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»Könnten Sie …«

»Was, George?«

»Mir die Erinnerung lassen?«

Haber holte zu einer seiner wortreichen Ablehnungen aus. »Wie Sie sicher wissen, wird alles, was während einer Hypnose erlebt wird, einschließlich aller erteilten Anweisungen, normalerweise von einem Mechanismus blockiert, der auch die wache Erinnerung an neunundneunzig Prozent unserer Träume blockiert. Würden wir diese Blockierung aufheben, würden wir Ihnen zu viele widersprüchliche Befehle hinsichtlich einer recht diffizilen Sache geben, nämlich des Inhalts der Träume, die Sie noch nicht geträumt haben. Daran — an den Traum — können Sie sich erinnern, dafür sorge ich. Aber ich möchte nicht, daß die Erinnerungen an meine Suggestionen sich mit den Erinnerung an den Traum, den Sie tatsächlich träumen, vermischen. Ich möchte beide strikt getrennt halten, damit ich einen klaren und eindeutigen Bericht darüber bekomme, was Sie geträumt haben, und nicht, was Sie Ihrer Meinung nach hätten träumen sollen. Klar? Sie können mir vertrauen, wissen Sie. Ich bin mit im Spiel, um Ihnen zu helfen. Ich werde nicht zu viel von Ihnen verlangen. Ich werde Sie drängen, aber nicht zu fest oder zu schnell. Ich werde Ihnen keine Alpträume bescheren! Glauben Sie mir, ich möchte diese Sache durchschauen und verstehen, genau wie Sie. Sie sind ein intelligentes und kooperatives Subjekt, und ein tapferer Mann, daß Sie diese Ängste so lange allein mit sich herumgeschleppt haben. Wir bringen es zu Ende, George. Glauben Sie mir.«

Orr glaubte ihm nicht rückhaltlos, aber der Arzt duldete so wenig Widerspruch wie ein Priester; und außerdem wünschte er sich, er könnte ihm glauben.

Er sagte nichts mehr, sondern legte sich wieder auf die Couch und fügte sich der Berührung der großen Hand an seinem Hals.

»Okay! Da sind Sie wieder! Was haben Sie geträumt, George? Raus damit, frisch vom Grill!«

Orr kam sich verwirrt und albern vor.

»Etwas über die Südsee … Kokosnüsse … Kann mich nicht erinnern.« Er rieb sich den Kopf, kratzte sich unter dem kurzen Bart, holte tief Luft. Er sehnte sich nach einem Schluck kalten Wasser. »Dann … träumte ich, daß Sie mit John Kennedy, dem Präsidenten, die Alder Street entlang gingen, wenn ich mich nicht irre. Ich folgte Ihnen gewissermaßen, ich glaube, ich habe etwas für einen von Ihnen getragen. Kennedy hatte den Regenschirm aufgespannt — ich sah ihn im Profil, wie auf den alten Fünfzigcentstücken —, und Sie sagten: ›Den werden Sie nicht mehr brauchen, Mr. Präsident‹, und nahmen ihm den Schirm aus der Hand. Er schien sich darüber zu ärgern und sagte etwas, das ich nicht verstehen konnte. Aber es hatte aufgehört zu regnen, die Sonne kam heraus, und daher sagte er: ›Sieht so aus, als hätten Sie recht.‹ … Es hat aufgehört zu regnen.«

»Woher wissen Sie das?«

Orr seufzte. »Sie werden schon sehen, wenn Sie ins Freie kommen. Ist das alles für heute nachmittag?«

»Ich kann jederzeit weitermachen. Der Staat übernimmt die Rechnung, wissen Sie!«

»Ich bin sehr müde.«

»Also gut, dann machen wir eben für heute Schluß. Hören Sie, was halten Sie davon, wenn wir unsere Sitzungen nachts stattfinden lassen? Wir lassen Sie ganz normal schlafen, wenden die Hypnose nur an, um den Trauminhalt zu suggerieren. Ihr Arbeitstag würde nicht beeinträchtigt werden, und mein Arbeitstag ist ohnehin in der Hälfte aller Fälle die Nacht; Schlafforscher schlafen nur selten! Wir würden eine Menge Zeit gewinnen und könnten auf traumunterdrückende Medikamente verzichten. Möchten Sie einen Versuch wagen? Freitagnacht?«

»Da habe ich eine Verabredung«, sagte Orr, selbst erschrocken wegen dieser Lüge.

»Dann Samstag.«

»Einverstanden.«

Er ging und trug den feuchten Regenmantel über dem Arm. Es war nicht nötig, ihn anzuziehen. Der Kennedy-Traum war überaus wirkungsvoll gewesen. Inzwischen war er ganz sicher, wenn er Träume hatte. Ganz gleich, wie unverhohlen der Inhalt gewesen sein mochte, er erwachte stets mit intensiven und deutlichen Erinnerungen daran und fühlte sich zerschlagen und ausgelaugt, als hätte er enorme Körperkräfte aufbieten müssen, um einer übermächtigen, unablässigen Kraft zu trotzen. Auf sich allein gestellt, hatte er sie nicht häufiger als einen einmal im Monat oder alle sechs Wochen gehabt; die Angst davor, einen zu haben, hatte ihn obsessiv beherrscht. Jetzt, da der Verstärker ihn im Traumschlaf hielt und die hypnotischen Suggestionen dafür sorgten, daß er wirkungsvoll schlief, hatte er in zwei Tagen von vier Träumen drei wirkungsvolle gehabt; oder, wenn man den Kokosnußtraum nicht mitzählte, den Haber selbst als bloßes Murmeln von Bildern bezeichnete, drei von drei. Er fühlte sich erschöpft.

Es regnete nicht. Als er zu den Türen des Willamette East Tower herauskam, wölbte sich der Märzhimmel hoch und klar über die Straßenschluchten. Wind war aufgekommen und wehte von Osten, der trockene Wüstenwind, der von Zeit zu Zeit für ein wenig Abwechslung in dem nassen, heißen, traurigen, grauen Wetter im Tal des Willamette sorgte.

Die frische Luft verbesserte Orrs Laune ein wenig. Er reckte die Schultern, setzte sich in Bewegung und achtete nicht weiter auf das leichte Schwindelgefühl, das vermutlich die gemeinsame Folge von Müdigkeit, Nervosität, zwei kurzen Nickerchen zu einer ungewöhnlichen Tageszeit und der Fahrt zweiundsechzig Stockwerke in die Tiefe mit dem Fahrstuhl war.

Hatte der Arzt ihm befohlen, zu träumen, daß es aufhörte zu regnen? Oder war die Suggestion dergestalt gewesen, daß er von Kennedy träumen sollte (der, wo er jetzt wieder darüber nachdachte, Abraham Lincolns Bart gehabt hatte)? Oder von Haber selbst? Er konnte es nicht sagen. Der wirkungsvolle Teil des Traumes war gewesen, daß es aufgehört hatte, zu regnen, daß das Wetter sich verändert hatte; Aber das bewies nichts. Häufig war es gar nicht das vordergründig auffällige oder eigentliche Element eines Traums, das sich als das wirkungsvolle entpuppte. Er vermutete, daß Kennedy aus Gründen, die nur sein Unterbewußtsein kannte, seinen eigenen Beitrag darstellte, aber sicher konnte er nicht sein.

Er ging mit einem endlosen Strom anderer in die U-Bahn-Haltestelle East Broadway hinunter. Er warf seine Fünfdollarmünze in den Fahrscheinautomaten, bekam seine Fahrkarte, erwischte seine Bahn, tauchte in die Dunkelheit unter dem Fluß ein.

Das Schwindelgefühl in Körper und Geist wurde stärker.

Unter einem Fluß durchzufahren: das war schon etwas Seltsames, eine geradezu unheimliche Vorstellung. Einen Fluß überqueren, an einer Furt übersetzen, durch ihn waten, hinüberschwimmen, Boote, Fähren, Brücken, Flugzeuge benutzen, in der endlosen Erneuerung und dem Anbeginn der Strömung flußaufwärts oder flußabwärts reisen: das alles erscheint sinnvoll. Aber wenn man unter einem Fluß hindurchgeht, das beinhaltet etwas, das in des Wortes zentraler Bedeutung, pervers ist. Es gibt Straßen im Verstand und außerhalb, deren bloße Komplexität allein bereits zeigt, daß man, um in so etwas hineinzugeraten, schon ein gutes Stück des Wegs zurück eine falsche Abzweigung eingeschlagen haben mußte.

Neun U-Bahn- und Lastwagentunnel verliefen unter dem Willamette; sechzehn Brücken darüber, die Ufer hatte man auf einer Länge von siebenundzwanzig Meilen betoniert. Die Überschwemmungskontrolle sowohl am Willamette, wie auch an seinem großen Zufluß, dem Columbia mehrere Meilen von der Stadtmitte Portlands flußabwärts gelegen, war so hochentwickelt, daß keiner der beiden Flüsse um mehr als zehn Zentimeter ansteigen konnte, auch nach längsten Wolkenbrüchen nicht. Der Willamette stellte ein nützliches Element der Umwelt dar, ein sehr großes, friedfertiges Nutztier, das mit Gurten, Ketten, Stangen, Sätteln, Zügeln, Harnischen und Fußfesseln fügsam gemacht worden war. Wäre er nicht nützlich gewesen, hätte man ihn natürlich zubetoniert, so wie die Hunderte von kleineren Flüßchen und Bächen, die im Dunkeln unter den Straßen und Häusern der Stadt von den Bergen herunterflossen. Aber ohne ihn wäre Portland keine Hafenstadt mehr gewesen; die Schiffe, die langen Reihen der Barken, die großen holzbeladene Flöße passierten ihn nach wie vor in beide Richtungen. Darum mußten die Lastwagen und Bahnen und wenigen Privatautos entweder unter dem Fluß hindurch oder darüber hinweg. Über den Köpfen derer, die gerade mit der GPRT-Bahn durch den Broadway Tunnel fuhren, befanden sich Tonnen Felsgestein und Schotter, Tonnen fließendes Wasser, die Etagen der Dockanlagen, die Kiele von Ozeanriesen, die riesigen Betonpfeiler der hohen Freewaybrücken und Zufahrtsrampen, ein Konvoi von Dampflastern mit tiefgefrorenen Hühnchen aus Batterieaufzucht, ein Düsenflugzeug in zehntausend Metern Höhe, die mindestens 4,3 Lichtjahre entfernten Sterne. George Orr stand mit aschfahlem Gesicht schwankend im gleißenden, flackernden Neonlicht des U-Bahnwagens in der undurchdringlichen Dunkelheit draußen und hielt sich, eingekeilt zwischen tausend anderen Menschen, am schaukelnden Stahlgriff eines Gurtes fest. Er spürte die ganze Last über sich, das Gewicht, das unablässig niederdrückte. Ich lebe in einem Alptraum, dachte er, aus dem ich von Zeit zu Zeit im Schlaf erwache.