Kazraks Tarn war auf dem Zylinderdach gelandet, gefolgt von meinem Vater und fünfzig anderen Streitern. Die Attentäter Pa-Kurs warfen bereits die Waffen fort und wurden mit schnellen Bewegungen gefesselt.
Auch Pa-Kur hat dies alles gesehen, ehe wir uns nun wieder gegenüberstanden. Ich neigte mein Schwert zum Boden und bot Pardon.
Doch Pa-Kur schnaubte nur verächtlich durch die Nase und griff an. Ich widerstand ihm mit sauberen Paraden, und nach einem längeren heftigen Schlagabtausch wußte ich, daß ich ihn besiegen konnte.
Nun ergriff ich die Initiative und begann ihn zurückzudrängen – Schritt um Schritt näherten wir uns dem Rand des Zylinders. Ruhig sagte ich: »Ich kann dich töten.« Ich wußte, daß ich die Wahrheit sprach.
Ich schlug ihm die Klinge aus der Hand. Klirrend rutschte sie über den Marmorboden.
»Ergib dich«, sagte ich, »oder nimm dein Schwert.«
Wie eine zuschnappende Kobra setzte sich Pa-Kur wieder in den Besitz seiner Waffe. Der Kampf begann erneut, und zweimal verletzte ich ihn, beim zweitenmal hatte ich fast die Position, die ich brauchte. Ich benötigte nur noch wenige Schläge, und der Attentäter würde leblos zu meinen Füßen liegen.
Pa-Kur schien das auch zu spüren, denn plötzlich schleuderte er sein Schwert nach mir. Er verletzte mich an der Seite, und ich spürte die Wärme des hervorströmenden Blutes. Pa-Kur und ich sahen uns an, ohne Haß. Hochaufgerichtet stand er vor mir, unbewaffnet.
»Du wirst mich nicht als Gefangenen heimführen«, sagte er. Er wandte sich um und sprang ins Leere.
Langsam trat ich an den Rand des Zylinders. Von dem Obersten Attentäter war nichts mehr zu sehen. Sein zerschmetterter Körper würde tief unten von der Straße genommen und öffentlich aufgespießt werden.
Ich steckte mein Schwert fort, ging zu Talena und löste ihre Fesseln.
Zitternd stand sie neben mir, und ich nahm sie in die Arme. »Ich liebe dich«, sagte ich.
Wie hielten uns umschlungen. »Ich liebe dich«, hauchte sie. Hinter uns erdröhnte Marlenus gewaltiges Gelächter. Talena und ich fuhren auseinander.
Der Ubar klopfte mir auf die Schulter. Dann ging er zu seiner Tochter und nahm ihren Kopf zwischen die Hände. »Ja«, sagte er, als sähe er seine Tochter zum erstenmal. »Sie ist es wert, die Tochter eines Ubar zu sein. »Schenkt mir viele Enkel!« sagte er.
Ich sah mich um. Mein Vater betrachtete mich wohlwollend. In der Ferne war Pa-Kurs Lager ein Trümmerfeld aus verkohlten Pfählen. Die Besatzungsmacht in der Stadt hatte sich ergeben. Außerhalb der Mauern hatte die Horde ihre Waffen abgeliefert. Ar war gerettet.
Talena blickte zu mir auf. »Was wirst du mit mir tun?« fragte sie.
»Ich nehme dich mit nach Ko-ro-ba«, sagte ich. »In meine Stadt.«
»Als deine Sklavin?« Sie lächelte.
»Wenn du mich haben willst – als meine Freie Gefährtin.« »Ich nehme dich, Tarl von Ko-ro-ba«, sagte Talena. »Ich nehme dich als meinen Freien Gefährten.«
Sie lachte, und ich hob sie in den Sattel meines Tarn. »Bist du ein richtiger Krieger?« fragte sie.
»Das werden wir sehen!« erwiderte ich lachend. Den rauen Heiratssitten Gors entsprechend, sträubte sie sich, wand sich hin und her und tat, als wollte sie nicht mitfliegen, und ich zog sie vor mich auf den Sattel. Handgelenke und Beine wurden gefesselt, und dann lag sie quer über dem Rücken des Tarn, eine hilflose Gefangene aus Liebe und eigener Entscheidung. Die Krieger lachten, Marlenus am lautesten. »Es scheint, als gehöre ich dir, kühner Tarnsmann«, sagte sie. »Was willst du nun mit mir tun?« Anstelle einer Antwort zog ich am ersten Zügel, und der große Vogel erhob sich in die Luft, höher und höher, bis in die Wolken, und sie rief: »Jetzt, mein Tarl!« Und noch ehe wir die Stadt ganz hinter uns lassen konnten, hatte ich ihre Fesseln schon gelöst und ihren Umhang in die Straßen hinabgeworfen, um ihrem Volk Kunde zu geben vom Schicksal der Tochter ihres Ubar.
20
Es wird nun Zeit für den einsamen Schreiber dieser Zeilen, seinen Bericht abzuschließen – ohne Bitterkeit und ohne Resignation. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß ich eines Tages vielleicht nach Gor zurückkehren darf. Diese letzten Absätze werden in einer Wohnung in Manhattan geschrieben, im sechsten Stockwerk hoch über dem Lärm des Nachmittagsverkehrs. Die Sonne scheint, und ich weiß, daß irgendwo dahinter, als Gegenstück zu meinem Heimatplaneten, eine andere Welt existiert. Und ich frage mich, ob auf dieser Welt ein Mädchen, das jetzt eine Frau ist, an mich denkt und vielleicht an die Geheimnisse meiner Heimatwelt, von denen ich ihr berichtet habe. Mein Schicksal war erfüllt, ich hatte den Priesterkönigen gedient, eine Welt hatte sich verändert. Nicht länger benötigt, wurde ich zurückgeschickt. Vielleicht hielten mich die Priesterkönige Gors für gefährlich, vielleicht wurde ihnen klar, daß ich sie nicht anbetete, vielleicht neideten sie mir auch meine Liebe für Talena. Aufgrund meines Einspruchs wurden die besiegten Armeen Pa-Kurs sehr großzügig behandelt. Die Heimsteine der zwölf Unterworfenen Städte wurden zurückgegeben, und die Kämpfer dieser Städte durften in ihre Heimat zurückkehren. Der größte Teil der Söldner wurde ein Jahr lang als Arbeitssklaven einbehalten, die die großen Gräben und Belagerungstunnel wieder auffüllen und die Mauern Ars reparieren sollten. Die Offiziere Pa-Kurs wurden nicht aufgespießt, sondern wie einfache Soldaten behandelt. Die Angehörigen der Kaste der Attentäter mußten als Galeerensklaven arbeiten. Seltsamerweise blieb der Körper Pa-Kurs unauffindbar.
Marlenus unterwarf sich dem Rat der Hohen Kasten seiner Stadt. Zwar wurde das Todesurteil der Wissenden widerrufen, doch aus Angst vor seinem Machtdrang wurde er aus der Stadt verbannt. Mit etwa fünfzig Getreuen zog er sich in die Voltai-Berge zurück, von wo er die fernen Türme seiner Stadt überschauen kann. Dort herrscht er wohl noch heute, ein Larl unter den Menschen, ein ausgestoßener König, für seine Gefolgsleute stets ein Ubar aller Ubars.
Die Freien Städte Gors benannten meinen Schwertbruder Kazrak zum vorläufigen Administrator Ars – eine Entscheidung, die später durch den Hohen Rat bestätigt wurde.
Als Talena und ich nach Ko-ro-ba zurückkehrten, fand dort ein großes Fest zur Feier unserer Gefährtenschaft statt. Ein Feiertag wurde ausgerufen, und die ganze Stadt erstrahlte in festlichem Glanz. Zu meiner Freude riß sich sogar Torm, der alte Schriftgelehrte, von seinen Rollen los, um mein Glück zu teilen.
An diesem Tag schworen wir uns ewige Treue, Talena und ich, solange wir lebten. Ich habe versucht, dieses Versprechen zu halten, und ich weiß das gleiche von ihr. Diese herrliche Nacht war voller Blumen, Fackeln und Ka-la-na-Wein und nach den süßen Stunden der Liebe entschlummerten wir in sanfter Umarmung.
Es mochte Wochen später gewesen sein, daß ich erstarrt und kalt in den Bergen von New Hampshire wieder erwachte, nahe dem flachen Plateau, auf dem das silberne Raumschiff gelandet war. Ich trug die gleiche Ausflugskleidung, die ich damals angehabt hatte; sie kam mir nun grob und eng vor. Menschen sterben, doch nicht an gebrochenem Herzen, denn wenn es das gäbe, wäre ich längst nicht mehr am Leben. Ich zweifelte an meinem Verstand, ich hatte die entsetzliche Befürchtung, daß all die Geschehnisse nur ein schrecklicher Traum gewesen waren. Ich saß allein in den Bergen, den Kopf in den Händen. Schweren Herzens richtete ich mich auf. Aber dann sah ich es, neben meinem Stiefel im Gras – einen kleinen, runden Gegenstand. Ich ließ mich auf die Knie fallen, nahm ihn an mich, und die Tränen liefen mir über das Gesicht, und mein Herz erlebte die traurigste Freude, die ein Mensch kennen kann. In meiner Hand hielt ich den Ring aus rotem Metall, der das Siegel Cabots trug. Das Geschenk meines Vaters. Ich schnitt mir mit dem Ring in die Hand, und ich lachte vor Freude, als ich den Schmerz spürte und das Blut sah. Der Ring war Wirklichkeit, und ich war wach, und es gab eine Gegenerde – und das Mädchen Talena. Als ich wieder in die Stadt kam, stellte ich fest, daß ich sieben Monate fort gewesen war. Es bereitete mir keine Schwierigkeiten, eine Amnesie vorzutäuschen – und welchen anderen Bericht hätte ich geben können über die Zeit, die inzwischen vergangen war ?