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Mintar griff in seinen Beutel und zog eine große goldene Tarnmünze heraus. Er warf sie Kazrak zu. »Ich nehme an, daß du meine Dienste verlassen willst«, sagte er.

»Ich muß«, erwiderte Kazrak.

»Wo sind die Zelte Pa-Kurs?« fragte ich.

»Sie liegen an der höchsten Stelle des Lagers, nahe dem zweiten Graben, direkt gegenüber dem großen Stadttor Ars. Das schwarze Banner der Kaste der Attentäter ist nicht zu übersehen.«

»Vielen Dank«, sagte ich. »Obwohl du der Kaste der Kaufleute angehörst, bist du ein mutiger Mann.«

»Ein Kaufmann kann so mutig sein wie ein Krieger, junger Tarnsmann«,

sagte Mintar lächelnd. Er schien fast verlegen zu sein. »Sehen wir es einmal so. Wenn Marlenus die Stadt zurückgewinnt – erhält dann Mintar nicht alle Monopole, die er sich wünscht?«

»Ja«, sagte ich. »Aber Pa-Kur wird darin sicher nicht weniger großzügig sein als Marlenus.«

»Sogar noch großzügiger«, berichtigte mich Mintar und schaute wieder auf das Spielbrett, »aber Pa-Kur spielt dieses Spiel leider nicht.«

16

Kazrak und ich kehrten zu seinem Zelt zurück, und bis zum frühen Morgen diskutierten wir unsere Chancen, Talena zu retten. Wir wälzten Pläne, die aber keine großen Erfolgsaussichten zu haben schienen. Es wäre Selbstmord gewesen, einen direkten Übergriff zu wagen, und doch schien mir nichts anderes übrigzubleiben. Bis die Stadt fiel oder Pa-Kur seine Pläne änderte, war sie wohl einigermaßen sicher. Doch konnte ich es kaum ertragen, sie in den Zelten Pa-Kurs zu wissen, und ich wußte, daß ich mich nicht mehr lange beherrschen konnte. Im Augenblick gewann jedoch Kazraks nüchterne Überlegung die Oberhand.

Ich blieb in den nächsten Tagen in seiner Nähe und wartete meinen Augenblick ab. Ich färbte mein Haar schwarz und beschaffte mir Helm und Uniform eines Attentäters. An der linken Seite des schwarzen Helmes befestigte ich den goldenen Streifen eines Kuriers. In dieser Verkleidung wanderte ich nun zwischen den Zelten herum, beobachtete die Belagerung und die Bewegungen der Truppen. Von Zeit zu Zeit erkletterte ich einen der im Bau befindlichen Belagerungstürme und betrachtete die Stadt Ar und die Kämpfe, die zwischen dem ersten Graben und der äußeren Befestigungsmauer im Gange waren. In regelmäßigen Abständen schrillten Alarmtöne durch die Luft, wenn die Stadtstreitkräfte Ausfälle machten. Derartige Kämpfe tobten fast täglich auf irgendeiner Seite der Stadt und endeten mit unterschiedlichem Ergebnis. Dennoch konnte kein Zweifel bestehen, daß Pa-Kurs Leute in der besseren Position waren. Der Nachschub an Soldaten und Material schien für Pa-Kur unerschöpflich; außerdem hatte er eine schlagkräftige Tharlarionkavallerie zur Verfügung – eine Waffe, die den Verteidigern der Stadt völlig abging.

Oft war der Himmel mit Tarnkämpfern aus Ar und aus dem Lager angefüllt, die in die gedrängt marschierenden Soldaten schössen oder sich in einigen hundert Metern Höhe auf Duelle einließen. Doch mit der Zeit wurde die Armee der Tarnkämpfer aus der Stadt kleiner, mußte der Übermacht Pa-Kurs immer öfter nachgeben. Am neunten Tag der Belagerung hatte Pa-Kur die Lufthoheit gewonnen, und auch die Bodenausfälle der Stadtsoldaten unterblieben. Es bestand für die Eingeschlossenen keine Hoffnung mehr, die Belagerung durch Kampf zu beenden. Die Städter blieben hinter ihren Mauern, versteckten sich unter ihren Tarndrähten und warteten auf die Angriffe, während die Wissenden der Stadt den Priesterkönigen ihre Opfer darbrachten. Am zehnten Tag der Belagerung wurden kleine Katapulte von Tarns über die Gräben geflogen und begannen sogleich ihre

Artillerieduelle mit entsprechenden Waffen auf den Mauerkronen. Gleichzeitig schoben Belagerungssklaven die Linien der spitzen Pfähle voran. Nach etwa viertägigem Bombardement – das vermutlich ohne große Wirkung blieb, begann der erste Generalangriff. Einige Stunden vor Sonnenaufgang setzten sich die riesigen Belagerungstürme in Bewegung. Sie waren ringsum mit Stahlplatten besetzt, um den Feuerbränden und dem heißen Teer der Verteidiger zu widerstehen. Gegen Mittag waren sie auf Bogenschußweite heran. Nach Einbruch der Dunkelheit erreichte der erste Turm im Fackelschein die Mauern. Innerhalb einer Stunde waren drei weitere Türme am Ziel. Ringsum schwärmten die Krieger. In der Luft darüber trafen sich Tarnkämpfer zum tödlichen Duell. An Strickleitern stiegen die Verteidiger der Stadt vierzig Meter an ihrer Mauer herab, um die Spitzen der Türme zu erreichen. Durch kleine Tore griffen die Städter die Türme auch von unten an, wurden jedoch von Pa-Kurs Reihen zurückgedrängt. Von den Mauerkronen regneten Steine und sonstige Geschosse auf die Türme herab. In den Türmen beugten sich schwitzende Sklaven unter den Peitschen ihrer Aufseher und zerrten an den Ketten, die die gewaltigen Stahlrammen hin und her schwingen ließen.

Einer der Belagerungstürme wurde untergraben und stürzte zur Seite, ein zweiter wurde erobert und angesteckt. Doch fünf weitere Türme rollten langsam auf die Stadtmauern zu. Einer Streitmacht von Tarnkämpfern gelang es, mehrere Bogenschützen in der Stadt abzusetzen, die großen Schaden anrichteten. Am zwanzigsten Tag herrschte große Freude in Pa-Kurs Lager, denn an einer Stelle waren die Tarndrähte durchschnitten, und eine Abteilung Speerkämpfer hatte das Hauptwasserreservoir Ars erreicht und vergiftet. Nun lebte die Stadt im wesentlichen von ihren Privatbrunnen, und man hoffte, daß Wasser und Nahrungsmittel knapp würden, damit sich die Wissenden, die bei der Verteidigung nicht gerade geschickt vorgegangen waren, bald einer hungrigen und verzweifelten Bevölkerung gegenübersahen. Was aus Marlenus geworden war, wußte ich nicht. Ich vermutete, daß er sich Zutritt zur Stadt verschafft hatte und nun den rechten Augenblick abwartete. Doch in der vierten Woche kam schlimme Kunde. Offenbar hatte man Marlenus entdeckt und ihn in dem Zylinder der Heimsteine eingeschlossen, in jenem Gebäude, das einmal sein Palast gewesen war.

Wie es schien, hatten Marlenus und seine Streiter das obere Stockwerk und das Dach des Zylinders in der Gewalt, doch er vermochte nichts mehr mit den Heimsteinen anzufangen, die nun so nahe waren. Er und seine Männer hatten keine Tarns, und der Rückweg war ihnen abgeschnitten. Außerdem waren die Tarnnetze in der Nähe des Zentralturms besonders dicht und mußten jeden Rettungsversuch zunichte machen.

Pa-Kur war natürlich zufrieden, Marlenus seinen Gegnern zu überlassen.

Ich fragte mich, wie lange Marlenus aushallen konnte. Mein Plan hinsichtlich der Heimsteine war jedenfalls fehlgeschlagen, und Marlenus, auf den ich mich verlassen hatte, war – wie es am Spielbrett geheißen hätte – ausgeschaltet, wenn nicht gar ganz aus dem Spiel genommen.

Verzweifelt besprachen Kazrak und ich diese Dinge. Es erschien uns unwahrscheinlich, daß Ar die Belagerung überstehen würde. Eines mußten wir auf jeden Fall versuchen – Talena zu retten. Ein neuer Plan kam mir in den Sinn.

»Die Belagerung könnte vielleicht durchbrochen werden«, sagte ich, »wenn Pa-Kur überraschend angegriffen würde – und zwar von hinten, von der ungeschützten Seite seines Lagers her.«

Kazrak lächelte. »Das stimmt. Aber woher soll die Armee kommen?«

Ich zögerte einen Augenblick und sagte dann: »Aus Ko-ro-ba oder auch Thentis.«

Kazrak starrte mich ungläubig an. »Hast du den Verstand verloren?«

fragte er. »Die Freien Städte werden sich hüten! Es liegt doch in ihrem Interesse, daß Ar fällt.«

»Und wie soll das werden«, fragte ich, »wenn Pa-Kur auf dem Thron der Stadt sitzt?«

Kazrak runzelte die Stirn.

»Pa-Kur wird Ar nicht vernichten«, sagte ich, »und er wird seine Horde nach Möglichkeit zusammenhalten. Marlenus hat von einem Imperium geträumt – Pa-Kurs Ehrgeiz dagegen kann nur in einen Alptraum der Unterjochung führen.«

»Du hast recht«, sagte Kazrak.

»Warum sollten sich also die Freien Städte Gors nicht zusammenschließen, um Pa-Kur zu besiegen? Marlenus ist keine Gefahr mehr; selbst wenn er überlebt, ist er ein Ausgestoßener.«