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Habers von schwarzen Locken und einem Bart eingerahmtes graues Gesicht erschien plötzlich über der herausgezogenen Verkleidung des Verstärkers. Als er Orr ansah, spiegelte sich das Licht vom deckenhohen Fenster in seinen Augen.

»Vermutlich ja«, sagte Orr; eigentlich hatte er nicht einmal daran gedacht.

»Ich glaube, es ist an der Zeit, Ihnen mitzuteilen, daß Sie im Referenzrahmen dieser standardisierten, aber extrem subtilen und nützlichen Tests so normal sind, daß man es schon als abnormal bezeichnen könnte. Natürlich benutze ich den laienhaften Ausdruck ›normal‹, der keine exakte, objektive Bedeutung hat; in meßbaren Ausdrücken sind Sie Mittelmaß. Ihr Extrovertiert/Introvertiert-Wert, zum Beispiel, liegt bei 49,1. Das heißt, Sie sind um 0,9 Punkte introvertierter als extrovertierter. Das ist nicht ungewöhnlich; auffällig ist aber, daß dieses verdammte Muster sich überall wiederholt, quer durch die Bank. Wenn man sie alle in ein einziges Diagramm überträgt, bekommt man einen glatten Mittelwert von 50. Dominanz, zum Beispiel; ich glaube, da hatten Sie 48,8. Weder dominant noch unterwürfig. Unabhängigkeit/Abhängigkeit — dasselbe. Kreativ/Destruktiv auf der Ramirez-Skala — dasselbe. Beides, keines. Entweder, oder. Wo es gegensätzliche Paare gibt, eine Polarität, stehen Sie in der Mitte; wenn es etwas abzuwägen gibt, stehen Sie am Gleichgewichtspunkt. Sie sind so austariert, daß in gewissem Sinne nichts übrigbleibt. Also Walters unten in der Uniklinik, der deutet die Ergebnisse etwas anders; er sagt, Ihr Mangel an sozialen Errungenschaften sei das Resultat Ihrer ganzheitlichen Anpassung, was immer er darunter verstehen mag, und was ich als Selbstverleugnung betrachte, sei ein ganz besonderer Zustand des Gleichgewichts, der Harmonie. Woran man ermessen kann, seien wir ehrlich, der alte Walters ist ein kläglicher Scharlatan, er ist dem Mystizismus der siebziger Jahre nie entwachsen; aber er meint es gut. Also, sprechen wir es ruhig aus: Sie sind der Mann in der Mitte des Diagramms. So, jetzt können wir das Glumdalklitsch mit dem Brobdingnag verbinden, und schon sind wir bereit … Verflucht!« Er hatte sich beim Aufstehen den Kopf an einem Paneel gestoßen. Er ließ den Verstärker offen. »Sie sind ein schräger Vogel, George, und das Schrägste an Ihnen ist, daß nichts schräg an Ihnen ist.« Er lachte sein polterndes, joviales Lachen. »Also, heute versuchen wir eine neue Vorgehensweise. Keine Hypnose. Kein Schlaf. Kein REM-Stadium und keine Träume. Heute möchte ich Sie im Wachzustand mit dem Verstärker verbinden.«

Orr wurde ganz mulmig, aber er wußte nicht, warum. »Wieso das?« fragte er.

»Prinzipiell, um eine Aufzeichnung Ihrer normalen Gehirnströme im Wachzustand zu bekommen, wenn sie verstärkt werden. Ich habe zwar bei der ersten Sitzung eine vollständige Analyse durchgeführt, aber das war, bevor der Verstärker etwas anderes machen konnte als den Rhythmus aufzugreifen, den Sie in dem Moment ausgesandt haben. Jetzt kann ich ihn benutzen, um bestimmte individuelle Charakteristiken Ihrer Gehirnaktivität spezieller anzuregen, besonders diesen Peak-Effekt Ihres Ammonshorns. Danach kann ich sie mit Ihren REM-Schlaf-Mustern und den Mustern anderer Gehirne vergleichen, normaler wie abnormaler. Ich versuche herausfinden, wie Sie ticken, George, damit ich erfahren kann, was Ihre Träume wirkungsvoll macht.«

»Wieso das?« wiederholte George.

»Wieso das? Sind Sie denn nicht gerade deswegen hier?«

»Ich bin hier, damit ich geheilt werde. Damit ich lerne, nicht wirkungsvoll zu träumen.«

»Wenn es ein einfaches Eins-zwei-drei-Heilmittel gäbe, wären Sie dann hierher ins Institut geschickt worden, zu EFMEG — zu mir?«

»Und werden Sie das auch tun?«

Orr barg den Kopf in den Händen und sagte nichts.

»Ich kann Ihnen erst zeigen, wie Sie aufhören können, wenn ich herausgefunden habe, was Sie machen, George.«

»Aber wenn Sie es herausfinden, werden Sie mir dann zeigen, wie ich aufhören kann?«

Haber wippte auf den Absätzen hin und her. »Warum haben Sie solche Angst vor sich selbst, George?«

»Habe ich nicht«, sagte Orr. Seine Hände waren schweißnaß. »Ich habe Angst davor —« Aber seine Angst war so groß, daß er es nicht einmal aussprechen wollte.

»Davor, etwas zu verändern, wie Sie sich ausdrücken. Okay. Ich weiß. Das haben wir oft genug besprochen. Warum, George? Diese Frage müssen Sie sich stellen. Was ist falsch daran, etwas zu verändern? Also ich frage mich, ob diese Ihre selbstverleugnende, austarierte Persönlichkeit die Ursache dafür ist, daß Sie alles so defensiv sehen. Bitte versuchen Sie einmal für mich, sich selbst kritisch unter die Lupe zu nehmen und Ihren Standpunkt objektiv von außen zu sehen. Sie haben Angst, Ihr Gleichgewicht zu verlieren. Aber Veränderung muß Sie nicht aus dem Gleichgewicht bringen; schließlich ist auch das Leben kein statisches Objekt. Es ist ein Vorgang. Stillstand gibt es nicht. Intellektuell wissen Sie das, aber emotional wehren Sie sich dagegen. Nichts bleibt von einem Augenblick zum nächsten gleich, man kann nicht zweimal in denselben Fluß steigen. Leben — Evolution — das ganze Universum mitsamt Raum/Zeit — Materie/Energie — die Existenz selbst — besteht im wesentlichen aus Veränderung.«

»Das ist ein Aspekt davon«, sagte Orr. »Der andere ist Stillstand.«

»Wenn sich nichts mehr verändert, dann haben wir es mit dem Endergebnis der Entropie zu tun, dem Wärmetod des Universums. Je mehr Dinge sich bewegen, interagieren, zusammenprallen, sich verändern, desto weniger Gleichgewicht gibt es — und desto mehr Leben. Ich bin für das Leben, George. Das Leben selbst ist ein großes Glücksspiel, ein Glücksspiel gegen jede Chance! Sie können nicht versuchen, sicher zu leben, weil es so etwas wie Sicherheit gar nicht gibt. Also strecken Sie den Kopf aus Ihrem Panzer heraus und leben Sie waghalsig! Es kommt nicht auf den Weg an, sondern auf das Ziel. Sie haben Angst davor, zu akzeptieren, daß wir beide in ein wirklich großes Experiment verwickelt sind, Sie und ich. Wir sind kurz davor, zum Wohle der gesamten Menschheit eine ganz neue Kraft zu entdecken und zu beherrschen, ein vollkommen neues Feld der anti-entropischen Energie, der Lebenskraft, des Willens zu handeln, zu verändern!«

»Das stimmt alles. Aber es ist —«

»Was, George?« Er gab sich jetzt väterlich und geduldig; und Orr zwang sich, fortzufahren, wohl wissend, daß es keinen Sinn hatte.

»Wir sind in der Welt, nicht dagegen. Es funktioniert nicht, wenn man versucht, außerhalb der Dinge zu stehen und sie auf diese Weise zu manipulieren. Es funktioniert einfach nicht, es ist gegen das Leben. Es gibt einen Weg, aber man muß ihm folgen. Die Welt ist, ganz egal, wie sie unserer Meinung nach sein sollte. Man muß mit dem Strom schwimmen. Man muß sie sein lassen.«

Haber ging in dem Zimmer auf und ab und blieb vor dem großen Fenster stehen, das ein Panorama nordwärts des gleichmütigen und inaktiven Mount St. Helen einrahmte. Er nickte mehrmals. »Ich verstehe«, sagte er mit dem Rücken zu Orr. »Ich verstehe voll und ganz. Aber lassen Sie es mich einmal so ausdrücken, George, vielleicht verstehen Sie dann, worauf ich hinaus will. Sie sind allein im Dschungel, im Mato Grosso, und finden eine Eingeborenenfrau auf dem Weg, die nach einem Schlangenbiß im Sterben liegt. Sie haben Serum in Ihrem Rucksack, jede Menge, genug, um Tausende Schlangenbisse zu heilen. Geben Sie es ihr nicht, weil es ›der Lauf der Welt‹ ist, weil man es ›sein lassen‹ muß?«