»Eine letzte Sitzung«, sagte er gerade, während er etwas an einem computerähnlichen Ding in der Wand am Kopfende der Couch einstellte. »Ein letzter kontrollierter Traum, dann haben wir, denke ich, das Problem gelöst. Sind Sie bereit, George?«
Er benutzte den Vornamen ihres Mannes oft. Ihr fiel ein, wie George vor wenigen Wochen einmal gesagt hatte: »Er nennt mich andauernd bei meinem Namen; ich glaube, das macht er, um sich selbst daran zu erinnern, daß noch jemand anderes anwesend ist.«
»Na klar bin ich bereit«, sagte George, setzte sich auf die Couch und hob den Kopf ein wenig; er sah einmal zu Heather und lächelte. Haber begann umgehend, die kleinen Dinger an Drähten an Georges Kopf zu befestigen, wozu er das dichte Haar scheiteln mußte. Heather erinnerte sich von ihrem eigenen Gehirnabdruck an diese Prozedur, die Teil einer ganzen Batterie von Tests und Aufzeichnungen war, die jeder VöBu-Bürger über sich ergehen lassen mußte. Als sie sah, wie die Prozedur an ihrem Mann durchgeführt wurde, verspürte sie ein gewisses Unbehagen. Als wären diese Elektrodendinger kleine Saugnäpfe, die Georges die Gedanken aus dem Kopf lutschten und in Krakel auf Papier verwandelten, das sinnlose Geschreibsel von Verrückten. Georges Gesicht hatte jetzt einen Ausdruck höchster Konzentration angenommen. Was dachte er?
Haber legte plötzlich die Hand an Georges Hals, als wollte er ihn erdrosseln, streckte die andere Hand aus und schaltete ein Tonband ein, das die von seiner eigenen Stimme gesprochenen Hypnotiseursfloskeln abspielte. »Sie gleiten jetzt in den Hypnosezustand hinüber …« Nach wenigen Sekunden hielt er es wieder an und prüfte die Hypnose. George war hypnotisiert.
»Okay«, sagte Haber und machte eine nachdenkliche Pause. Riesig, wie ein Grislybär auf den Hinterbeinen, stand er zwischen ihr und der zierlichen, reglosen Gestalt auf der Couch.
»Jetzt hören Sie gut zu, George, und prägen Sie sich ein, was ich sage. Sie befinden sich in tiefer Hypnose und werden die Anweisungen, die ich Ihnen gebe, explizit befolgen. Sie werden einschlafen, wenn ich es Ihnen sage, und Sie werden träumen. Sie werden einen wirkungsvollen Traum haben. Sie werden träumen, daß Sie vollkommen normal sind — daß Sie wie alle anderen sind. Sie werden träumen, daß Sie früher die Fähigkeit zum wirkungsvollen Träumen besaßen, oder es sich wenigstens einbildeten, daß das aber nicht mehr so ist. Von jetzt an werden Ihre Träume so wie die von allen anderen auch sein, sie werden nur für Sie selbst einen Sinn ergeben und keinerlei Auswirkungen auf die externe Realität haben. Das alles werden Sie träumen; welche Symbolik Sie auch immer benutzen mögen, um den Traum auszudrücken, sein wirkungsvoller Gehalt wird sein, daß Sie nicht mehr wirkungsvoll träumen können. Es wird ein angenehmer Traum sein, Sie werden aufwachen, wenn ich dreimal Ihren Namen sage, und sich frisch und erholt fühlen. Nach diesem Traum werden Sie nie wieder wirkungsvoll träumen. Legen Sie sich jetzt hin. Machen Sie es sich bequem. Sie schlafen jetzt ein. Sie sind eingeschlafen. Antwerpen!«
Als er dieses letzte Wort aussprach, bewegte George die Lippen und sagte etwas mit der leisen, teilnahmslosen Stimme von jemand, der im Schlaf spricht. Heather konnte nicht hören, was er sagte, mußte aber an die letzte Nacht denken; sie hatte sich an ihn gekuschelt und war fast eingeschlafen, als er laut etwas gesagt hatte: Air per annum, so hatte es sich angehört. »Was?« hatte sie gefragt, aber er hatte nicht geantwortet, er war eingeschlafen. So wie jetzt.
Das Herz wollte ihr in der Brust zerspringen, als sie ihn so mit den reglosen Händen an den Seiten schwach und verwundbar daliegen sah.
Haber war aufgestanden und drückte jetzt einen weißen Knopf an der Seite der Maschine am Kopfende der Couch; einige Kabel der Elektroden führten dort hinein, andere zu der EEG-Maschine, die sie kannte. Dieses Ding in der Wand mußte der Verstärker sein, das Ding, um das sich die ganzen Forschungen drehten.
Heather saß tief in einem riesigen gepolsterten Ohrensessel aus Leder versunken, als Haber zu ihr kam. Echtes Leder, sie wußte schon gar nicht mehr, wie sich echtes Leder anfühlte. Es war wie die Vinylleder, faßte sich jedoch interessanter an. Sie hatte Angst. Sie verstand nicht, was vor sich ging. Sie sah scheel zu dem großen Mann auf, der vor ihr stand, dem Bären-Schamanen-Gott.
»Das ist die Kulmination, Mrs. Orr«, sagte er mit gedämpfter Stimme, »einer langen Abfolge von suggerierten Träumen. Wir arbeiten jetzt schon seit Wochen auf diese Sitzung — diesen Traum — hin. Ich bin froh, daß Sie mitgekommen sind, ich hätte niemals gewagt, Sie darum zu bitten, aber Ihre Anwesenheit trägt noch mehr dazu bei, daß er sich vollkommen sicher fühlt und Vertrauen hat. Er weiß, daß ich keine Tricks riskieren kann, wenn Sie anwesend sind! Richtig? Ich bin ziemlich fest von unserem Erfolg überzeugt. Es wird gelingen. Die Abhängigkeit von Schlafmitteln verschwindet, wenn die zwanghafte Angst vor dem Träumen gelöscht wird. Es ist ausschließlich eine Frage der Konditionierung … Ich muß das EEG im Auge behalten, er wird jetzt träumen.« Er schritt rasch und wie eine Naturgewalt durch den Raum. Sie blieb still sitzen und betrachtete Georges ruhiges Gesicht, von dem der Ausdruck der Konzentration, überhaupt jeder Ausdruck, verschwunden war. So mochte er im Tod aussehen.
Dr. Haber beschäftigte sich mit seinen Maschinen, beschäftigte sich ausschließlich damit, beugte sich darüber, nahm Einstellungen vor, beobachtete sie. George schenkte er überhaupt keine Beachtung.
»Da«, sagte er leise — nicht zu ihr, dachte Heather; er war sein eigenes Publikum. »Das ist es. Jetzt eine kleine Pause, ein Weilchen Schlaf der zweiten Phase, zwischen den Träumen.« Er machte etwas mit der Ausrüstung in der Wand. »Dann führen wir einen kleinen Test durch …« Er kam wieder zu ihr herüber; sie wünschte sich, er würde sie tatsächlich ignorieren, anstatt so zu tun, als redete er mit ihr. Er schien den Nutzen des Schweigens nicht zu kennen. »Ihr Mann ist für unsere Forschungen hier von unschätzbarem Wert gewesen, Mrs. Orr. Ein einzigartiger Patient. Was wir über den Charakter des Träumens und die Anwendung von Träumen bei der positiven und negativen Konditionierungstherapie gelernt haben, wird für praktisch jeden Aspekt des Lebens von unschätzbarer Bedeutung sein. Sie wissen, wofür EFMEG steht: Erforschung und Förderung des menschlichen Gehirnpotentials. Was wir aus diesem Fall gelernt haben, wird von immensem, im wahrsten Sinne des Wortes immensem Nutzen sein. Eine ganz erstaunliche Wendung in einer Angelegenheit, die anfangs nach einem unbedeutenden Fall von Medikamentenmißbrauch ausgesehen hat! Das Erstaunlichste daran ist, daß die Quacksalber von der Uniklinik unten Verstand genug hatten, etwas Besonderes an dem Fall zu bemerken und ihn an mich überwiesen. Bei klinischen Psychologen auf Lehrstühlen findet man diese Umsicht selten.« Er hatte die Uhr die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. »Aber zurück zu Baby«, sagte er jetzt und durchquerte abermals hastig den Raum. Er fummelte wieder an diesem Verstärkerding herum und sagte laut: »George. Sie schlafen noch, aber Sie können mich hören. Sie können mich klar und deutlich hören und verstehen. Nicken Sie ein wenig, wenn Sie mich hören.«