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»Der Stadtstaat«, sagte mein Vater eines Nachmittags, »ist die normale politische Einheit auf Gor – feindliche Städte, die das Territorium in ihrem Umfeld kontrollieren, umgeben von einem Niemandsland aus freien Gebieten.«

»Wie wird die Führung in diesen Städten festgelegt?« fragte ich. »Die Herrscher werden aus jeder beliebigen Hohen Kaste gewählt.« Ich runzelte die Stirn. »Nur aus Hohen Kasten?« »Das Kastensystem«, sagte mein Vater geduldig, »ist relativ unbeweglich, doch es ist nicht eingefroren und hängt nicht nur völlig von der Geburt ab. Wenn zum Beispiel ein Kind in der Schule unter Beweis stellt, daß es für eine höhere Kaste geeignet ist, wird ihm das ges tattet. Aber es gibt auch den umgekehrten Fall, wenn ein Kind nicht den Standard entwickelt, der von seiner Kaste erwartet wird.«

»Ich verstehe«, sagte ich, ohne wirklich zufriedengestellt zu sein. »Die Hohen Kasten jeder Stadt«, sagte mein Vater, »wählen auf eine bestimmte Zeit einen Administrator und einen Rat. Kommt eine Krise auf, wird ein Kriegsführer, ein Ubar, benannt, der als Alleinherrscher regiert, bis die Krise nach seiner Auffassung vorüber ist.« »Nach seiner Auffassung?« fragte ich skeptisch. »Gewöhnlich stellen die Ubars ihr Amt nach der Krise zur Verfügung«, sagte mein Vater. »Das gehört zum Kodex der Krieger.« »Aber was geschieht, wenn er sein Amt nicht abgibt?« fragte ich. Ich wußte inzwischen, daß man sich nicht immer auf die Einhaltung der Kastenregeln verlassen konnte.

»Will ein Ubar nicht zurücktreten, lassen ihn gewöhnlich seine Leute im Stich. Der Kriegsführer bleibt allein in seinem Palast zurück, den wütenden Volksmassen hilflos ausgeliefert.« Ich nickte und stellte mir einen leeren Palast vor, in dem ein Mann einsam auf seinem Thron saß, in Staatsroben gehüllt, und darauf wartete, daß die Menschenmengen hereinstürmten. »Aber«, fuhr mein Vater fort, »manchmal vermag ein Ubar die Herzen seiner Männer zu gewinnen, und dann bleiben sie bei ihm. Dann wird er ein Tyrann und herrscht, bis er auf die eine oder andere Weise gewaltsam beseitigt wird.« Das Gesicht meines Vaters war hart geworden. Er schien einen solchen Mann zu kennen. »Bis er gewaltsam beseitigt wird«, wiederholte er langsam. Am nächsten Morgen folgten neue, endlose Lektionen bei Torm. Gor war keine Kugel, sondern ein Sphäroid, etwas schwerer in der südlichen Hemisphäre. Die Neigung seiner Achse war etwas größer als die der Erde, doch nicht so groß, daß das Klima keinen Wechsel von Jahreszeiten kannte. Gor hatte zwei Polargebiete und eine Äquatorzone, zwischen denen sich im Süden und Norden gemäßigte Klimazonen erstreckten. Zu meiner Überraschung war ein Großteil der Landkarten weiß, aber auch so bereitete es mir gehöriges Kopfzerbrechen, alle bekannten Flüsse, Seen, Ebenen und Halbinseln auswendig zu lernen. Wirtschaftlich gesehen basierte das goreanische Leben auf der Arbeit des freien Landbewohners – die vielleicht niedrigste, aber auch gefestigtste Kaste. Grundnahrungsmittel war ein gelbes Korn, Sa-Tarna genannt – Lebenstochter. Interessanterweise wurde Fleisch als Sa-Tassna bezeichnet, was Lebensmutter bedeutet. Oberhaupt wird im allgemeinen Sprachgebrauch Sa-Tassna als Ausdruck für Lebensmittel gebraucht. Das schien mir darauf hinzudeuten, daß sich die Goreaner früher einmal vordringlich von der Jagd ernährt hatten. Allerdings blieb mir wenig Zeit zur Spekulation, da mich mein Lehrplan sehr in Anspruch nahm. Man schien die Absicht zu haben, mich in wenigen Wochen zu einem echten Goreaner zu machen. Aber diese Wochen machten mir auch Spaß, wie immer, wenn ich lernte und mich spürbar weiter entwickelte – auch wenn mir das letzte Ziel noch nicht bekannt war. In diesen Wochen kam ich mit vielen Goreanern zusammen, meistens Mitglieder der Kaste der Schriftgelehrten und der Kaste der Krieger.

Bisher hatte ich nur wenige Frauen gesehen, doch ich wußte, daß sie, wenn sie frei waren, innerhalb des Kastensystems nach den gleichen Regeln auf- oder abstiegen wie die Männer, obwohl dies offenbar von Stadt zu Stadt verschieden war. Im ganzen gefielen mir die Menschen hier, und ich war sicher, daß sie im wesentlichen von der Erde abstammten. Ihre Vorfahren mußten durch die sogenannten Akquisitionsreisen nach Gor gekommen und hier einfach freigelassen worden sein – wie Tiere in einem Waldreservat. Bei diesen Vorfahren mochte es sich um Chaldäer oder Kelten oder Syrer oder Engländer gehandelt haben, die im Verlaufe vieler Jahrhunderte aus den verschiedensten Zivilisationen hierherkamen. Die Kinder und Großkinder hatten sich dann natürlich zu Goreanern entwickelt, wodurch fast alle Spuren der irdischen Herkunft verschwanden. Von Zeit zu Zeit entzückte mich jedoch ein englisches Wort in der goreanischen Sprache – wie etwa ›Axt‹ oder ›Schiff‹. »Torm«, fragte ich einmal, »warum ist die irdische Herkunft nicht ein Teil des Ersten Wissens?« »Ist das nicht offensichtlich?« antwortete er. »Nein«, sagte ich.

»Ah!« erwiderte er und schloß langsam die Augen und schwieg einige Zeit. »Du hast recht«, sagte er schließlich. »Es ist nicht offensichtlich.« »Was tun wir also?« fragte ich. »Wir setzen unseren Unterricht fort.«

Das Kastensystem war zwar gesellschaftlich wirksam, doch ich hatte persönliche Bedenken. Es war meiner Meinung nach viel zu starr -insbesondere im Hinblick auf die Auswahl der Herrscher aus den Hohen Kasten und auf das Doppelte Wissen. Aber noch weitaus unschöner war die vorherrschende Sklaverei. Für den Goreaner gab es außerhalb des Kastensystems nur drei Lebensformen: Sklave, Gesetzesbrecher und Priesterkönig. Ein Mann, der seinem Beruf nicht nachgehen oder ohne Erlaubnis des Rates der Hohen Kasten seinen Status ändern wollte, war automatisch ein Gesetzesbrecher und mußte aufgespießt werden.

Das Mädchen, das ich am ersten Tag in meinem Zimmer gesehen hatte, war eine Sklavin gewesen, und das Band um ihren Hals, das ich für ein Schmuckstück hielt, war ihr Sklavenzeichen. Ein zweites Zeichen, ein Brandmal, war unter ihrer Kleidung versteckt. Dieses kennzeichnete sie als Sklavin, während das Halsband ihren Herrn identifizierte. Ich hatte das Mädchen nicht wiedergesehen und überlegte, was wohl aus ihr geworden war. Allerdings fragte ich nicht nach ihr. Es gehörte zu den ersten Erkenntnissen, die ich auf Gor gewann, daß Sorge um einen Sklaven fehl am Platze war. Ich hielt mich also zurück. Ich erfuhr von einem anderen Schriftgelehrten beiläufig, daß Sklaven freie Männer nicht unterweisen durften, weil das eine Schuld begründen würde, und weil niemand einem Sklaven etwas schuldete. Ich beschloß, mich nach besten Kräften gegen dieses erniedrigende System zu wehren. Ich sprach einmal mit meinem Vater darüber, der mir nur sagte, daß es auf Gor noch viel schlimmere Dinge als die Sklaverei gäbe.

Ohne Vorwarnung raste der bronzene Speer auf meine Brust zu. Ich drehte mich zur Seite, und die Spitze durchtrennte meine Tunika und zog eine blutige Furche über meine Haut. Das Metall bohrte sich zwanzig Zentimeter tief in einen Holzpfeiler hinter mir. Wäre ich nicht zur Seite gesprungen, hätte mich der Speer glatt durchbohrt. »Schnell genug ist er«, sagte der Mann, der den Speer geworfen hatte. »Ich nehme ihn.«

Das war meine erste Begegnung mit meinem Waffenmeister, der ebenfalls Tarl hieß. Ich werde ihn den Älteren Tarl nennen. Er wirkte wie ein blonder Wikinger, ein bärtiger Bursche mit fröhlichem, zerfurchten Gesicht und wilden blauen Augen, der die Welt als sein Eigentum zu betrachten schien. Er war ein stolzer Mann ohne Arroganz, ein Mann, der wußte, daß er seine Waffen beherrschte und mit jedem Gegner fertig werden konnte.

Mit der Zeit wurde ich gut mit ihm bekannt, denn der weitaus größte Teil meiner Ausbildung galt nun den Waffen – im Wesentlichen dem Training mit Schwert und Speer. Der Speer kam mir wegen der geringeren Schwerkraft besonders leicht vor, und ich entwickelte bald eine große Geschicklichkeit damit. Ich konnte auf kurze Entfernung einen Schild durchbohren und vermochte auf zwanzig Meter Entfernung ein Ziel von der Größe eines Suppentellers zu treffen.