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Es war erforderlich, noch einmal ganz von vorn mit der Hypnose anzufangen und dabei auf die Pressurmethode zurückzugreifen, die selbstverständlich vollkommen legal war, aber im Beisein einer Beobachterin des Gesundheitsamts dramatischer wirkte, als Haber lieb sein konnte; er war wütend auf Orr, bei dem er schon während den letzten fünf oder sechs Sitzungen einen zunehmenden Widerstand gespürt hatte. Als er den Mann endlich soweit hatte, schaltete er ein Tonband ein, das er selbst aufgenommen hatte und das ihm die langweilige Wiederholung der Vertiefung der Trance und der posthypnotischen Suggestion beim wiederholten Hypnotisieren ersparte. »Sie fühlen sich jetzt ruhig und entspannt. Sie fallen immer tiefer in Trance«, und so weiter, und so fort. Während es abgespielt wurde, ging er zu seinem Schreibtisch, sichtete mit ruhigem, ernstem Gesichtsausdruck Papiere und beachtete die Lelache gar nicht. Sie verhielt sich ganz still, weil sie wußte, daß der Hypnosevorgang nicht unterbrochen werden durfte; sie schaute zum Fenster hinaus und genoß die Aussicht auf die Türme der Stadt.

Schließlich stoppte Haber das Tonband und setzte Orr die Trancekappe auf den Kopf. »Während ich Sie jetzt vorbereite, reden wir darüber, was für einen Traum Sie heute träumen werden, George. Sie möchten doch gern darüber reden, nicht wahr?«

Langsames Nicken des Patienten.

»Als Sie das letzte Mal hier waren, haben wir über einige Dinge gesprochen, die Sie bekümmern. Sie sagten, daß Sie Ihre Arbeit lieben, es Ihnen aber nicht gefällt, daß Sie mit der U-Bahn zu Ihrem Arbeitsplatz fahren müssen. Sie fühlen sich bedrängt, sagten Sie — eingezwängt, zusammengequetscht. Sie würden sich fühlen, als hätten Sie keine Ellbogenfreiheit, als wären Sie nicht frei.«

Er machte eine Pause, und der Patient, der sich unter Hypnose stets recht wortkarg gab, antwortete schließlich nur: »Überbevölkerung.«

»Mhm, das war das Wort, das Sie benutzt haben. Das ist Ihr Wort, Ihre Metapher für dieses Gefühl der Unfreiheit. Also, unterhalten wir uns über dieses Wort. Sie wissen, daß schon im achtzehnten Jahrhundert Malthus Panik wegen des Bevölkerungswachstums machte; und vor dreißig, vierzig Jahren herrschte deswegen abermals eine enorme Aufregung. Und die Bevölkerungszahl ist tatsächlich angestiegen; aber die prophezeiten Schrecken blieben einfach aus. Es ist schlicht und einfach nicht so schlimm, wie vorhergesagt wurde. Wir hier in Amerika kommen ganz gut zurecht, und auch wenn wir unseren Lebensstandard in mancher Hinsicht senken mußten, ist er doch in vielerlei anderer Hinsicht höher als noch vor einer Generation. Vielleicht repräsentiert eine übertriebene Furcht vor Überbevölkerung — Überfüllung — also nicht die äußere Realität, sondern einen inneren Geisteszustand. Wenn Sie sich beengt fühlen, obwohl Sie es gar nicht sind, was hat das zu bedeuten? Vielleicht, daß Sie Angst vor menschlichen Kontakten haben — davor, Menschen nahe zu sein, berührt zu werden. Und aus diesem Grund haben Sie eine Art von Ausrede gesucht, um die Realität auf Distanz zu halten.« Das EEG lief mit, und während Haber sprach, schloß er den Verstärker an. »So, George, wir werden uns jetzt noch ein Weilchen unterhalten, und wenn ich das Schlüsselwort ›Antwerpen‹ sage, schlafen Sie ein; wenn Sie erwachen, fühlen Sie sich erfrischt und ausgeruht. Sie werden sich nicht mehr an das erinnern, was ich gesagt habe, wohl aber an Ihren Traum. Es wird ein lebhafter Traum sein, lebhaft und angenehm, ein wirkungsvoller Traum. Sie werden von diesem Thema träumen, das Sie so sehr bekümmert, Überbevölkerung: Sie werden einen Traum träumen, in dem Sie herausfinden, daß Sie in Wahrheit gar keine Angst davor haben. Schließlich können die Menschen nicht aliein leben; Einzelhaft ist die schlimmste Form der Haftstrafe! Wir brauchen Menschen um uns herum. Damit sie uns helfen, damit wir ihnen helfen können, damit wir uns mit ihnen messen und unsere Fähigkeiten an ihnen verbessern können.«

Und so weiter, und so fort. Die Anwesenheit der Anwältin engte ihn extrem ein; er mußte alles in abstrakte Begriffe verpacken, anstatt Orr einfach frei heraus zu befehlen, was er träumen sollte. Natürlich verfälschte er seine Methode nicht, um die Beobachterin zu täuschen; seine Methode war einfach noch nicht invariabel. Er variierte sie von Sitzung zu Sitzung und suchte nach narrensicheren Mitteln und Wegen, den exakten Traum zu suggerieren, den er haben wollte, und stets mußte er dabei gegen den Widerstand ankämpfen, der für ihn manchmal auf die übertriebene Buchstabentreue primärer Denkvorgänge und manchmal auf eine eindeutige Sturheit in Orrs Denken zurückzuführen zu sein schien. Was auch immer das Haupthindernis war, der Traum gestaltete sich fast nie so, wie Haber ihn beabsichtigt hatte; daher konnte es gut sein, daß diese vage, abstrakte Form der Suggestion so gut wie jede andere auch wirkte. Vielleicht würde sie sogar weniger unbewußten Widerstand in Orr selbst auslösen.

Er winkte die Anwältin zu sich, damit sie zu ihm kommen und einen Blick auf den EEG-Monitor werfen konnte, zu dem sie von ihrer Ecke aus gesehen hatte, dann fuhr er fort. »Sie werden einen Traum träumen, in dem Sie sich nicht beengt und eingezwängt fühlen. Sie werden von jeder Ellbogenfreiheit träumen, die man sich auf der Welt nur vorstellen kann, von uneingeschränkter Bewegungsfreiheit.« Und schließlich sagte er »Antwerpen!« — und zeigte auf die EEG-Kurven, so daß die Lelache die beinahe schlagartige Veränderung sehen konnte. »Achten Sie auf die allgemeine Verlangsamung der Linien«, murmelte er. »Da haben wir den ersten Hochspannungs-Peak, sehen Sie, und da noch einen … Schlafspindeln. Er gleitet bereits in das zweite Stadium des orthodoxen Schlafs hinüber, des normalen Schlafs, wie man sich auch immer ausdrücken möchte, die Art von Schlaf ohne lebhafte Träume, die die ganze Nacht hindurch immer wieder zwischen den paradoxen Stadien auftreten. Aber ich lasse ihn nicht in das vierte Tiefschlafstadium absinken, schließlich ist er ja zum Träumen hier. Ich schalte jetzt den Verstärker ein. Behalten Sie die Linien im Auge. Sehen Sie?«

»Sieht so aus, als würde er wieder aufwachen«, murmelte sie skeptisch.

»Richtig! Aber er wacht nicht auf. Sehen Sie ihn an.«

Orr lag auf dem Rücken, sein Kopf war ein wenig zurückgeneigt, so daß der kurze blonde Bart in die Höhe ragte; er schlief tief und fest, aber seine Lippen wirkten verkniffen; er seufzte tief.

»Sehen Sie, wie sich die Augen unter den Lidern bewegen? So wurde man damals, in den 1930er Jahren, erstmals auf dieses ganze Phänomen des Traumschlafs aufmerksam; sie gaben ihm jahrelang die Bezeichnung Rapid-Eye-Movement-Schlaf, REM. Aber in Wahrheit ist es verdammt viel mehr. Es ist ein dritter Daseinszustand. Sein ganzes autonomes Nervensystem ist voll mobilisiert, wie bei einem aufregenden Ereignis im Wachzustand; aber seine Muskelanspannung ist gleich null, die großen Muskeln sind viel entspannter als im orthodoxen Schlaf. Die Bereiche in Großhirn, Kleinhirn, Hirnstamm und Ammonshorn sind so aktiv, wie im Wachzustand, wohingegen sie im orthodoxen Schlaf inaktiv sind. Seine Atmung und der Blutdruck entsprechen der Stufe des Wachzustands, oder einer höheren. Hier, fühlen Sie seinen Puls.« Er führte ihre Finger an Orrs schlaffes Handgelenk. »Achtzig oder fünfundachtzig. Er erlebt gerade einen wahren Knüller, was immer es auch sein mag …«

»Sie meinen, er träumt?« Sie schaute ehrfürchtig drein.

»Richtig.«

»Sind diese Reaktionen normal?«

»Unbedingt. Diesen Ablauf macht jeder von uns jede Nacht durch, vier- oder fünfmal, mindestens zehn Minuten am Stück. Das da auf dem Monitor ist ein ganz normales EEG paradoxen Schlafs. Die einzige Anomalie oder Besonderheit, die hin und wieder auffällt, ist ein gelegentlicher Peak quer durch sämtliche Kurven, eine Art Geistesblitzeffekt, den ich vorher noch nie bei einem EEG des paradoxen Schlafs bemerkt habe. Das Muster scheint Ähnlichkeit mit einem Effekt aufzuweisen, den man von den Elektroenzephalogrammen von Menschen kennt, die intensiv mit einer bestimmten Art von Arbeit beschäftigt sind: kreativer oder künstlerischer Arbeit, Malen, Verse dichten, selbst die Lektüre von Shakespeare. Was dieses Gehirn in den Augenblicken macht, weiß ich noch nicht. Aber der Verstärker gibt mir die Möglichkeit, sie systematisch zu beobachten und damit irgendwann einmal auch zu analysieren.«