er hat versagt.«
Ich erinnerte mich an den Anschlag im Haus meines Vaters – ein Anschlag, der bestimmt gelungen wäre, wenn der Ältere Tarl nicht so wachsam gewesen wäre.
»Ko-ro-ba ist eine der wenigen Städte, die mein Vater gefürchtet hat«,
sagte Talena, »weil ihm bewußt war, daß sie eines Tages vielleicht andere Städte gegen ihn führen könnte. Wir in Ar waren der Meinung, daß er dich zu diesem Zwecke ausbilden ließ, und deshalb wollten wir dich beseitigen.« Sie hielt inne und sah mich an. »Wir hätten aber nie vermutet, daß du unseren Heimstein stehlen wolltest.«
»Woher weißt du das alles?« fragte ich.
»Oh, die Frauen im Hohen Garten wissen Bescheid«, erwiderte sie.
Ich begann die Rationen aufzuteilen, die ich den Soldaten abgenommen hatte.
»Was tust du?« fragte Talena.
»Ich gebe dir eine Hälfte der Nahrungsmittel«, erwiderte ich. »Aber warum?« fragte sie mit besorgtem Blick. »Weil ich dich verlasse«, sagte ich und schob ihr einen Anteil hinüber und auch eine der Wasserflaschen. Zuletzt warf ich ihr einen Dolch zu. »Den kannst du vielleicht gebrauchen.«
Die Tochter des Ubar schien sprachlos zu sein. Ihre Augen weiteten sich fragend, doch in meinem Gesicht stand nur Entschlossenheit.
Ich packte meine Sachen zusammen und war abmarschbereit. Das Mädchen stand auf und nahm ihr kleines Bündel über die Schulter. »Ich gehe mit dir«, sagte sie. »Und du kannst es nicht verhindern.«
»Und wenn ich dich an diesen Baum kette?« fragte ich. »Du bist nicht wie die anderen Krieger aus Ar«, sagte sie. »So etwas würdest du nicht tun.« »Du darfst mir nicht folgen.« »Allein bin ich verloren.«