Sie richtete sich auf. Die Wölfe verkündeten heulend das Ende der Welt.
Sonnenschein fiel durch das Fenster und verbarg alles, was unter seiner gleißenden Schräge lag. Sie tastete sich durch das Übermaß an Helligkeit und fand den Träumenden noch schlafend, mit dem Gesicht nach unten. »George! Wachen Sie auf! Oh, George, bitte wachen Sie auf! Etwas stimmt nicht!«
Er wachte auf. Er lächelte ihr beim Aufwachen zu.
»Etwas stimmt nicht — die Sirenen — was ist nur los?« Er verweilte immer noch halb in seinem Traum und sagte emotionslos: »Sie sind gelandet.«
Denn er hatte genau das getan, was sie ihm befohlen hatte. Sie hatte ihm befohlen, zu träumen, daß die Außerirdischen nicht mehr auf dem Mond waren.
8
Himmel und Erde sind nicht menschenfreundlich.
Im Zweiten Weltkrieg erlebte der Bundesstaat Oregon als einziger Teil des amerikanischen Festlands einen direkten Angriff. Ein paar japanische Feuerballons setzten ein Stück Wald an der Küste in Brand. Im Ersten Interstellaren Krieg war der einzige Teil des amerikanischen Festlands, der eine Invasion erlebte, der Bundesstaat Oregon. Man hätte den Lokalpolitikern die Schuld daran geben können; die historische Funktion eines Senators aus Oregon besteht darin, alle anderen Senatoren wahnsinnig zu machen, darum wird auf das Brot des Bundesstaats niemals irgendwelche militärische Butter gestrichen. Oregon besaß nichts haufenweise, ausgenommen Heu, keine Raketensilos, keine Stützpunkte der NASA. Es war ganz offenkundig schutzlos. Die Ballistischen Anti-Außerirdische-Raketen, mit denen man das Land verteidigte, wurden von den riesigen unterirdischen Anlagen in Walla Walla, Washington, und Round Valley, Kalifornien aus gestartet. Von Idaho, das zum überwiegenden Teil der amerikanischen Luftwaffe gehörte, rasten die enormen XXTT-9900-Jagdbomber mit Überschallgeschwindigkeit nach Westen, ließen jedes Trommelfell zwischen Boise und Sun Valley platzen und patrouillierten, um nach jedem Raumschiff der Außerirdischen zu suchen, dem es irgendwie gelungen sein mochte, das unfehlbare Netz der BAARs zu durchbrechen.
Von den Schiffen der Außerirdischen, die über eine Vorrichtung verfügten, mit denen sie die Steuerungssysteme der Abwehrraketen beeinflussen konnten, wurden die BAARs einfach übernommen, wendeten irgendwo in der Stratosphäre, kehrten um, landeten und explodierten hier und da im gesamten Bundesstaat Oregon. Die trockenen Osthänge der Cascades wurden von Flammen verwüstet. Feuersbrünste wüteten in Gold Beach und Dalles und vernichteten sie. Portland verzeichnete keine direkten Treffer; aber eine verirrte BAAR mit Atomsprengkopf schlug in der Nähe des alten Kraters in den Mount Hood ein und weckte den erloschenen Vulkan. Dampf und Erdstöße waren die unmittelbare Folge, und um die Mittagszeit des ersten Tages der Invasion der Außerirdischen, dem ersten April, hatte sich am Nordwesthang ein breiter Riß mit einer heftigen Eruption aufgetan. Lavaströme setzten die schneefreien, abgeholzten Hänge in Brand und bedrohten die Ortschaften Zigzag und Rhododendron. Ein Schlackekegel bildete sich, und die gesamte Atmosphäre im vierzig Meilen entfernten Portland wurde bald trüb und grau von Asche. Als der Abend kam und der Wind nach Süden drehte, wurden die unteren Luftschichten ein klein wenig klarer und offenbarten das feierliche orangerote Flackern der Eruption in den Wolkenschichten im Osten. Am von Regen und Asche verhangenen Himmel schossen donnernd ganze Geschwader von XXTT-9900S dahin und suchten vergeblich nach Schiffen der Außerirdischen. Nach wie vor wurden weitere Jagdbombergeschwader und Kampfflugzeuge von der Ostküste und befreundeten Nationen des Pakts entsandt; diese schossen sich mitunter gegenseitig ab. Erdbeben, Raketeneinschläge und abstürzende Kampfjets ließen den Boden erbeben. Eines der außerirdischen Schiffe war keine acht Meilen von der Gemarkungsgrenze entfernt gelandet, darum wurden alle südwestlichen Vororte der Stadt dem Erdboden gleich gemacht, da Jagdbomber das gesamte, elf Quadratmeilen große Areal, in dem das Schiff der Außerirdischen angeblich gelandet sein sollte, verwüsteten. Tatsächlich jedoch waren längst Informationen eingetroffen, daß es sich überhaupt nicht mehr dort aufhielt. Aber schließlich mußte etwas getan werden. Bomben fielen aus Versehen auf viele andere Teile der Stadt, wie es bei Flächenbombardements nun einmal nicht zu vermeiden ist. Im gesamten Stadtzentrum blieb keine einzige Fensterscheibe heil. Statt dessen lagen sie als Scherben und Bruchstücke zwei bis drei Zentimeter hoch in sämtlichen innerstädtischen Straßen. Flüchtlinge aus dem Südwesten von Portland mußten darüber hinweg laufen; Frauen trugen ihre Kinder und marschierten weinend in dünnen Schuhen voller Glassplitter dahin.
William Haber stand am großen Fenster seines Büros im Oneirologischen Institut von Oregon und betrachtete die lodernden Feuer unten in den Hafenanlagen und den blutroten Lichtschein der Eruption. Er hatte noch Glasscheiben in den Fenstern; beim Washington Park war noch nichts gelandet oder explodiert, und die Erdbeben, die unten bei den Flußufern ganze Gebäudezüge entzwei rissen, hatten hier bislang nichts Schlimmeres angerichtet, als die Scheiben in den Fensterrahmen klirren zu lassen. Ganz leise konnte er die Elefanten im Zoo trompeten hören. Streifen eines ungewöhnlichen purpurroten Lichts zeigten sich gelegentlich im Norden, möglicherweise über der Stelle, wo der Willamette in den Columbia einmündet; in dem ascheschwangeren, dunstigen Zwielicht konnte man nur schwer Genaueres erkennen. Weite Teile der Stadt lagen nach Stromausfällen im Dunkeln; andere Viertel funkelten schwach, obwohl die Straßenbeleuchtung nicht eingeschaltet worden war.
Niemand sonst hielt sich im Institut auf.
Haber hatte den ganzen Tag lang versucht, George Orr ausfindig zu machen. Als sich seine Suche als vergeblich herausstellte und Hysterie und zunehmende Verwüstung der Stadt eine Fortsetzung der Suche unmöglich machten, hatte er sich in das Institut zurückgezogen. Er hatte den größten Teil des Wegs zu Fuß zurücklegen müssen, für ihn ein entnervendes Erlebnis. Ein Mann in seiner Position, mit einem so übervollen Terminkalender, fuhr selbstverständlich einen Batteriewagen. Aber die Batterie gab den Geist auf, und wegen den dichten Menschenmassen konnte er keine Ladestation erreichen. Er mußte aussteigen und gegen den Hauptstrom der Masse gehen, direkt in ihrer Mitte. Das erwies sich als beunruhigend. Er mochte Menschenmassen nicht. Doch dann verschwanden die Menschenmassen und er schritt allein über die weiten Rasenflächen und durch Baumgruppen und Wälder des Parks: und das war, wie sich herausstellte, noch viel schlimmer.
Haber betrachtete sich selbst als einsamen Wolf. Er hatte weder eine Ehe noch enge Freundschaften je gewollt, er hatte sich für zeitraubende Forschungen entschieden, die durchgeführt wurden, während andere schliefen, er hatte persönliche Beziehungen vermieden. Sein Sexualleben beschränkte er fast ausschließlich auf Abenteuer für eine Nacht oder Hobbyhuren, manchmal Frauen und manchmal junge Männer; er wußte, in welchen Bars und Kinos und Saunen er finden konnte, was er suchte. Er bekam, was er wollte, und verschwand wieder, bevor er oder die andere Person irgendeine Form von Bedürfnis nach dem anderen entwickeln konnten. Er schätzte seine Unabhängigkeit, seinen freien Willen.
Aber er fand es schrecklich, allein zu sein, ganz allein in dem riesigen, gleichgültigen Park, wo er sich in großer Eile, fast im Laufschritt, dem Institut näherte, weil er sonst nirgendwo hin konnte. Und als er dort eintraf, war es vollkommen still und menschenleer.
Miss Crouch bewahrte ein Transistorradio in der Schreibtischschublade auf. Das holte er und ließ es leise eingeschaltet, damit er die neuesten Berichte hören konnte, oder wenigstens eine menschliche Stimme.