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»Natürlich«, antwortete Marit überrascht, und dann begriff sie und lachte. »Das alte Ehepaar war nur ein dummer Witz«, sagte sie. »Keine Sorge! Ich habe nicht vor, dir einen Heiratsantrag zu machen. Ich kann gar nichts anderes brauchen als einen Bruder. Aber den, den brauche ich sehr.«

Am nächsten Morgen saß ein großer gelber Hund im Höhleneingang.

»Marit«, sagte José leise. »Ist das wieder so ein Tier, das dir zuläuft?«

»Ich weiß nicht«, flüsterte Marit. »Woher kommt ein Hund auf einer unbewohnten Insel?«

»Es ist ein wilder Hund«, sagte José. »Die Piraten haben seine Vorfahren hergebracht. Genau wie die Rinder und die Ziegen auf den Inseln, die Schweine und Katzen …«

Marit stand auf und ging auf den Hund zu. »Möchtest du gezähmt werden?«, fragte sie.

Der Hund fletschte die Zähne und ein tiefes, heiseres Knurren drang aus seiner Kehle. Marit wich zurück. Er folgte ihr in die Höhle, noch immer knurrend.

Da stand José auf, klatschte in die Hände und schrie: »Verschwinde, Mistköter!«

Das half. Der Hund machte kehrt und floh aus der Höhle und der Wald verschluckte ihn wie einen Albtraum.

José schüttelte den Kopf. »Die Abuelita würde sagen, das war kein gewöhnlicher Hund«, sagte er. »Sie würde sagen: Das war ein Zeichen. Etwas wird geschehen … Aber die Abuelita redet gewöhnlich Unsinn.

Er reichte Marit eine Frühstücksorange und eine Glasscherbe, um die Orange zu schälen, und eine Weile saßen sie schweigend in der Morgensonne, die durch das Blätterdach fiel und grüne Muster auf die Erde vor der Höhle malte. Marit lutschte an ihrer Orange und folgte den grünen Mustern mit den Augen. Und plötzlich entdeckte sie noch eine andere Sorte von Muster.

»José«, flüsterte sie. »Siehst du das? Hier auf dem Höhlenboden?«

José nickte, und sie sah, wie er blass wurde. Es waren Spuren. Nicht die Spuren eines Hundes. Die Spuren von Menschen, kaum sichtbar auf der festgetretenen Erde, aber eindeutig vorhanden.

»Jemand war hier, José«, flüsterte Marit. »Jemand mit Schuhen ohne Profil. Es kann nicht so lange her sein. Vielleicht ist heute Nacht jemand hier vorbeigegangen. Während wir schliefen. Der Topf und die Glasscherben, sie sind nicht so alt, wie wir dachten. Und der Hund, José … wenn es kein wilder Hund war? Wenn er jemandem gehört?«

José holte tief Luft. »Es wird Zeit«, sagte er mit grimmiger Entschlossenheit, »dass wir herausfinden, was hier los ist. Wir brauchen nur den Spuren zu folgen.«

Marit nickte, obgleich ihr nicht wohl dabei war. »Folgen wir den Spuren.«

Doch die Spuren der profillosen Schuhe wurden nach zwei Metern von einem Teppich aus Laub verschluckt. Kurt, Uwe, Oskar, Carmen und Loco saßen aufgereiht im Höhleneingang, als Marit vom Boden aufsah. Es war, als fragten sie: »Seid ihr fertig damit, auf dem Boden herumzuschnüffeln? Und was habt ihr als Nächstes für seltsame Dinge vor?«

»Wir könnten in die ungefähre Richtung gehen, aus der sie kommen«, meinte José.

»Nein, warte«, sagte Marit. »Die Quelle! Wenn jemand hier ist, muss er irgendwann zur Quelle kommen, um Wasser zu holen.«

»Gut«, sagte José entschlossen. »Wir trennen uns. Ich gehe in die Richtung, aus der die Spuren kommen, und du versteckst dich bei der Quelle.«

Marit steckte Carmen in die Tasche und hob Oskar hoch.

»Nimm ihn mit«, sagte sie. »Es ist nicht gut, allein durch den Wald der Isla Maldita zu gehen.«

José grinste. »Mit einem so wehrhaften Wachpinguin ist es natürlich vollkommen sicher«, sagte er. »Genauso sicher wie mit deiner Kampfratte.« Gerade da flog Loco auf und setzte sich auf Marits Schulter. »Und mit einem Jagdtölpel.«

Marit nickte. »José, ist es wirklich klug, dass wir uns trennen?«, fragte sie.

Er grinste sein breitestes Grinsen. »Wir trennen uns ja nicht für ewig«, sagte er und streckte die Hand aus, und einen Moment dachte sie, er wollte ihr durchs Haar streichen. Doch er streichelte den Blaufußtölpel auf ihrer Schulter.

»Nein«, sagte sie und schluckte. »Wir trennen uns nicht für ewig.«

Und sie bemühte sich, ebenfalls zu grinsen. Aber sie hatte ein schlechtes Gefühl. Als wäre ihr letzter Satz eine Lüge.

José ging lange Zeit in die Richtung, aus der die Spuren kamen, ohne etwas zu finden.

Oskar saß auf seinem Arm und betrachtete die Bäume und Schlingpflanzen ringsum voller Verwunderung. Schließlich merkte José, dass er abwärtsging, und kurz darauf war er wieder am Strand. An einem anderen Stück Strand. Doch dieses Stück Strand war so unbewohnt wie jenes, an dem sie in der ersten Nacht geschlafen hatten. Er seufzte, setzte Oskar ab und sah zu, wie er über den Sand watschelte und ins Wasser tauchte.

Ein Dröhnen in der Luft ließ ihn zusammenzucken. Er hob den Kopf. Ein Flugzeug. Dort oben flog ein Flugzeug in einer schnurgeraden Linie durch den Himmel. Die metallenen Tragflächen fingen die Sonne ein, sie funkelten wie Juwelen, und José spürte ein schmerzhaftes Ziehen in seinen Eingeweiden. Wie gern wäre er dort oben gewesen, hoch in der Luft! Wie gern hätte er die Maschine selbst durch das Blau gesteuert, frei wie die Fregattvögel … Würde er je nach Baltra zurückkehren, um zu fliegen?

Das Dröhnen des Flugzeugmotors wurde leiser und versickerte in der dunstigen Ferne. Und dann hörte José etwas anderes. Er hörte einen Schrei. Jemand schrie, irgendwo hinter ihm im Wald, weit entfernt. Er verstand die Worte nicht, doch es war ein hoher und angsterfüllter Schrei, und José merkte, wie die Haare auf seinen Armen sich aufstellten.

War es Marit, die geschrien hatte?

Er machte kehrt, ließ Pinguin Pinguin sein und rannte zurück, zwischen den kargen Büschen hindurch, auf die Bäume zu. Es schrie noch einmal, und diesmal verstand er die Worte: »Ayudame! Hilf mir!«

Die Quelle lag friedlich und einsam auf ihrer Lichtung. Nur eine der Riesenschildkröten saß neben den Felsen im Schatten der Bäume. Daraus, dass die Schildkröte am Tag zuvor noch nicht da gewesen war, schloss Marit, dass dieses Exemplar noch lebte, auch wenn es sich in seinem Panzer verborgen hatte.

Sie selbst verbarg sich hinter einem Vorhang aus rot blühenden Lianen, der zwischen den Stämmen hing. Lange saß sie so, reglos, wartend. Loco der Blaufußtölpel saß geduldig neben ihr und schien sich zu fragen, ob Marit hier nisten wollte. Bis auf ein paar andere bunte Vögel blieb die Lichtung leer. Auch die Schildkröte regte sich nicht, und nach einer Weile begann der Panzer, Marit bekannt vorzukommen. Er hatte einen Sprung. Konnte es sein, dass jemand den Panzer von der letzten Kurve des gekennzeichneten Weges hier heraufgeschleppt hatte? Aber warum?

Sie streckte die Hand aus, um den Vorhang aus roten Blüten und grünen Blättern zu teilen und nachzusehen, ob in dem Panzer eine Schildkröte steckte – da lief etwas wie ein Zittern durch die Hornplatten. Marit atmete auf. Es war einfach nur ein Panzer mit einem ähnlichen Sprung, ein Panzer einer ganz und gar lebendigen Schildkröte. Gleich würden sich vier Beine und ein faltiger Hals aus dem Panzer strecken … Marit machte einen Schritt nach vorn. Sie konnte ihr Versteckspiel genauso gut für den Moment aufgeben und an der Quelle einen Schluck Wasser trinken. Die herabhängenden Äste gaben ein feines Rascheln von sich, als sie ihr Versteck verließ. Und da rief jemand. »Felipe! Felipe!«

Loco zuckte zusammen und machte mit seinen blauen Füßen einen Satz in die Luft. Wer hatte gerufen und von wo? Es war eine hohe, durchdringende Stimme gewesen, die Stimme eines Kindes, ganz nah. Aber da war niemand. Niemand außer der Schildkröte.

»Felipe, bist du das, der da raschelt? Ich warte schon eine Ewigkeit!«

Jetzt war Marit sich sicher: Es war die Schildkröte, die rief. Die uralte, riesige Schildkröte rief mit der Stimme eines Kindes. Marit schloss die Augen, um klar denken zu können. Es half nichts. Sie öffnete die Augen wieder.