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Der Außerirdische nahm die Münze und entschwebte majestätisch zu einer verchromten Registrierkasse, die Orr ebenfalls für eine käufliche Antiquität gehalten hatte. Er gab die Summe mit einem Klingeln in die Registrierkasse ein und blieb eine Weile reglos stehen.

»Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer«, sagte er. »Geteiltes Leid ist halbes Leid.« Er verstummte wieder und schien offenbar nicht zufrieden zu sein mit diesem Versuch, die Kommunikationskluft zu überwinden. Er blieb eine halbe Minute reglos stehen, dann ging er zum Schaufenster und wählte mit exakten, steifen, sorgfältig bemessenen Bewegungen eine der dort ausgelegten alten Schallplatten und brachte sie Orr. Es war eine Platte der Beatles: »With a Little Help From My Friends«.

»Geschenk«, sagte er. »Ist es akzeptabel?«

»Ja«, sagte Orr und nahm die Platte. »Danke — herzlichen Dank. Das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich bin Ihnen dankbar.«

»Vergnügen«, sagte der Außerirdische. Zwar blieben die mechanisch erzeugte Stimme tonlos und der Panzer ungerührt, aber Orr war sicher, daß sich Tiua’k Ennbe Ennbe tatsächlich freute; er selbst fühlte sich gerührt.

»Ich kann sie auf dem Gerät des Hausmeisters abspielen, der besitzt noch einen alten Plattenspieler«, sagte er. »Recht herzlichen Dank.« Sie schüttelten einander noch einmal die Hände und er ging hinaus.

Eigentlich, dachte er bei sich, während er Richtung Corbett Avenue ging, ist es nicht überraschend, daß die Außerirdischen auf meiner Seite sind. In gewissem Sinne habe ich sie erfunden. Natürlich habe ich keine Ahnung, in welchem Sinne. Aber sie waren eindeutig nicht da, bis ich geträumt habe, daß sie da sind, bis ich sie sein ließ. Also gibt — und gab es immer — eine Verbindung zwischen uns.

Natürlich (nahmen seine Gedankengänge ebenfalls im Schritttempo ihren Lauf), wenn das stimmt, dann müßte die ganze Welt so, wie sie jetzt ist, auf meiner Seite sein; weil ich auch einen großen Teil davon herbeigeträumt habe. Na ja, sie ist ja auch auf meiner Seite. Das heißt, ich bin ein Teil von ihr. Nicht separat davon. Ich schreite auf dem Boden und der Boden wird von mir beschritten, ich atme die Luft und veränderte sie dadurch, ich bin ganz und gar mit der Welt verbunden.

Nur Haber ist anders, und diese Andersartigkeit nimmt mit jedem Traum zu. Er ist gegen mich: meine Beziehung zu ihm ist negativ. Und der Aspekt der Welt, für den er verantwortlich ist, den ich auf seinen Befehl hin erträumt habe, von dem fühle ich mich entfremdet, ohnmächtig …

Es ist nicht so, daß er böse wäre. Er hat recht, man sollte versuchen, anderen Menschen zu helfen. Aber diese Analogie mit dem Schlangengiftserum war falsch. Er hat davon gesprochen, daß eine Person einer anderen Person mit Schmerzen begegnet. Das ist etwas anderes. Vielleicht war das, was ich im April vor vier Jahren gemacht habe … gerechtfertigt … (Aber sein ganzes Denken scheute wie immer vor dieser verbrannten Stelle zurück.) Man muß einer anderen Person helfen. Aber es ist nicht recht, für eine Unzahl von Menschen Gott zu spielen. Um Gott zu sein, muß man wissen, was man tut. Und um Gutes zu tun, reicht es einfach nicht aus, wenn man der Überzeugung ist, daß man recht hat und die eigenen Motive anständig sind. Man muß … in Kontakt sein. Er ist nicht in Kontakt. Niemand anderes, nicht einmal ein anderes Ding, besitzt für ihn eine eigene Existenz; er sieht die ganze Welt nur als Mittel für seine Zwecke. Es spielt keine Rolle, ob seine Zwecke gut sind; wir haben nur Mittel … Er kann nicht akzeptieren, er kann nicht sein lassen, er kann nicht loslassen. Er ist wahnsinnig … er könnte uns alle mit sich nehmen, ohne Kontakt, wenn er so träumen könnte wie ich. Was soll ich nur tun?

Er erreichte das alte Haus in der Corbett Avenue gerade in dem Moment, als er sich diese Frage stellte.

Er machte zuerst einen Abstecher in den Keller und lieh sich von Mannie Ahrens, dem Hausmeister, dessen altmodischen Plattenspieler aus. Das erforderte, eine Tasse Tee mit ihm zu trinken. Mannie machte stets einen Tee für Orr, weil er wußte, daß Orr nie geraucht hatte und nicht inhalieren konnte, ohne zu Husten. Sie unterhielten sich eine Weile über das Weltgeschehen. Mannie haßte die Sportveranstaltungen; er blieb zu Hause und sah sich jeden Nachmittag die WPZ-Bildungsprogramme für Kinder im Vorschulalter an. »Die Alligatormarionette Dooby Doo, die ist echt ein scharfes Teil«, sagte er. Es kam zu langen Pausen in der Unterhaltung, die die klaffenden Leerstellen in der Textur von Mannies Verstand widerspiegelten, der nach Einnahme unzähliger Chemikalien über Jahre hinweg ein wenig durchlöchert war. Aber in seiner unaufgeräumten Kellerwohnung herrschten Frieden und Gemütlichkeit, und der schwache Cannabistee hatte eine gelinde entspannende Wirkung auf Orr. Schließlich schleppte er den Plattenspieler nach oben und schloß ihn an die freie Wandsteckdose seines kargen Wohnzimmers an. Er legte die Platte auf und verharrte einen Moment mit dem Tonarm über der kreisenden Scheibe. Was wollte er eigentlich?

Er wußte es nicht. Vermutlich Hilfe. Na ja, was kam, würde akzeptabel sein, wie Tiua’k Ennbe Ennbe gesagt hatte.

Er senkte die Nadel behutsam auf die äußerste Rille der Platte und ließ sich langsam neben dem Schallplattenspieler auf dem staubigen Boden nieder.

Do you need anybody? I need somebody to love.

Es handelte sich um ein automatisches Gerät; als die Platte zu Ende war, knisterte es einen Moment leise, dann klackerte es im Inneren und die Nadel setzte wieder in der ersten Rille auf.

I get by, with a little help, With a little help from my friends.

Beim elften Abspielen schlief Orr tief und fest ein.

Als Heather in dem hohen, kahlen, halbdunklen Raum aufwachte, war sie verwirrt. Wo, um alles in der Welt?

Sie hatte geschlafen. Sie war auf dem Boden sitzend, mit ausgestreckten Beinen und an das Klavier gelehnt eingeschlafen. Marihuana machte sie immer müde, und auch ein wenig albern, aber man konnte Mannie, den liebenswerten alten Kiffer, nicht kränken und es ablehnen. George lag so flach wie ein abgezogenes Katzenfell auf dem Boden, direkt neben dem Plattenspieler, dessen Tonarm auf dem Plattenteller sich langsam durch »With a Little Help« eierte. Sie drehte langsam die Lautstärke herunter, dann stellte sie das Gerät ab. George regte sich nicht einmal; seine Lippen waren leicht geöffnet und die Augen fest geschlossen. Wie seltsam, daß sie beide zu den Klängen dieser Musik eingeschlafen waren. Sie rappelte sich auf die Knie, und ging in die Küche, um nachzusehen, was es zum Abendessen gab.

Schweineleber, um Himmels willen. Die war nahrhaft und hatte vom Gewicht her den größten Gegenwert, den man für drei Fleischmarken bekommen konnte. Sie hatte sie gestern auf dem Markt gekauft. Na ja, hauchdünn geschnitten und mit Speck und Zwiebeln gedünstet … igitt. Ach was, sie war so hungrig, daß sie sogar Schweineleber essen würde, und George war nicht wählerisch. Wenn es sich um anständiges Essen handelte, aß er es mit Genuß, und wenn es sich um lausige Schweineleber handelte, aß er es. Gelobt sei Gott, der uns alle Freuden schenkt, gutmütige Männer eingeschlossen.

Während sie den Küchentisch deckte und zwei Kartoffeln und einen halben Kohlkopf zum Kochen aufstellte, hielt sie von Zeit zu Zeit inne: Sie fühlte sich seltsam. Desorientiert. Zweifellos wegen des verdammten Pots und weil sie stundenlang auf dem Fußboden geschlafen hatte.

George kam zerzaust und mit staubigem Hemd herein. Er sah sie an. »Na ja,« sagte sie. »Guten Morgen!«

Er stand da und sah sie lächelnd an, ein breites, strahlendes Lächeln reinster Freude. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie so ein schönes Kompliment bekommen; sie konnte diese Freude, deren Ursache sie selbst war, kaum begreifen. »Mein teures Weib«, sagte er und nahm ihre Hände. Er betrachtete die Hände, Handflächen und Handrücken, und drückte sie an sein Gesicht. »Du solltest braun sein«, sagte er, und zu ihrer Bestürzung sah sie Tränen in seinen Augen. Einen Augenblick, aber auch nur diesen einen Augenblick, hatte sie eine Vorstellung davon, was los war; sie erinnerte sich daran, daß sie braun gewesen war, erinnerte sich blitzartig an die nächtliche Stille in der Blockhütte, den rauschenden Bach und viele andere Dinge. Aber George stellte ein dringenderes Problem dar. Sie hielt ihn umarmt, während er sie umarmte. »Du bist erschöpft«, sagte sie, »du bist durcheinander, du bist auf dem Fußboden eingeschlafen. Daran ist dieses Aas Haber schuld. Geh nicht mehr zu ihm. Geh einfach nicht. Mir ist gleich, was er macht, wir gehen damit vor Gericht, wir reichen Klage ein, auch wenn er eine Einweisung gegen dich verfügt und dich in Linnton einsperren läßt, wir besorgen dir einen anderen Seelenklempner und holen dich wieder raus. Du kannst nicht mehr zu ihm gehen, er macht dich kaputt.«