Rudolf sah die Frau verwundert an, die sich aber dadurch nicht beirren ließ, sondern meinte: »Ein possierlicher Name, nicht wahr?« – »Allerdings. Kommt die Frau oft her?« – »Jetzt hat sie sich sechs Wochen lang nicht sehen lassen, vorgestern war sie aber wieder da. Sie geht ein bißchen lahm.« – »Und was hat sie bei dieser Frau Burette – so nannten Sie sie doch? – zu tun?« – »Ja, wer kanns wissen? Ich habe bloß bemerkt, daß beide – Rotarm sowohl als die Eule – wenn sie in das Stübchen eintreten, immer ein Paket unterm Arme haben, aber keines wieder mit hinausnehmen. Ganz geheuer ists in dem Stübchen nicht, denn immer riechts nach Schwefel, wenn sie drin sind, und fortwährend hört mans dann blasen, als wenn x Blasebälge arbeiteten. Ich denke mir, die Frau Burette hat allerhand Hexenwerk vor. Das denkt auch Herr Bradamanti, der oben im dritten Stock wohnt. O, das ist ein gar gelehrter Herr, dieser Bradamanti! Ein Italiener von Geburt, aber einer, der sich auf alle Kräuter versteht und den Menschen die Zähne auszieht wie das Donnerwetter, auch mit einem Haarwasser handelt, das an jeder Stelle des menschlichen Körpers einen richtigen Pelz hervorzaubert, sobald es, heißt das, genau nach Vorschrift angewandt wird, die nun freilich etwas sehr kompliziert sein soll. Er schneidet auch Hühneraugen und versteht, kranke Magen auszupumpen, und allerhand schöne Künste noch. Seit etwa vier Wochen hat Rotarm ihm seinen lahmen Jungen in die Lehre gegeben, um ihm Zucht und Sitte beizubringen, denn Rotarm hat alles Ernstes Bange, daß der Junge, wenn er ihn weiter so verwildern läßt, noch einmal am Galgen baumelt. Und so unrecht mag er damit wohl auch nicht haben, denn der Junge ist tatsächlich boshaft wie ein Affe und spielt dem ehrlichen Bradamanti manchen Teufelsstreich. Und Bradamanti hat schließlich auch Ursache, den Vorsichtskommissarius zu spielen, denn hin und wieder wird er auch von Mädchen aufgesucht, die unter den Folgen eines zu liebevollen Herzens zu leiden haben ...«
Die Pförtnersfrau raunte Rudolf ein paar Worte ins Ohr, die ihm ein gewisses Gruseln verursachten ... »Das sind ja recht garstige Geschichten,« sagte er, »die Sie da erzählen,« und blickte sich entsetzt um, als ob auf dem Hause ein böser Fluch laste ... »Sind denn solche Schandtaten wirklich möglich?« sagte er halblaut vor sich hin, »und kann ein Mensch dabei so ruhig und gleichgiltig bleiben wie diese alte Frau, wenn sie einem solch gräßliche Dinge mitteilt?« Und wieder dachte er des Briefes an den Scharlatan, der auf so geringwertiges Papier mit verstellter Hand geschrieben und dessen Adresse zum Teil verwischt war. In den Tränen, die darauf gefallen waren, meinte er den Schlüssel zu einem grausigen Drama zu wittern, und eine Ahnung schien ihm zu sagen, daß die über den Italiener im Umlauf befindlichen schrecklichen Gerüchte des triftigen Grundes nicht entbehrten!
Zweites Kapitel.
Herr Pipelet, der Pförtner.
Der Leser möge dessen eingedenk bleiben, daß sich die Ereignisse, von denen hier die Rede ist, im Jahre 1838 zutrugen. Als eine Figur dieser Zeit mag er sich auch den Mann vorstellen, mit dem wir uns jetzt befassen müssen. Ernst und bedächtig tritt er in die Stube herein, der Mann mit der Riesennase, dem Riesenschmerbauch und dem Pachuner-Gesicht, das an die alten Nußknacker Alt-Nürnbergs erinnert, der den Namen Pipelet trägt und nun wohl an sechzig Jahre zählen mag. Sein Haupt ist bedeckt mit einem breitkrempigen Hute, den das hohe Alter rostrot gefärbt hat. Der alte grüne Frack, den er trägt, hat ein paar Riesenschöße, die vor Speck glänzen, und Klappen, die so starr von Schmutz geworden sind, daß sie richtig vom Leibe abstehen.
Der Mann grüßte Rudolf zwar freundlich, aber in die Freundlichkeit war herber Wermut gemischt. – »Du, Alfred,« sagte die Frau, »der Herr will die Stube mit dem Kabinett oben im vierten Stock mieten, wir haben auf dich gewartet und unterdes ein Gläschen von dem Besten da genippt.« – Diese Liberalität gewann Rudolf das Herz des Biedermanns auf der Stelle. Die Rechte an den Vorderrand seines rostfarbenen Hutes legend, sagte er mit einer eines Schulkantors nicht unwürdigen Baßstimme: »Sie dürfen sich darauf verlassen, daß wir alles zur vollsten Zufriedenheit verrichten werden, was unsers Amtes als Pförtner des Hauses ist, in welches Sie als Mieter einzuziehen die löbliche Absicht haben.« Darauf machte er eine Pause und setzte hinzu: »Bloß eins muß ich mir ausbedingen: Maler dürfen Sie nicht sein.« – »Warum nicht? Haben Sie schon mal einen Maler im Hause gehabt?« – »Leider, leider,« erwiderte Pipelet, »obendrein einen, der Cabrion hieß, der mir zugesetzt hat wie – na, wie ein Henker! Aber jetzt – jetzt gehört ihm meine Verachtung, meine maßlose Verachtung.« Und Pipelet ballte bei der Erinnerung an den Menschen, der ihn aufs Blut drangsaliert hatte, beide Fäuste.
»War es der letzte Mieter der Wohnung, um die wir beide handeln?« fragte Rudolf. – »Nein. Nach ihm hat ein netter Mensch in der Wohnung gehaust: ein junges Kerlchen namens Germain, François Germain, und vor Germain hat Cabrion drin gewohnt. Aber an den, Herr, denke ich, so lange ich lebe. Das war ein Kerl, der einen ins Narrenhaus bringen konnte.« – Und in heftiger Erregung lief Pipelet auf und ab. – »Denken Sie nur, Herr Rotarm hat ihm, bloß um ihn loszuwerden, den Zins auf ein halbes Jahr wieder herausgezahlt! Sie wissen doch wohl schon, daß Rotarm alle Mieten kassiert, den Oberverwalter spielt, usw. Nein! von den gräßlichen Streichen, die er uns allen im Hause gespielt hat, dieser Cabrion, meine ich, hat niemand eine Ahnung. Der Kerl spielte alle nur erdenklichen Blasinstrumente, um uns zu ärgern! Pfeife, Fagott, Harmonika, Posaune, Trompete und – schrecklich! sogar – zwei Flöten, sage ich! Alle Kater und Katzen rannten über die Dächer auf und davon, und was war die Folge? Scharen von Ratten und Mäusen hielten bei uns Einzug!« – »Na, da kann man sich freilich denken, daß Sie von Malern nichts mehr wissen mögen,« meinte Rudolf, »aber desto zufriedener waren Sie mit seinem Nachfolger, dem Herrn Germain?« – »O, das war ein netter Mensch, dienstwillig, treu wie Gold, gar nicht stolz, aber recht fidel, das heißt auf seine Art, ohne jemand beschwerlich zu werden, wie dieser Cabrion, den ich lebendig in die Hölle wünsche.« – »Na, mein lieber Pipelet,« redete Rudolf ihm zu, »denken Sie nur nicht mehr an ihn! Sagen Sie mir lieber, welchen Hausbesitzer hat denn dieses Juwel von Mieter, wie man sich Herrn Germain nach Ihrer Beschreibung vorstellen muß, beglückt?« – »Kanns nicht sagen,« antwortete Pipelet, »kein Mensch weiß es und kein Mensch soll es wissen, wo sich Herr Germain aufhält, allein ausgenommen unsere Lachtaube.« – »Wer ist denn das?« fragte Rudolf. – »Eine Näherin, die auch in unserm vierten Stocke wohnt,« erklärte der Pförtner, »eine andere Perle, aber im besten Sinne gemeint, denn sie bezahlt ihre Miete immer pünktlich voraus und hält auf große Reinlichkeit in ihrem Stübchen, ist auch gegen jedermann so artig und nett, ist fleißig und bringt es oft über zwei Franks den Tag.«
»Das interessiert mich weniger,« sagte Rudolf, »als wie es kommt, daß Fräulein Lachtaube Herrn Germains Wohnung kennt?« – »Hm, als er auszog,« erklärte die Frau, »sagte Germain zu uns: Briefe erwarte ich keine mehr; sollte aber noch einer kommen, dann geben Sie ihn nur dem Fräulein Lachtaube.« – »Ja,« bemerkte Pipelet, »gegen das Mädchen ließe sich gar nichts sagen, wenn sie nicht die Torheit begangen hätte, sich von diesem Scheusal von Cabrion die Kur machen zu lassen.« – »Ach, schwatz doch kein dummes Zeug!« sagte die Frau, »das liegt doch bloß daran, daß die beiden Leutchen oben zusammen im vierten Stock wohnten. Daß es dem Mädchen nicht ernst darum zu tun war, weißt du ja ebensogut wie ich.« – »Herr Germain hat sich wohl auch mit dem Mädchen ganz gut vertragen?« fragte Rudolf mit einem spöttischen Seitenblicke. – »O, der erst recht,« antwortete eifrig die Frau, »die beiden sind ja ohnehin wie füreinander geschaffen, sind beide hübsch und jung und« ... – »Germain hat das Mädchen also nicht wiedergesehen, seit er aus dem Haus ausgezogen ist?« – »Nein, höchstens einmal Sonntags, was ich natürlich nicht wissen kann. In der Woche nimmt sich das Mädchen keine Zeit, sich mit Liebhabern zu befassen. Zwischen 5 und 6 Uhr ist sie schon auf den Beinen, bis um 10 Uhr arbeitet sie, manchmal sogar bis nach 11, und geht niemals aus ihrer Stube, außer wenn sie Einkäufe zu besorgen hat. Sie ist auch recht gut und mildtätig. Bei den armen Leuten oben unterm Dache, die wahrscheinlich in den nächsten Tagen exmittiert werden dürften, hat sie mit Herrn Germain mehr denn eine Nacht die kranken Kinder gewartet und gepflegt.«