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»Na ja. Das hört sich nach einer narrensicheren Methode an, wie ein altmodischer Psychoanalytiker Träume analysieren kann. Aber statt dessen befiehlt er Ihnen durch hypnotische Suggestion, was Sie träumen sollen? Ich vermute einmal, daß er Sie aus irgendeinem Grund durch die Träume konditioniert. Jetzt ist ja allgemein bekannt, daß eine Person unter Hypnose praktisch alles kann und tun wird, ganz gleich, ob ihr Gewissen es im Normalzustand zulassen würde oder nicht: das ist seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts bekannt und wurde durch den Fall Somerville versus Projanski 1988 in der Rechtsprechung verankert. Na ja. Haben Sie Gründe zu der Vermutung, daß dieser Arzt Hypnose benutzt, um Ihnen zu suggerieren, daß Sie etwas Gefährliches ausführen, etwas, das Sie moralisch verwerflich finden würden?«

Der Klient zögerte. »Gefährlich, ja. Wenn man akzeptiert, daß ein Traum gefährlich sein kann. Aber er gibt mir keine Anweisungen, etwas zu tun. Nur, es zu träumen.«

»Naja, aber sind denn die Träume, die er Ihnen suggeriert, moralisch verwerflich für Sie?«

»Er ist kein … böser Mensch. Er meint es gut. Ich habe nur Einwände dagegen, daß er mich als Instrument benutzt, als Mittel zum Zweck — auch wenn er die besten Absichten haben sollte. Ich kann mir kein Urteil über ihn anmaßen — meine eigenen Träume hatten unmoralische Auswirkungen, eben darum habe ich ja versucht, sie mit Hilfe von Medikamenten zu unterdrücken und bin in dieses Schlamassel hineingeraten. Und ich möchte wieder da raus, möchte von den Medikamenten loskommen, möchte geheilt werden. Aber er heilt mich nicht. Er ermutigt mich.«

»Was zu tun?« fragte Miss Lelache nach einer Pause.

»Die Realität zu verändern, indem ich träume, daß sie anders ist«, sagte der Klient unterwürfig und ohne Hoffnung.

Miss Lelache ließ die Spitze des Kinns erneut zwischen ihre Hände sinken und betrachtete eine Zeitlang die blaue Schachtel mit Büroklammern an der äußersten Peripherie ihres Gesichtsfelds auf dem Schreibtisch. Sie schaute verstohlen zu dem Klienten auf. Da saß er, so sanftmütig wie zuvor, aber jetzt glaubte sie, daß er nicht mehr zerquetscht werden würde, sollte sie auf ihn treten, er würde auch nicht knirschen, vermutlich nicht einmal brechen. Er wirkte erstaunlich solide.

Menschen, die einen Anwalt aufsuchen, sind meist in der Defensive, wenn sie nicht in der Offensive sind; sie haben es natürlich auf etwas abgesehen — ein Erbe, einen Besitz, eine einstweilige Verfügung, eine Scheidung, eine Einweisung, was auch immer. Sie kam nicht dahinter, worauf es dieser Bursche, der so zurückhaltend und schutzlos wirkte, abgesehen hatte. Seine Worte ergaben keinen Sinn, und dennoch hörte er sich nicht an, als würde er keinen Sinn ergeben.

»Na ja«, sagte sie vorsichtig. »Und was ist falsch an dem, was er mit Hilfe Ihrer Träume tut?«

»Ich habe kein Recht, etwas zu verändern. Und er nicht, mich dazu zu zwingen.«

O Gott, er glaubte das wirklich, er hatte tatsächlich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Und doch faszinierte sie seine moralische Festigkeit, als wäre auch sie selbst nicht mehr ganz richtig im Oberstübchen.

»Wie verändern Sie etwas? Und was? Nennen Sie mir ein Beispiel!« Sie empfand kein Mitleid mit ihm, wie es sich bei einem Kranken, einem Schizo oder Paranoiden mit Wahnvorstellungen, daß er die Wirklichkeit manipulieren konnte, geziemt hätte. Hier saß »wieder ein Opfer dieser unserer Zeiten, die die Seelen der Menschen auf die Probe stellen«, wie Präsident Merdle mit seiner stets erheiternden Art, ein Zitat zu entstellen, in seinem Bericht zur Lage der Nation gesagt hatte; und hier saß sie und war gemein zu einem armen, elenden, blutenden Opfer mit Löchern im Gehirn. Aber sie wollte nicht freundlich zu ihm sein. Er konnte es ertragen.

»Die Blockhütte«, sagte er, als er ein wenig nachgedacht hatte. »Bei meinem zweiten Besuch fragte er mich nach Tagträumen, und ich sagte ihm, daß ich manchmal Tagträume von einem Stück Land in den Naturschutzgebieten hätte, wissen Sie, ein Häuschen auf dem Land, wie in alten Romanen, einen Ort, wohin ich mich zurückziehen könnte. Natürlich hatte ich keine. Wer schon? Aber letzte Woche muß er mir suggeriert haben, daß ich träume, ich hätte eine, denn jetzt gehört eine mir. Eine auf dreiunddreißig Jahre gepachtete Blockhütte im Siuslaw-Nationalpark in der Nähe des Neskowin. Am Sonntag habe ich mir ein Batterieauto gemietet und bin hingefahren. Sie ist sehr hübsch. Aber …«

»Warum sollten Sie keine Blockhütte haben? Ist das unmoralisch? Viele Leute haben an der Lotterie für die Pachtverträge teilgenommen, seit sie letztes Jahr eigens einen Teil der Naturschutzgebiete dafür geöffnet haben. Sie hatten einfach verdammtes Glück.«

»Aber ich hatte keine«, sagte er. »Niemand hatte eine. Die Parks und Wälder, soweit sie überhaupt noch existierten, dienten ausschließlich als Naturschutzgebiete, sogar Camping war nur in den Randbereichen erlaubt. Es existierten keine Blockhütten, die der Staat verpachtete. Bis letzten Freitag. Als ich träumte, daß es sie gibt«

»Aber hören Sie, Mr. Orr, ich weiß —«

»Ich weiß, daß Sie es wissen«, sagte er leise. »Und ich weiß es auch. Alles darüber, wie sie letztes Frühjahr beschlossen, einen Teil des Nationalparks zu verpachten. Und ich bewarb mich, bekam ein Los in der Lotterie, das gezogen wurde, und so weiter. Aber ich weiß auch, daß das bis letzten Freitag nicht so gewesen ist. Und Dr. Haber weiß es auch.«

»Dann hat Ihr Traum vom letzten Freitag«, sagte sie spöttisch, »die Realität rückwirkend für den gesamten Bundesstaat Oregon verändert, eine Entscheidung beeinflußt, die letztes Jahr in Washington getroffen wurde, und die Erinnerung von allen gelöscht, außer Ihrer eigenen und der Ihres Arztes? Ein toller Traum! Können Sie sich daran erinnern?«

»Ja«, sagte er mürrisch, aber nachdrücklich. »Es ging um die Blockhütte und den Bach davor. Ich erwarte nicht, daß Sie das alles glauben, Miss Lelache. Ich glaube, nicht einmal Dr. Haber durchschaut es völlig; er wartet einfach nicht ab, bis er ein Gefühl dafür bekommen hat. Andernfalls würde er vielleicht etwas vorsichtiger damit umgehen. Sehen Sie, es funktioniert folgendermaßen: Wenn er mir unter Hypnose befehlen würde zu träumen, daß sich ein rosa Hund in dem Zimmer befindet, würde ich es tun; aber der Hund könnte nicht da sein, solange rosa Hunde in der Natur nicht vorkommen, nicht Bestandteil der Realität sind. Es würde so aussehen, daß ich einen weißen Pudel bekomme, der rosa eingefärbt wurde, sowie einen stichhaltigen Grund für seine Anwesenheit; und wenn er darauf bestehen würde, daß es sich um einen wahrhaftigen rosa Hund handelt, dann müßte mein Traum die natürliche Ordnung dahingehend verändern, daß rosa Hunde dazugehören. Überall. Seit dem Pleistozän, oder wann immer Hunde entstanden sind. Dann wären sie schon immer schwarz, braun, gelb, weiß und — rosa gewesen. Und einer dieser rosa Hunde hätte sich dann in seine Praxis verirrt, oder er wäre sein Collie oder der Pekinese seiner Sprechstundenhilfe, oder etwas in der Art. Nichts Wundersames. Nichts Ungewöhnliches. Jeder Traum verwischt seine Spuren vollständig. Es würde einfach ein ganz normaler rosa Hund da sein, wenn ich erwache, und es würde einen ganz plausiblen Grund für seine Anwesenheit geben. Und gar niemandem würde etwas Neues auffallen, außer mir — und ihm. Ich behalte die Erinnerung an beide Realitäten. Genau wie Dr. Haber. Er ist im Augenblick der Veränderung anwesend und weiß, wovon der Traum gehandelt hat. Er gibt nicht zu, daß er es weiß, aber ich weiß, daß es so ist. Für alle anderen hätte es schon immer rosa Hunde gegeben. Aber für mich, und ihn, hat es sie gegeben — und auch wieder nicht.«