»Aber wie erzeugen Sie die Stimuli, die Sie benutzen? Zeichnen Sie biep zum Beispiel einen Alpharhythmus von einem Subjekt auf und verwenden ihn bei einem anderen biep?«
Diesem Thema war er bislang ausgewichen. Er hatte natürlich nicht vor, zu lügen, aber es hatte schlicht und einfach keinen Sinn, über noch laufende Forschungen zu sprechen, bis sie abgeschlossen und erprobt worden waren; das konnte bei einem Laien einen vollkommen falschen Eindruck erwecken. Er setzte unbekümmert zu einer Antwort an und war froh, daß er seine eigene Stimme hörte und nicht ihr Scheppern und Klirren und Biepen; es war schon recht seltsam, daß er nur diese nervtötenden kleinen Geräusche vernahm, wenn sie redete. »Zuerst benutzte ich ein allgemeines Set von Stimuli, einen Durchschnitt aus den Aufzeichnungen meiner Subjekte. Die in meinem Bericht erwähnte depressive Patientin wurde auf diese Weise erfolgreich behandelt. Aber ich fand, daß die Wirkung zufälliger und willkürlicher ausfiel, als mir lieb war. Ich fing an, zu experimentieren. Natürlich mit Tieren. Katzen. Wir Schlafforscher lieben Katzen, wissen Sie; die schlafen viel!
Jedenfalls fand ich mit den Versuchstieren heraus, daß die vielversprechendste Vorgehensweise die war, bei der ich Rhythmen benutzte, die ich vorher vom eigenen Gehirn des Subjekts aufgezeichnet hatte. Eine Art von Autostimulation via Aufzeichnung. Mir geht es um das Spezifische, wissen Sie. Ein Gehirn reagiert sofort auf den eigenen Alpharhythmus, und zwar spontan. Freilich tun sich auch eine Reihe therapeutischer Möglichkeiten in anderen Forschungsbereichen auf. Es könnte möglich sein, das Muster des Patienten nach und nach mit einem anderen Muster zu überlagern: einem gesünderen oder vollständigeren Muster. Einem, das vorher vom Subjekt selbst oder einem anderen Subjekt aufgezeichnet wurde. Das könnte sich als enorm hilfreich bei Fällen von Hirnschädigungen, Läsionen, Traumata erweisen; es könnte ein beschädigtes Gehirn dabei unterstützen, seine alten Gewohnheiten in frischen Kanälen neu zu etablieren — etwas, worum sich das Gehirn selbst verbissen und ausgiebig bemüht. Man könnte es benutzen, um ein abnormal funktionierendes Gehirn neue Gewohnheiten zu ›lehren‹, und so weiter. Beim momentanen Stand der Dinge ist das freilich noch rein spekulativ, wenn und falls ich meine diesbezüglichen Forschungen wieder aufnehme, werde ich sie selbstverständlich umgehend wieder beim Gesundheitsamt anmelden.« Das entsprach der Wahrheit. Es mußte nicht unbedingt erwähnt werden, daß er bereits mit Forschungen in dieser Richtung beschäftigt war, die sich freilich noch nicht schlüssig auswerten ließen und leicht mißverstanden werden konnten.
»Die Form der Autostimulation durch Aufzeichnungen, die ich bei dieser Therapie anwende, könnte man dahingehend beschreiben, daß sie keinerlei Nebenwirkungen auf den Patienten hat, abgesehen von denen, die während des Zeitraums der Funktion der Maschine auftreten: fünf bis zehn Minuten.« Er verstand mehr vom Fachgebiet jeder Anwältin des Gesundheitsamts, als die von seinem; er sah sie beim letzten Satz unmerklich nicken, es war genau das, was sie hören wollte.
Aber dann fragte sie: »Und was genau macht das Gerät?«
»Ja, dazu wollte ich gerade kommen«, sagte Haber und mäßigte sich augenblicklich in seinem Tonfall, da man ihm die Verärgerung anmerkte. »Womit wir es in diesem Fall zu tun haben, ist ein Subjekt, das Angst davor hat, zu träumen: ein Oneirophober. Meine Behandlung besteht im wesentlichen aus einer Konditionierung in der klassischen Tradition moderner Psychologie. Dem Patienten werden hier, unter Laborbedingungen, Träume induziert; Trauminhalt und emotionaler Affekt werden durch hypnotische Suggestion manipuliert. Dem Subjekt wird vermittelt, daß es sicher und angenehm träumen kann, und so weiter, eine positive Konditionierung, die es von seiner Phobie befreit. Der Verstärker ist ein ideales Instrument für diesen Zweck. Er gewährleistet, daß das Subjekt träumt, indem er dessen eigene typische Aktivität im paradoxen Schlaf einleitet und verstärkt. Ein Subjekt kann bis zu anderthalb Stunden brauchen, bis es die verschiedenen Stadien des orthodoxen Schlafs durchlaufen hat und von selbst das paradoxe Stadium erreicht, für Sitzungen bei Tage eine unpraktisch lange Zeitspanne, und darüber hinaus könnte die Wirkung der hypnotischen Suggestion des Trauminhalts im Tiefschlaf teilweise verlorengehen. Das ist unerwünscht; im Zustand der Konditionierung kommt es ganz entscheidend darauf an, daß er keine bösen Träume, keine Alpträume hat. Und so bringt mir der Verstärker nicht nur eine Zeitersparnis, sondern dient auch als Sicherheitsfaktor. Die Therapie könnte auch ohne ihn Wirkung zeitigen; aber sie würde wahrscheinlich Monate dauern; mit dem Verstärker gehe ich von wenigen Wochen aus. In den entsprechenden Fällen könnte er eine Menge Zeit einsparen, so wie die Hypnose selbst bei der Psychoanalyse und der Konditionierungstherapie.«
Biep, sagte der Rekorder der Anwältin, worauf die Sprechanlage auf seinem Schreibtisch mit einem weichen, volltönenden und gebieterischen Bong antwortete. Gott sei Dank. »Hier kommt ja unser Patient. Ich schlage vor, Miss Lelache, daß Sie ihn kennenlernen und wir ein wenig plaudern, wenn Sie möchten; danach können Sie sich dann unauffällig in den Ledersessel in der Ecke zurückziehen, ja? Ihre Anwesenheit sollte keinerlei Auswirkungen auf den Patienten haben, falls er jedoch ständig daran erinnert wird, könnte sich das als äußerst hinderlich erweisen. Sehen Sie, er ist eine Person in einem recht gravierenden Angstzustand mit einer Neigung, Ereignisse als persönliche Bedrohungen zu interpretieren; als Folge dessen hat er ein ganzes Arsenal schützender Wahnvorstellungen aufgebaut — wie Sie sehen werden. Oh, ja, und der Rekorder muß ausgeschaltet werden, eine Therapiesitzung ist nicht zur Aufzeichnung bestimmt, richtig? Okay, gut. Ja, hallo, George, treten Sie ein! Das ist Miss Lelache, die Beisitzerin des Gesundheitsamts. Sie ist hier, um den Verstärker in Aktion zu sehen.« Die beiden schüttelten sich auf eine höchst lächerlich steife Art und Weise die Hände. Schepper, klirr! machten die Armreife der Anwältin. Der Kontrast amüsierte Haber: die schroffe, selbstbewußte Anwältin, der schwache, charakterlose Mann. Sie hatten überhaupt nichts gemeinsam.
»Also«, sagte er und gefiel sich in der Rolle des Spielleiters, »ich schlage vor, daß wir gleich zur Sache kommen, es sei denn, George, Sie hätten etwas Spezielles im Sinn, worüber Sie vorher noch gern sprechen möchten?« Er dirigierte sie mit seinen scheinbar unauffälligen Bewegungen: die Lelache zu dem Sessel in der Ecke gegenüber, Orr zu der Couch. »Okay. Also gut. Dann spulen wir einen Traum ab. Der nebenbei für das Gesundheitsamt die Tatsache belegen wird, daß Sie wegen dem Verstärker keine Zehennägel verlieren, keine Arterienverkalkung bekommen, den Verstand verlieren oder an sonstigen Nebenwirkungen leiden, abgesehen davon, daß der Traumschlaf heute vielleicht ein klein wenig kürzer ausfallen wird.« Er hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da streckte er den Arm aus und legte die rechte Hand fast beiläufig an Orrs Hals.
Orr zuckte bei der Berührung zusammen, als wäre er noch nie hypnotisiert worden.
Dann entschuldigte er sich. »Pardon. Sie haben so unerwartet zugegriffen.«