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»Niemand macht mich kaputt«, sagte er und lachte leise, tief in der Brust, fast ein Schluchzen. »Solange ich ein wenig Hilfe von meinen Freunden habe. Ich gehe wieder hin, lange wird es sowieso nicht mehr dauern. Ich mache mir keine Sorgen mehr um mich. Aber mach du dir keine Gedanken …« Sie klammerten sich aneinander, berührten sich an allen möglichen Oberflächen, ganz und gar eins, während die Leber und die Zwiebeln in der Pfanne brutzelten. »Ich bin auch eingeschlafen«, sagte sie an seinen Hals. »Ich wurde so benommen, als ich die blöden Briefe des alten Rutti abgetippt habe. Aber eine gute Platte hast du da gekauft. Als ich noch ein Kind war, habe ich die Beatles geliebt, aber die staatlichen Rundfunkanstalten spielen sie leider kaum noch.«

»Es war ein Geschenk«, sagte George, aber in dem Moment spritzte die Leber in der Pfanne, und Heather mußte sich von ihm lösen und danach sehen. Beim Abendessen beobachtete George sie; und sie selbst ließ ihn auch kaum aus den Augen. Sie waren seit sieben Monaten verheiratet. Sie redeten Belangloses.

Sie spülten das Geschirr und gingen ins Bett. Im Bett machten sie Liebe. Liebe sitzt nicht einfach nur so da, wie ein Stein, sie muß gemacht werden, wie Brot; ständig neu gemacht, erneuert werden. Als sie die Liebe gemacht hatten, lagen sie einander schlafend in den Armen und hielten sie fest. In ihrem Schlaf hörte Heather das Rauschen des Bachs, das erfüllt war von den singenden Stimmen ungeborener Kinder.

In seinem Schlaf sah George die Tiefen des offenen Meeres.

Heather arbeitete als Sekretärin bei einem steinalten und verknöcherten Rechtsanwaltsduo, Ponder und Rutti. Als sie am nächsten Tag, am Freitag, gegen sechzehn Uhr dreißig Feierabend machte, fuhr sie nicht mit der Einschienenbahn und der Straßenbahn nach Hause, sondern mit der Seilbahn zum Washington Park hinauf. Sie hatte George gesagt, daß sie vielleicht zu EFMEG kam, da die Therapiesitzung erst für siebzehn Uhr vereinbart worden war, und danach würden sie vielleicht gemeinsam in die Innenstadt zurückkehren und in einem der WPZ-Restaurants auf der International Mall essen. »Alles wird gut«, hatte er zu ihr gesagt, weil er ihre Beweggründe verstand und deutlich machen wollte, daß ihm nichts geschehen würde. »Ich weiß«, hatte sie geantwortet, »aber es wäre doch schön, essen zu gehen, zumal ich ein paar Marken gespart habe. Wir haben das Casa Boliviana noch nicht ausprobiert.«

Sie war früher als er beim EFMEG Tower und wartete auf den breiten Marmorstufen. Er kam mit der nächsten Bahn. Sie sah ihn zusammen mit anderen aussteigen, doch die bemerkte sie nicht einmal. Ein kleiner, adretter Mann, sehr introvertiert, mit einem liebenswerten Gesicht. Seine Haltung war ausgezeichnet, wenn auch etwas gebückt, wie bei den meisten Leuten, die am Schreibtisch arbeiten. Als er sie sah, schienen seine Augen, die klar und leuchtend waren, noch mehr zu leuchten, und er lächelte: wieder dieses herzzerreißende Lächeln ungekünstelter Freude. Sie liebte ihn überschwenglich. Wenn Haber ihm noch einmal wehtat, würde sie da reingehen und Haber in Stücke reißen. Gewalttätige Impulse waren ihr normalerweise fremd, aber nicht, wenn es um George ging. Und heute fühlte sie sich sowieso anders als sonst. Sie fühlte sich kühner, härter. Bei der Arbeit hatte sie zweimal so laut »Scheiße« gesagt, daß der alte Mr. Rutti zusammengezuckt war. Früher hatte sie kaum je einmal gewagt, laut »Scheiße« zu sagen, sie hatte es auch heute beide Male nicht vorgehabt, und dennoch hatte sie es getan, als wäre es eine alte Angewohnheit, die sie einfach nicht ablegen konnte.

»Hallo, George«, sagte sie.

»Hallo«, sagte er und nahm ihre Hände. »Du bist wunderschön, wunderschön.«

Wie konnte jemand denken, daß dieser Mann krank war? Na gut, er hatte seine merkwürdigen Träume. Aber das war immer noch besser als ganz unverhohlen gemein und haßerfüllt zu sein, wie rund ein Viertel der Menschen, denen sie je begegnet war.

»Es ist schon fünf«, sagte sie. »Ich warte hier unten. Wenn es regnet, gehe ich ins Foyer. Mit dem schwarzen Marmor und allem sieht es da freilich aus wie in Napoleons Gruft. Aber hier draußen ist es schön. Man kann die Löwen unten im Zoo brüllen hören.«

»Komm mit mir nach oben«, sagte er. »Es regnet jetzt schon.« An sich meinte er den endlosen warmen Nieselregen des Frühlings — das Eis der Polkappen, das sanft auf die Köpfe der Kinder derer fiel, die für sein Abschmelzen verantwortlich waren. »Er hat ein hübsches Wartezimmer. Du wirst es dir wahrscheinlich mit einer ganzen Meute von hochrangigen VöBu-Beamten und drei oder vier Staatschefs teilen. Die alle dem Direktor von EFMEG ihre Aufwartung machen wollen. Und ich muß zwischen ihnen durchkriechen und werde vor ihnen eingelassen, jedes verdammte Mal. Dr. Habers zahmer Psychopath. Sein Ausstellungsstück. Der Patient seiner Wahl …« Er führte sie durch das riesige Foyer unter der Pantheonkuppel, auf Laufbänder und eine unglaubliche, scheinbar endlose spiralförmige Rolltreppe hinauf. »EFMEG lenkt auch so schon die Geschicke der Welt«, sagte er. »Ich frage mich immer wieder, warum Haber noch eine andere Form von Macht braucht. Er hält doch weiß Gott schon genug in Händen. Warum kann er es nicht dabei bewenden lassen? Ich nehme an, das ist wie bei Alexander dem Großen, der ständig neue Welten zum Erobern brauchte. Ich habe das nie verstanden. Wie war die Arbeit heute?«

Er war nervös, darum redete er soviel; aber er wirkte nicht mehr niedergeschlagen oder verstört, so wie in den vergangenen Wochen. Etwas hatte ihm seine natürliche Gelassenheit wiedergegeben. Sie hatte nie richtig geglaubt, daß er sie jemals auf Dauer verlieren würde, daß er vom Weg abkommen, den Kontakt verlieren könnte; und dennoch hatte er einen elenden Eindruck gemacht, und zwar in zunehmendem Maße. Jetzt nicht mehr, und die Veränderung war so plötzlich und umfassend, daß sie sich wirklich fragte, was die Ursache sein mochte. Als Zeitpunkt konnte sie nur den Moment dingfest machen, als sie sich gestern abend in dem noch unmöblierten Wohnzimmer hingesetzt hatten, um diesen abgefahrenen und subtilen Song der Beatles anzuhören, und beide eingeschlafen waren. Seither schien er wieder ganz der Alte zu sein.

Niemand hielt sich in Habers großem, feudalen Wartezimmer auf. George nannte einem schreibtischartigen Ding an der Tür, einer Autorezeptionistin, wie er ihr erklärte, seinen Namen. Heather machte gerade einen nervösen Scherz darüber, ob es auch Autoerotiker geben mochte, als die Tür aufging und Haber vor ihnen stand.

Heather war ihm nur einmal begegnet, ganz kurz, als er George als Patienten angenommen hatte. Sie hatte vergessen, was für ein großer Mann er war, was für einen großen Bart er hatte, wie ungeheuer eindrucksvoll er aussah. »Kommen Sie herein, George!« donnerte er. Sie erstarrte vor Ehrfurcht. Sie duckte sich. Er bemerkte sie. »Mrs. Orr — wie schön, Sie zu sehen! Wie schön, daß Sie mitgekommen sind! Kommen Sie auch mit herein.«

»Oh, nein. Ich wollte nur —«

»Oh doch. Ist Ihnen nicht bewußt, daß dies wahrscheinlich Georges letzte Sitzung ist? Hat er es Ihnen nicht gesagt? Heute abend machen wir tabula rasa. Da sollten Sie eindeutig dabei sein. Kommen Sie. Ich habe das Personal extra früher nach Hause geschickt. Wahrscheinlich haben Sie das Gedränge auf der Rolltreppe nach unten bemerkt. Ich wollte das Büro heute abend ganz für mich allein haben. Gut so, nehmen Sie dort Platz.« Er fuhr fort; es war nicht nötig, etwas Sinnvolles darauf zu erwidern. Sie war fasziniert von Habers Verhalten, der Hochstimmung, die er ausstrahlte; ihr war nicht mehr in Erinnerung gewesen, was für eine große, geniale Persönlichkeit er sein eigen nannte, zu gut, um wahr zu sein. An sich schien es unglaublich, daß so ein Mann, ein Führer der Welt und grandioser Wissenschaftler, George, der ein Niemand war, so viele Wochen persönlicher Therapie gewidmet hatte.