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»Ja«, sagte José. Seine Augen waren jetzt nicht mehr vernebelt und sein Kopf schien wieder zu funktionieren. »Drüben in der Bucht, wo ich wohne. In der Buccaneer Cove. Sie hat heute Morgen da geankert.«

Die beiden pfiffen gleichzeitig durch die Zähne. »Und ist jemand an Land gegangen?«

»Gesehen hab ich keinen«, sagte José. »Sie hat weiter draußen geankert. Ich bin früh los, wollte was schießen … Das ist das Letzte, was ich weiß. Irgendwie ist da eine Lücke … in meiner Erinnerung.«

»Gehirnerschütterung«, sagte der eine Mann und nickte. »Das nächste Mal pass besser auf dich auf. Der, den wir suchen – womöglich schleicht er hier im Wald herum. Vielleicht war er es, der dir eine übergebraten hat. Obwohl ich nicht wüsste, warum.«

»Wer … wer ist das, den Sie suchen?«, fragte José.

Die beiden sahen sich an. »Jemand, der eine Karte besitzt«, sagte der eine. »Eine wichtige Karte.«

»Wichtig wofür?«, fragte José.

Für den, der einen alten Schatz finden will, dachte Jonathan.

»Wichtig für … den Krieg«, sagte der Ami. »Verstehst du?«

»Nein«, sagte José.

»Das brauchst du auch nicht. Wir bringen dich zurück nach drüben, zur Buccaneer Cove, und da schläfst du dir schön deine Gehirnerschütterung aus dem Kopf. Wir finden unseren Mann schon. Diesmal warten wir an Bord seines Honigbootes.«

»Ich habe so das Gefühl«, murmelte der andere, »dass das Schiff nicht mehr da sein wird, wenn wir die Bucht erreichen.«

Und damit, dachte Jonathan, hatte er recht. Es war nie da gewesen. Nicht in der Buccaneer Cove. Aber wenn sie José dorthin brachten, auf die andere Seite der Insel, würden sie merken, dass er nicht dort wohnte. Dass alles gelogen war.

Jonathan sah sich blitzschnell um. Vor ihnen stieg der Berg steil an. Der Wald wich zur Linken an einigen Stellen zurück und gab den Blick auf ein paar Felsen frei. Es sah nicht so aus, als wäre es schwer, hinaufzuklettern. Vielleicht war das seine Chance.

»Kannst du jetzt selbst gehen?«, hörte er einen der Amis fragen. Doch da saß Jonathan schon nicht mehr in seinem Versteck. Er tauchte im Dickicht an den dreien vorbei wie ein Schwimmer unter Wasser, und die Galapagosfinken beäugten voller Verwunderung das seltsame Tier, das da unter ihnen entlanghuschte. Warum hatte dieses Tier es so eilig?

Als der größere der beiden Männer José aufhalf, formten seine Lippen lautlos einen Fluch. Mierda! Was würde geschehen, wenn sie auf der anderen Seite der Insel ankamen? Er wusste nicht einmal, ob es wirklich Siedler auf Santiago gab.

Was würden die Amis mit ihm anstellen, wenn sie herausfanden, dass er gelogen hatte? Dass er es war, der das Honigboot gesegelt hatte, auf dem sich die Karte befand? Er begriff nicht, weshalb die Karte etwas mit dem Krieg zu tun hatte. Aber wenn sie das hatte, dann stimmte etwas mit diesen beiden Amerikanern nicht. Wenn sie ganz offiziell nach dieser Karte gesucht hätten, der Karte seines Vaters, dann hätten sie seinen Vater fragen können, damals schon, auf Baltra. Nein, diese beiden verfolgten ihr eigenes Ziel. Vielleicht waren sie überhaupt keine Amerikaner. Vielleicht … Sein Kopf dröhnte.

Wenn er sich nur nicht so elend fühlen würde! Jeder Schritt zuckte als Schmerzsignal durch sein Gehirn. Er würde es nicht schaffen, ihnen davonzulaufen. Auf der Mariposa wartete Jonathan, und vielleicht würde er für immer warten, vergeblich.

Da zischte etwas durch die Luft, und zuerst hielt José es für einen winzigen Vogel, doch dann hielt sich der, der voraus-ging, die Stirn und fluchte. Noch ein Nichtvogel kam geflogen. Steine. Jemand warf Steine. José duckte sich instinktiv, aber der dritte Stein traf nicht ihn, sondern wieder einen der Männer.

»Da oben!«, rief der Mann. »Auf den Felsen! Jemand ist auf den Felsen!«

»Und wirft Kiesel auf uns?«, fragte der andere. »Was soll das?«

»Er macht sich lustig über uns. Vielleicht ist es nur ein einheimisches Kind. Eines wie das, das wir auf der Lichtung aufgelesen haben.«

»Und wenn nicht?«

Die Frage blieb in der Luft stehen.

»Warte hier«, sagte einer der Männer. Ehe José ganz begriffen hatte, hatten sie ihn stehen lassen und waren auf dem Weg in die Felsen hinauf. Da bewegte sich etwas in Josés Hosentasche. Er machte einen Satz vor Schreck. Das, was sich bewegt hatte, war jetzt aus der Tasche geklettert, und kurz darauf rannte es als brauner Blitz über den Boden. Eine Ratte.

»Carmen«, flüsterte José erstaunt. Wieso war sie hier? Er wusste, dass er sie auf der Mariposa gelassen hatte, zusammen mit Oskar, dem Pinguin, und Jonathan … Carmen führte ihn ein Stück zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Dann schlüpfte sie ins Unterholz, dort, wo es am dichtesten war. José folgte ihr. Einen Moment saß er ganz still in dem grünen, modrigen Versteck und auch Carmen saß still. Sie wartete auf jemanden.

Und der Jemand kam.

»Hallo, José«, flüsterte Jonathan und kroch neben ihm ins Gebüsch. José wollte etwas sagen, doch da hörte er die Stimmen der Männer in der Ferne.

»… nicht mehr hier«, sagte einer von ihnen. »… stimmt etwas nicht.«

»Hier stimmt überhaupt nichts«, sagte der andere, näher jetzt. »Lass uns hinübergehen, zur Buccaneer Cove. Ich könnte wetten, der Kleine ist vor uns dort. Ist losgerannt, um jemanden zu warnen. Obwohl ich nicht begreife …«

Die Stimmen entfernten sich.

José atmete ein paarmal tief durch. »Frag mich jetzt bloß nicht, was passiert ist«, sagte er schließlich.

»Was ist passiert?«, fragte Jonathan.

Als sie den Strand erreichten, war es bereits Nachmittag. Auf Josés Stirn standen Schweißperlen, obwohl ein kühler Wind über den Pazifik strich.

»Du bist weiß wie ein Segel«, sagte Jonathan. »Lass mich das Gewehr hinüberbringen.«

José nickte stumm. Er schaffte es kaum, bis zu den Felsen zu schwimmen, zwischen denen die Mariposa gut verborgen vor Anker lag.

Gelegen hatte.

Der Platz zwischen den Felsen war leer.

José schloss einen Moment die Augen. »Jonathan«, sagte er, wassertretend. »Ich kann nicht mehr. Mir ist schlecht. Das ist alles falsch.«

»Ja«, sagte Jonathan. »Ich habe Oskar gesagt, er soll nicht allein wegsegeln, aber er hat sich wohl nicht daran gehalten.«

»Wer ist Oskar?«, fragte José erschöpft.

»Unser Pinguin.«

»Hör mal, das ist ein ziemlich schlechter Zeitpunkt für Witze.«

»Ich weiß«, sagte Jonathan. »Aber manchmal ist alles so … dumm, dass man nur noch Witze machen kann. Ich meine, hier trete ich mitten im Pazifik Wasser und halte ein Gewehr über dem Kopf und habe keine Ahnung, was ich tun soll.«

In diesem Moment pfiff jemand leise. José öffnete die Augen. »Carmen«, sagte Jonathan. »Hey! Musst du … über mein Gesicht …? Au!« Die Ratte hatte bis eben auf Jonathans Kopf gesessen, um nicht nass zu werden. Jetzt kletterte sie über seine Nase hinunter Richtung Wasser und sprang freiwillig hinein. Und dann schwamm sie los. Sie schwamm sehr zielstrebig. Nicht in Richtung Land, sondern um den äußersten der Felsen herum, in Richtung des offenen Meers. Jonathan und José folgten ihr verwundert. Und als sie die Ecke des Felsens erreichten, sahen sie etwas, das er bisher verborgen hatte: Da schaukelte ein Schiff auf den Wellen, ein honigfarbenes Schiff mit einer kleinen Kajüte.

Carmen erreichte die Mariposa als Erste.

Kurz darauf kletterte Jonathan die kleine metallene Leiter am Heck hoch und zog José ins Boot. »Sieh nach«, wisperte José und ließ sich auf eine der Bänke fallen, »ob jemand in der Kajüte ist. Ich wüsste nicht, wer … aber sieh nach!«

Die Tür zur Kajüte klemmte. »Ich kriege sie nicht auf«, sagte Jonathan voller Unbehagen. »Hilf mir mal.« Als José sich von der Bank erhob, packte ihn wieder der Schwindel.

Sie zogen gemeinsam am Griff der kleinen Tür, und José hatte das ungute Gefühl, dass sie sich nicht öffnen würde. Jemand hatte sie zugeschlossen. Von innen. Jemand … In diesem Moment gab die Tür plötzlich nach. Jonathan und José fielen rückwärts auf die Decksplanken. Jonathan setzte sich als Erster auf.