Die Anwaltskanzlei Forman, Esserbeck, Goodhue und Rutti lag in einem zu Wohnzwecken umgebauten Parkhaus für Automobile aus dem Jahre 1973. Viele ältere Gebäude in der Innenstadt von Portland waren von ähnlicher Abstammung. Früher schien wahrhaftig die gesamte Innenstadt aus Flächen bestanden zu haben, wo man Automobile parken konnte. Anfangs bestanden diese noch weitgehend aus ebenerdigen asphaltierten Plätzen mit vereinzelten Gebührenhäuschen oder Parkuhren, doch dann wuchs ihre Höhe in direkter Relation zur Zahl der Einwohner. Es ist sogar eine unumstößliche Tatsache, daß das Parkhaus mit automatischen Fahrstühlen vor langer Zeit in Portland erfunden wurde; und bevor der Individualverkehr an seinen eigenen Abgasen erstickte, hatten Parkhäuser mit Rampen eine Höhe von bis zu fünfzehn oder zwanzig Stockwerken erreicht. Davon hatte man seit den achtziger Jahren nicht alle wieder abgerissen, um Platz für hohe Büro- und Wohntürme zu schaffen; manche waren umgebaut worden. Dieses hier, 209 S. W. Burnside, roch immer noch nach Autoabgasen. Die Betonböden wurden von den Flecken der Ausscheidungen zahlloser Motoren verunziert, die Reifenspuren der Dinosaurier bildeten fossile Abdrücke im Staub der hallenden Flure. Allen Stockwerken war eine seltsame Abschüssigkeit zu eigen, eine Schräge, die auf das Bauprinzip spiralförmiger Auf- und Abfahrtsrampen zurückzuführen war; in den Büros von Forman, Esserbeck, Goodhue und Rutti fiel es einem schwer zu glauben, daß man tatsächlich immer aufrechten Ganges ging.
Miss Lelache saß hinter einer Trennwand aus Bücherregalen und Aktenordnern, die ihr Quasi-Büro quasi vom Quasi-Büro von Mr. Pearl trennte, und sah sich selbst als eine Schwarze Witwe.
Da saß sie, giftig; hart, glänzend und giftig; und wartete, wartete.
Und das Opfer kam.
Ein geborenes Opfer. Haar wie das eines kleinen Mädchens, braun und dünn, kurzer blonder Bart; zarte weiße Haut, wie ein Fischbauch; sanftmütig, schüchtern, stotternd. Scheiße! Wenn sie auf den treten würde, würde es nicht einmal richtig knirschen.
»Also ich, ich glaube, es handelt sich irgendwie um eine Frage des Rechts auf Privatsphäre«, sagte er. »Verletzung des Rechts auf Privatsphäre, meine ich. Aber ich bin nicht sicher. Darum wollte ich eine Beratung.«
»Naja. Schießen Sie los«, sagte Miss Lelache.
Das Opfer konnte nicht losschießen. Sein ohnehin stockender Redestrom war offenbar schon versiegt.
»Sie sind in Freiwilliger Therapeutischer Behandlung«, sagte Miss Lelache und berief sich auf die Aktennotiz, die Mr. Esserbeck zuvor herübergeschickt hatte, »wegen Vergehen gegen Bundesgesetze, die kontrollierte Abgabe von Arzneimitteln an Medikamentenautomaten betreffend.«
»Ja. Wenn ich psychiatrischer Behandlung zustimme, werde ich nicht angeklagt.«
»Das ist der Knackpunkt, ja«, sagte die Anwältin trocken. Der Mann kam ihr nicht gerade schwachsinnig, aber abstoßend einfältig vor. Sie räusperte sich.
Er räusperte sich ebenfalls. Nachahmungstäter.
Nach und nach ließ er sich mit viel gutem Zureden aus der Nase ziehen, daß er sich einer Therapie unterzog, die im wesentlichen aus hypnotisch induziertem Schlaf und Träumen bestand. Er glaubte, daß der Psychiater, indem er ihm befahl, bestimmte Träume zu träumen, sein Recht auf Privatsphäre verletzte, wie es die Neue Bundesverfassung von 1984 festlegte.
»Na ja. So etwas ähnliches passierte letztes Jahr in Arizona«, sagte Miss Lelache. »Ein Mann in FTB, so wie Sie, wollte seinen Psychiater verklagen, weil der angeblich homosexuelle Neigungen in ihm geweckt haben sollte. Natürlich wandte der Seelenklempner einfach nur die Standardtechniken der Konditionierung an, der Kläger freilich war in Wahrheit schon immer eine hoffnungslose Klemmschwuchtel; er wurde, noch bevor der Fall überhaupt vor Gericht kam, verhaftet, weil er am hellichten Tag mitten im Phoenix Park versucht hatte, einen zwölfjährigen Knaben in den Arsch zu ficken. Er landete in der Zwangstherapie in Tehachapi. Na ja. Worauf ich hinaus will, ist, daß Sie bei derartigen Beschuldigungen vorsichtig sein müssen. Die meisten Psychiater, die im Auftrag der staatlichen Behörden arbeiten, sind selbst vorsichtige Männer und angesehene Ärzte. Wenn Sie ein Beispiel anführen können, einen Vorfall, der als echter Beweis dienen könnte; aber der bloße Verdacht allein reicht nicht aus. Sie könnten sich tatsächlich aber eine Zwangstherapie im Sanatorium für Geisteskranke in Linnton damit einhandeln, wenn nicht sogar Gefängnis.«
»Könnten sie … mir vielleicht einfach einen anderen Psychiater geben?«
»Na ja. Nicht ohne triftigen Grund. Die Uniklinik hat Sie an diesen Haber überwiesen; und die da oben sind gut, wissen Sie. Wenn Sie eine Beschwerde gegen Haber vorbringen, wären die Leute, die als Experten zu der Anhörung hinzugezogen werden, höchstwahrscheinlich Mitglieder der medizinischen Fakultät, möglicherweise sogar dieselben, die das Gespräch mit Ihnen geführt haben. Die werden die Aussage eines Patienten nicht ohne Beweis höher bewerten als die eines Arztes. Nicht bei dieser Art von Fall.«
»Einem Fall von Geisteskrankheit«, sagte der Klient traurig.
»Exakt.«
Er sagte eine Weile nichts. Schließlich schaute er auf, so daß sie seine Augen sehen konnte, klare, helle Augen mit einem Ausdruck ohne Zorn und ohne Hoffnung; er lächelte. »Haben Sie vielen Dank, Miss Lelache«, sagte er. »Tut mir leid, daß ich Ihre Zeit vergeudet habe.«
»Halt, warten Sie!« sagte sie. Er mochte einfältig sein, aber er sah ganz sicher nicht verrückt aus; er machte nicht einmal einen neurotischen Eindruck. Er schien nur verzweifelt zu sein. »So leicht müssen Sie auch nicht aufgeben. Ich sagte nicht, daß wir keinen Fall haben. Sie haben gesagt, daß Sie Ihre Medikamentenabhängigkeit überwinden möchten, Dr. Haber Ihnen jetzt aber Barbiturate in höherer Dosierung verordnet, als Sie sie vorher genommen haben; das könnte eine Untersuchung rechtfertigen. Allerdings bezweifle ich es stark. Aber die Wahrung des Rechts auf Privatsphäre ist mein Spezialgebiet, und ich möchte gern wissen, ob es zu einer Verletzung der Privatsphäre gekommen ist. Ich habe lediglich gesagt, daß Sie mir Ihren Fall ja noch gar nicht geschildert haben — wenn es denn einen gibt. Was hat denn dieser Arzt genau gemacht?«
»Wenn ich Ihnen das sage«, meinte der Klient mit einer beklagenswerten Objektivität, »halten Sie mich für verrückt.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
Miss Lelache ließ sich nicht leicht beeinflussen, eine exzellente Eigenschaft für eine Anwältin, wußte aber, daß sie es ein wenig zu weit trieb.
»Wenn ich Ihnen sagen würde«, fuhr der Klient im selben Tonfall fort, »daß einige meiner Träume einen gewissen Einfluß auf die Wirklichkeit ausüben, und daß Dr. Haber das herausgefunden hat und sie … meine spezielle Begabung … für seine eigenen Zwecke mißbraucht, und zwar ohne meine Zustimmung … dann würden Sie doch denken, daß ich verrückt bin. Oder nicht?«
Miss Lelache sah ihn eine Weile an, das Kinn auf die Hände gestützt. »Na ja. Fahren Sie fort«, sagte sie schließlich schneidend.
Er hatte ganz recht damit, was sie dachte, aber der Teufel sollte sie holen, wenn sie das zugab. Und wenn er verrückt war, na und? Welcher normale Mensch konnte in dieser Welt leben und nicht verrückt werden?
Er betrachtete eine Weile seine Hände und versuchte offenbar, seine Gedanken zu ordnen. »Sehen Sie«, sagte er, »er hat so eine Maschine. Eine Gerät wie einen EEG-Rekorder, aber es führt eine Art Analyse und Rückkopplung der Gehirnwellen durch.«
»Sie meinen, er ist ein verrückter Wissenschaftler mit einer Höllenmaschine?«
Der Klient lächelte kläglich. »So hört es sich bei mir an. Nein, ich glaube, daß er einen sehr guten Ruf als Forscher genießt und es wirklich seine Absicht ist, den Menschen zu helfen. Ich glaube nicht, daß er mir oder einem anderen Schaden zufügen möchte. Seine Motive sind edel.« Er bemerkte einen Moment den ernüchterten Blick der Schwarzen Witwe und geriet ins Stottern. »Die, die Maschine. Also ich kann Ihnen nicht sagen, wie sie funktioniert, aber er benutzt sie bei mir, um mein Gehirn im paradoxen Schlaf zu halten, wie er sich ausdrückt — das ist der Fachausdruck für diesen speziellen Schlaf, in dem man träumt. Er unterscheidet sich sehr vom gewöhnlichen Schlaf. Dr. Haber versetzt mich durch Hypnose in den Schlaf, und dann schaltet er diese Maschine ein, damit ich unverzüglich anfange zu träumen — normalerweise ist das nicht der Fall. So jedenfalls habe ich es verstanden. Die Maschine gewährleistet, daß ich träume, und ich glaube, sie regt das Traumstadium auch an. Und dann träume ich das, was er mir in der Hypnose befohlen hat.«