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Der Zweck heiligt die Mittel. Was aber, wenn es gar keinen Zweck gibt? Wir haben nur die Mittel. Orr legte sich auf die Couch und machte die Augen zu. Die Hand berührte seinen Hals. »Sie versinken jetzt im Hypnosezustand, George«, sagte Haber mit seiner tiefen Stimme. »Sie sind …«

Dunkelheit.

In der Dunkelheit.

Noch nicht ganz Nacht: Abenddämmerung über den Feldern. Baumgruppen, die schwarz und feucht aussahen. Die Straße, auf der er dahinschritt, spiegelte das letzte schwache Licht des Himmels; sie verlief lang und schnurgerade, eine alte Landstraße mit rissiger Asphaltdecke. Eine Gans lief fünf Meter vor ihm, etwa fünfzehn Schritte voraus und lediglich als heller, wankender Fleck zu erkennen. Hin und wieder zischelte sie verhalten.

Die Sterne kamen weiß wie Gänseblümchen heraus. Ein besonders großer erblühte rechts von der Straße, dicht über dem dunklen Land, grellweiß. Als Orr wieder aufschaute, war der Stern schon größer und heller geworden. Er wächst, dachte Orr. Und je heller er wurde, desto rötlicher sah er aus. Er verrötlich-größerte sich. Der Blick verschwamm. Kleine blaugrüne Linien züngelten um ihn, zickzackförmiges Brownsches ringelreinherumringelreinherum. Ein riesiger milchiger Schein pulsierte um den großen Stern und kleine Linien, schwacher, klarer, pulsierend. Oh nein nein nein! sagte er, als der große Stern riesendlich aufloderte und blendend BARST. Er fiel zu Boden, bedeckte den Kopf mit den Armen, während der Himmel sich zu Streifen gleißenden Todes auftat, konnte sich aber nicht auf das Gesicht drehen, mußte alles sehen und bezeugen. Der Boden zuckte auf und ab, die Haut der Erde schlug enorme bebende Falten. »Laß ab, laß ab!« schrie er laut mit himmelwärts gewandtem Gesicht und erwachte auf der Ledercouch.

Er setzte sich auf und barg das Gesicht in den schweißnassen, zitternden Händen.

Wenig später spürte er Habers Hand schwer auf der Schulter. »Wieder ein schlimmes Erlebnis? Verdammt, ich dachte, diesmal würde ich es Ihnen leicht machen. Ich hatte Ihnen befohlen, daß Sie vom Frieden träumen.«

»Das habe ich.«

»Und das empfanden Sie als beängstigend?«

»Ich habe eine Weltraumschlacht beobachtet.«

»Beobachtet? Von wo?«

»Von der Erde.« Er schilderte den Traum kurz, ließ die Gans jedoch unerwähnt. »Ich weiß nicht, ob sie eins von uns oder wir eins von ihnen abgeschossen haben.«

Haber lachte. »Ich wünschte, wir könnten sehen, was da draußen vor sich geht! Vielleicht würden wir dann verantwortungsvoller handeln. Aber natürlich finden diese Begegnungen in Geschwindigkeiten und Entfernungen statt, für die das menschliche Auge einfach nicht geschaffen ist. Ihre Version ist zweifellos sehr viel pittoresker als die Wirklichkeit. Hört sich ganz wie ein guter Science-Fiction-Film aus den siebziger Jahren an. Die habe ich mir als Kind immer angesehen … Aber warum glauben Sie, Sie hätten von einer Schlacht geträumt, wo doch Frieden suggeriert wurde?«

»Nur Frieden? Träumen Sie vom Frieden — mehr haben Sie nicht gesagt?«

Haber antwortete nicht sofort. Er machte sich an den Kontrollen des Verstärkers zu schaffen.

»Okay«, sagte er schließlich. »Lassen wir Sie dieses eine Mal die Suggestion mit dem Traum vergleichen. Vielleicht finden wir heraus, warum er einen negativen Verlauf nahm. Ich sagte … nein, spielen wir das Band ab.« Er ging zu einem Paneel in der Wand.

»Sie schneiden die ganze Sitzung mit?«

»Freilich. Psychiatrische Standardvorgehensweise. Wußten Sie das nicht?«

Woher sollte ich es wissen, wenn das Tonband versteckt ist, kein Signal von sich gibt und du es mir nicht mitgeteilt hast, dachte Orr; aber er sagte nichts. Vielleicht war es die Standardvorgehensweise, vielleicht Habers persönliche Arroganz; so oder so konnte er nichts daran ändern.

»Da sind wir, hier etwa müßte es sein. Jetzt der Hypnosezustand, George. Sie sind — Hier! Dämmern Sie mir nicht weg, George!« Das Band zischte. Orr schüttelte den Kopf und blinzelte. Die letzten Anweisungen stammten natürlich nur von dem Haber auf Tonband; aber er stand immer noch unter dem Einfluß des hypnoseinduzierenden Medikaments.

»Ich muß ein Stück überspringen. Also gut.« Jetzt ertönte wieder Habers Stimme vom Tonband:»- Frieden. Kein Massenmord mehr von Menschen an anderen Menschen. Keine Kämpfe im Iran, in Arabien und Israel. Keine Völkermorde mehr in Afrika. Keine Arsenale von nuklearen und biologischen Waffen. Keine Forschung mehr an Mitteln und Wegen, wie man Menschen tötet. Eine Welt in Frieden mit sich selbst. Friede als allgemeingültiger Lebensstil auf Erden. Sie werden von dieser Welt träumen, die in Frieden mit sich ist. Jetzt werden Sie einschlafen. Wenn ich —« Er hielt das Band unvermittelt an, um Orr mit dem Schlüsselwort nicht wieder in Schlaf zu versetzen.

Orr rieb sich über die Stirn. »Na ja«, sagte er leise, »ich habe die Anweisungen befolgt.«

»Kaum. Von einem Kampf im cislunaren Raum zu träumen —« Haber verstummte so unvermittelt wie das Band.

»Cislunar«, sagte Orr, dem Haber ein wenig leid tat. »Wir haben dieses Wort nicht benutzt, als ich einschlief. Wie ist die Lage in Isrägypten?«

Das Kunstwort aus der alten Realität hatte eine seltsame Schockwirkung, als es in dieser Realität ausgesprochen wurde: wie der Surrealismus, schien es einen Sinn zu ergeben, oder schien scheinbar ohne Sinn zu sein und dennoch einen zu ergeben.

Haber ging in dem langen, geschmackvollen Raum auf und ab. Einmal strich er mit der Hand über seinen rotbraunen, lockigen Bart. Die Geste war berechnend und Orr wohl bekannt, doch als er zum Sprechen ansetzte, spürte Orr, daß er seine Worte mit Bedacht aussuchte und wählte und sich zur Abwechslung einmal nicht auf seinen unerschöpflichen Fundus an Improvisation verließ. »Es ist eigentümlich, daß Sie die Verteidigung der Erde als Symbol oder Metapher für den Frieden, für das Ende der Kriegführung benutzt haben. Und dennoch nicht unangebracht. Nur sehr subtil. Träume sind unendlich subtil. Unendlich. Denn tatsächlich war es die Gefahr, die unmittelbare Bedrohung durch die Invasion von nichtkommunizierenden, grundlos feindlichen Außerirdischen, die uns gezwungen hat, die Kampfhandlungen untereinander einzustellen, unsere aggressiven-defensiven Energien nach außen zu richten, das territoriale Streben dahingehend auszudehnen, daß es die gesamte Menschheit umfaßt, unsere Waffen gegen einen gemeinsamen Feind zu vereinigen. Wenn die Außerirdischen nicht zugeschlagen hätten, wer weiß? Vielleicht würden wir immer noch im Nahen Osten kämpfen.«

»Vom Regen in die Traufe«, sagte Orr. »Begreifen Sie nicht, Dr. Haber, daß Sie nie mehr als das von mir bekommen werden? Hören Sie, es ist nicht so, daß ich gegen Sie arbeiten, Ihre Pläne zunichte machen möchte. Es war eine gute Idee, den Krieg zu beenden, da bin ich vollkommen Ihrer Meinung. Ich habe bei der letzten Wahl sogar für die Isolationisten gestimmt, weil Harris versprochen hat, unser Engagement im Nahen Osten zu beenden. Aber ich denke, ich, oder mein Unterbewußtsein, kann mir eine Welt ohne Krieg nicht einmal vorstellen. Es kann bestenfalls einen Krieg gegen einen anderen eintauschen. Sie sagten, Menschen sollen keine anderen Menschen mehr töten. Also träumte ich die Außerirdischen. Ihre eigenen Einfälle sind klug und rational, aber Sie versuchen, mein Unterbewußtsein zu benutzen, nicht meinen rationalen Verstand. Vielleicht könnte ich mir rational vorstellen, daß die menschliche Rasse nicht versucht, sich gegenseitig nationenweise auszurotten, das ist rational sogar leichter zu begreifen als die Motive für einen Krieg. Aber Sie haben es mit etwas außerhalb der Vernunft zu tun. Sie versuchen, progressive, humanitäre Ziele mit einem Werkzeug zu erreichen, das nicht für diese Aufgabe geeignet ist. Wer hat schon humanitäre Träume?«