»Wer bist du?« fragte der Mann.
»Ich bin Tarl aus Bristol«, antwortete ich.
»Bristol?« erwiderte der Krieger ratlos.
»Hast du noch nie davon gehört?« fragte ich ungläubig.
»Nein«, gab er offen zu. »Ich bin Kazrak aus Port Kar, im Dienste Mintars aus der Kaste der Kaufleute.«
Port Kar war mir bekannt. Es handelte sich um eine Stadt im Voskdelta, die ziemlich verrufen war.
Der Krieger deutete mit seiner Lanze auf Talena. »Wer ist das?« fragte er.
»Du brauchst ihren Namen oder ihre Herkunft nicht zu kennen«, sagte ich.
Der Krieger lachte und schlug sich auf die Schenkel. »Du willst mir wahrscheinlich einreden, daß sie aus einer Hohen Kaste stammt«, sagte er. »Sicher ist sie nur die Tochter eines Ziegenhüters.«
»Gibt es Neuigkeiten aus Ar?« fragte ich, ohne mich um Talenas nervöses Zusammenzucken zu kümmern.
»Dort herrscht Krieg«, sagte der Reiter erfreut. »Während die Bewohner Ars miteinander um die Zylinder kämpfen, sammelt sich eine Armee aus fünfzig Städten an den Ufern des Vosk. Sie will in Ar einfallen. Dort unten gibt es ein Lager, wie man es selten sieht – eine Stadt aus Zelten, pasanggroße Tharlarionweiden, und die Flügel der Tarns klingen wie Donner aus dem Himmel.«
Ihre Stimme klang gedämpft unter der Haube, als Talena jetzt sagte: »Die Geier kommen und fallen über die verwundeten Tarnkämpfer her.«
Es war ein goreanisches Sprichwort.
»Ich habe das Mädchen nicht angesprochen«, sagte der Krieger. »Sie trägt ihre Fesseln wohl noch nicht lange.«
»Welches ist dein Ziel?« fragte ich.
»Die Stadt der Zelte am Ufer des Vosk«, erwiderte der Krieger.
»Was gibt es Neues vom Ubar Marlenus?« fragte Talena.
»Du solltest sie schlagen«, sagte der Krieger, gab jedoch Antwort.
»Nichts. Er ist geflohen.«
»Und was gibt es Neues über den Heimstein von Ar und die Tochter des Marlenus?« fragte ich. So etwas mußte jeden Mann in Ar interessieren.
»Der Heimstein wird in hundert Städten vermutet. Man sagt auch, daß er vernichtet wurde. Nur die Priesterkönige wissen das!«
»Und die Tochter von Marlenus?«
»Sie ist bestimmt im Schlafgemach des kühnsten Tarnkämpfers auf Gor«, sagte der Krieger lachend. »Ich hoffe, er hat so viel Glück mit ihr wie mit dem Heimstein. Sie soll das Temperament eines Tharlarion haben – und ein entsprechendes Gesicht dazu.«
Talena erstarrte. »Ich habe gehört«, sagte sie hochmütig, »daß die Tochter des Ubar die schönste Frau auf ganz Gor ist.«
»Das Mädchen gefällt mir«, sagte der Krieger. »Überlaß sie mir!«
»Nein«, erwiderte ich.
»Überlaß sie mir, oder mein Tharlarion zertritt dich«, schnappte er. »Oder möchtest du lieber von meiner Lanze aufgespießt werden?«
»Du kennst die Regeln«, sagte ich ruhig. »Wenn du sie willst, mußt du mich herausfordern und mir die Wahl der Waffen überlassen.«
Das Gesicht des Kriegers verdunkelte sich. Dann warf er den prächtigen Kopf zurück und lachte. Seine Zähne schimmerten hell durch seinen buschigen Bart. »Einverstanden!« brüllte er, befestigte seine Lanze am Sattel und glitt zu Boden. »Ich fordere dich!«
»Schwert«, sagte ich.
»Gut«, erwiderte er.
Wir schoben die erschreckte Talena zur Seite, die nun mit ansehen mußte, wie zwei entschlossene Krieger um sie kämpften. Kazrak aus Port Kar war ein ausgezeichneter Schwertkämpfer, doch wir wussten bereits nach den ersten Sekunden, daß ich ihm überlegen war. Sein Gesicht war bleich unter seinem Helm, als er meinen wilden Angriff zu parieren versuchte. Einmal trat ich zurück und senkte die Schwertspitze zum Boden, die symbolische Gnadenbezeigung, falls er den Kampf abbrechen wollte. Aber das schien ihn noch mehr aufzubringen, denn er nahm seinen Angriff mit doppelter Kraft wieder auf.
Schließlich gelang es mir nach einem besonders heftigen Schlagwechsel, meine Klinge in seine Schulter zu bohren, und als sein Schwertarm herabsank, schlug ich ihm die Waffe aus der Hand. Stolz stand er auf der Straße und wartete auf den tödlichen Streich.
Ich wandte mich um und trat neben Talena, die niedergschlagen am Straßenrand stand und nun dem Augenblick entgegenfieberte, da ihr der Sieger die Haube abnehmen würde.
Als sie mich erblickte, stieß sie einen kleinen Freudenschrei aus. Dann sah sie den verletzten Krieger. Sie erschauderte. »Töte ihn!« befahl sie.
»Nein«, sagte ich.
Der Krieger, der sich seine blutende Schulter hielt, lächelte bitter. »Sie war den Kampf wert«, sagte er und musterte Talena.
Das Mädchen zerrte ihren Dolch aus meinem Gürtel und rannte auf den Mann zu. Im letzten Augenblick konnte ich verhindern, daß sie ihm die Klinge in die Brust stieß.
Er hatte sich nicht von der Stelle gerührt. »Du solltest sie mal auspeitschen«, sagte er sachlich.
Ich trennte einige Zentimeter Stoff vom Saum ihres Kleides ab, was Talena wütend über sich ergehen ließ. Ich hatte die Wunde kaum verbunden, als ich metallische Geräusche vernahm und mich plötzlich von berittenen Lanzenträgern umgeben sah, die die gleiche Kleidung trugen wie Kazrak. Hinter ihnen war eine lange Reihe breiter Tharlarions sichtbar, die die vierbeinige Abart der Rasse sind. Diese Ungeheuer zogen mächtige Wagen, die vollbepackt waren unter roten Planen. »Das ist die Karawane Mintars aus der Kaste der Kaufleute«, sagte Kazrak.
10
»Tut ihm nichts«, sagte Kazrak. »Er ist mein Schwertbruder, Tarl aus Bristol.« Kazraks Bemerkung entsprang dem seltsamen Kodex der Krieger auf diesem Planeten, Regeln, die ihm so selbstverständlich waren wie das Atmen. Männer, die das Blut ihres Gegners vergossen haben, werden Schwertbrüder, sofern nicht das Blut auf der Waffe verflucht wird. Das ist eine Regel, die, losgelöst von jeder Heimstein-Bindung, nur die beiden beteiligten Kämpfer angeht. Die Wand von Lanzen teilte sich und ließ den Kaufmann Mintar hindurch. Eine juwelenbesetzte Sänfte hing zwischen zwei langsam hin und her schwankenden Tharlarions – Die Ungeheuer wurden angehalten, und die Vorhänge der Sänfte teilten sich. Auf bestickten Kissen saß ein riesig wirkender Mann, dessen Kopf so rund war wie ein Tarnei und dessen Augen sich fast in den Fettpolstern seines Gesichts verloren. Ein dünnes Haarbüschel senkte sich von seinem dicken Kinn herab. »So«, sagte der Kaufmann mit schnellem Blick, »Kazrak aus Port Kar hat also seinen Meister gefunden.« »Ich bin zuvor noch nie besiegt worden«, erwiderte Kazrak stolz. »Wer bist du?« wandte sich Mintar an mich. »Tarl aus Bristol«, sagte ich. »Und das ist meine Frau, die ich durch das Recht des Schwertes für mich beanspruche.« Mintar ließ nicht erkennen, daß er von der Stadt Bristol noch nicht gehört haben konnte. Er schloß kurz die Augen und wandte sich dann an seine Reiter, die mich umgaben. »Möchte jemand aus meinen Diensten um die Frau des Tarl aus Bristol kämpfen?« fragte er.
Die Krieger rutschten unruhig in den Sätteln hin und her. Mintar lachte verächtlich, dann verdüsterte sich sein Gesicht. »Tarl aus Bristol«, sagt er. »Du hast meinen besten Kämpfer außer Gefecht gesetzt. Du bist mir etwas schuldig. Kannst du den hohen Sold für einen solchen Kämpfer bezahlen?«
»Ich habe kein anderes Vermögen als dieses Mädchen«, sagte ich, »und sie gebe ich nicht auf.«
Mintar schnaubte. »In den Wagen habe ich vierhundert Mädchen, die genauso hübsch sind.« Er musterte Talena eingehend, doch sein Blick blieb nüchtern. »Sie brächte nicht einmal die Hälfte des Geldes, das ich für einen Kämpfer wie Kazrak ausgeben müßte.«
Talena fuhr zusammen, als hätte sie einen Schlag ins Gesicht erhalten.
»Dann kann ich nicht bezahlen, was ich dir schulde«, sagte ich.
»Ich bin ein Kaufmann«, erwiderte Mintar, »und es gehört zu meinen Prinzipien, daß ich alle Schulden eintreibe.« , Ich wappnete mich, mein Leben teuer zu verkaufen. Seltsamerweise machte ich mir am meisten Sorgen darüber, was aus dem Mädchen werden sollte.