Orr schüttelte den Kopf.
»Aber Sie wissen, was das ist.«
»Sie schicken ein Signal durch Elektroden, mit dem das … das Gehirn stimuliert wird, mitzumachen.«
»Im großen und ganzen. Die Russen benutzen sie seit fünfzig Jahren, die Israelis haben sie weiterentwickelt, und zuletzt kamen wir mit an Bord und haben mit der Massenproduktion für die Anwendung zur Beruhigung psychotischer Patienten und für den Hausgebrauch zur Induzierung von Schlaf oder Alpha-Trance begonnen. Also ich habe vor zwei Jahren im Klinikum von Linnton mit einer Patientin gearbeitet, die unter schweren Depressionen litt. Wie so viele Depressive, bekam sie nicht viel Schlaf und besonders wenig Schlaf im REM-Stadium, Traumschlaf; jedesmal, wenn sie in die Phase des paradoxen Schlafs kam, wachte sie auf. Ein circulus vitiosus: Mehr Depressionen — weniger Träume; weniger Träume — mehr Depressionen. Durchbrechen. Aber wie? Kein uns bekanntes Medikament verstärkt den paradoxen Schlaf. EHS — elektronische Hirnstimulation? Aber dazu hätte man Elektroden implantieren müssen, und zwar tief, um die Schlafzentren zu erreichen; Operationen vermeidet man besser. Ich benutzte die Trancekappe bei ihr, um den Schlaf zu fördern. Was aber, wenn man das diffuse, niederfrequente Signal spezifischer machen und direkt zu dem spezifischen Bereich im Hirn dirigieren würde; na klar, Dr. Haber, das ist ein Kinderspiel! Aber sobald ich mir den angemessenen Etat für die Elektronikforschung unter den Nagel gerissen hatte, dauerte es nur zwei Monate, eine einfache Maschine zu bauen. Dann versuchte ich, das Hirn des Subjekts mit einer Aufzeichnung von Hirnwellen gesunder Menschen während der entsprechenden Phasen von Schlaf und Traum zu stimulieren. Mit mäßigem Erfolg. Ich fand heraus, daß ein Signal von einem anderen Gehirn vielleicht eine Reaktion bei dem Subjekt auslösen konnte, vielleicht auch nicht; mußte lernen, zu verallgemeinern, aus Hunderten von normalen Hirnwellenaufzeichnungen den Durchschnitt bilden. Wenn ich dann mit der Patientin arbeite, enge ich ihn wieder ein, schneidere ihn zurecht: wann immer das Gehirn des Subjekts etwas macht, das es in stärkerem Umfang machen soll, zeichne ich diesen Augenblick auf, verstärke ihn, vergrößere und verlängere ihn, spiele ihn wieder ab und stimuliere das Gehirn dadurch, seinen eigenen gesündesten Impulsen zu folgen, wenn das Wortspiel gestattet ist. Also das erforderte alles eine Menge Feedbackanalysen, so daß aus einem einfachen EEG mit Trancekappe das da wurde«, und er zeigte zu dem Urwald elektronischer Geräte hinter Orr. Den größten Teil davon verbarg er hinter Kunststoffpaneelen, denn viele Patienten hatten entweder Angst vor Maschinen oder identifizierten sich in allzu großem Maße mit ihnen, aber auch so beanspruchte alles ein Viertel des Sprechzimmers für sich. »Das ist die Traummaschine«, sagte er mit einem Grinsen, »oder, prosaischer gesprochen, der Verstärker; und seine Wirkung besteht darin, er gewährleistet, daß Sie schlafen und träumen — so kurz und leicht oder so lang und intensiv, wie wir es wollen. Oh, nebenbei, die depressive Patientin in Linnton wurde diesen Sommer als völlig geheilt entlassen.« Er beugte sich vor. »Möchten Sie es versuchen?«
»Jetzt?«
»Worauf wollen Sie warten?«
»Aber ich kann nicht um sechzehn Uhr dreißig am Nachmittag einschlafen —«
Dann sah er belemmert drein. Haber hatte in einer übervollen Schublade seines Schreibtischs gekramt und brachte jetzt ein Formular zum Vorschein, das Formular »Einverständniserklärung zur Hypnose«, wie es das Gesundheitsamt vorschrieb. Orr nahm den Kugelschreiber, den Haber ihm reichte, unterschrieb das Formular und legte es ergeben auf den Schreibtisch.
»Wunderbar. Gut. Jetzt verraten Sie mir noch eines, George. Benutzte Ihr Zahnarzt ein Hypnoseband oder machte er es eigenhändig?«
»Band. Ich habe Stufe drei auf der Empfänglichkeitsskala.«
»Genau in der Mitte der Kurve, hm? Also, für die Suggestion eines Trauminhalts, der gut funktioniert, brauche ich eine ziemliche tiefe Trance. Wir wollen schließlich keinen Trancetraum, sondern einen echten Schlaftraum; der Verstärker sorgt dafür, aber wir wollen gewährleisten, daß die Suggestion ziemlich tief geht. Um zu vermeiden, daß wir Stunden damit vergeuden, Sie für die tiefe Trance zu konditionieren, greifen wir auf die Pressurmethode zurück. Schon mal gesehen, wie die funktioniert?«
Orr schüttelte den Kopf. Er sah ängstlich drein, widersprach jedoch nicht. Er hatte eine ergebene, passive Haltung, die feminin, fast schon kindlich wirkte. Haber entdeckte eine beschützende/unterdrückende Reaktion auf diesen körperlich schmächtigen und fügsamen Mann in sich. Es war so einfach, ihn zu beeinflussen, zu beherrschen, daß der Wunsch dazu fast übermächtig wurde.
»Ich wende sie bei den meisten Patienten an. Sie ist schnell, sicher und gefahrlos — und eindeutig die beste Methode, um Hypnose zu induzieren, und sie bereitet dem Hypnotiseur wie dem Subjekt gleichzeitig am wenigsten Probleme.« Orr hatte ganz bestimmt das eine oder andere Ammenmärchen über Subjekte gehört, die aufgrund von zu langer oder unsachgemäßer Anwendung der Pressurmethode Hirnschäden davongetragen hatten, und auch wenn diese Gefahr hier nicht bestand, mußte Haber doch entsprechend reagieren und beruhigen, damit Orr sich nicht gegen die Pressur wehrte. Darum plauderte er unbekümmert weiter, beschrieb die fünfzigjährige Geschichte der Pressurmethode, schweifte ganz von der Hypnose ab und kam wieder auf den Themenkomplex Schlaf und Träume zurück, um Orrs Aufmerksamkeit vom Induktionsprozeß an sich weg und zu dessen eigentlichen Zielen hin zu lenken. »Das Hindernis, das wir überwinden müssen, ist die Kluft, die zwischen dem Wachzustand oder Hypnosetrancezustand und dem Traumstadium existiert. Diese Kluft hat einen gebräuchlichen Namen: Schlaf. Orthodoxer Schlaf, SEM-Schlaf, wie Sie wollen. Es existieren, vereinfacht ausgedrückt, vier geistige Stadien, die für uns relevant sind: Wachzustand, Trance, orthodoxer Schlaf und paradoxer Schlaf. Wenn man Geistesvorgänge betrachtet, haben orthodoxer Schlaf, paradoxer Schlaf und Trancestadium etwas gemeinsam: Schlaf, Traum und Trance setzen allesamt die Aktivität des Unterbewußtseins, des unbewußten Verstandes, frei; sie greifen auf primäre Denkprozesse zurück, wohingegen es sich bei wachen Geistesvorgängen um sekundäre Prozesse — rationale — handelt. Aber betrachten wir einmal die EEG-Aufzeichnungen der vier Stadien. Jetzt haben der paradoxe Schlaf, die Trance und der Wachzustand viel gemeinsam, während der orthodoxe — gewöhnliche — Schlaf vollkommen anders ist. Und man kann nicht direkt von einer Trance in das echte Träumen des REM-Stadiums überwechseln. Das SEM-Stadium muß dazwischenliegen. Normalerweise erlebt man den paradoxen Schlaf vier- oder fünfmal in einer Nacht, etwa alle ein oder zwei Stunden und auch jeweils nur eine Viertelstunde am Stück. Die restliche Zeit befindet man sich im einen oder anderen Stadium des orthodoxen Schlafs. Auch da träumt man, aber normalerweise nicht lebhaft; Geistesvorgänge im orthodoxen Schlaf erinnern an einen Motor im Leerlauf, eine Art von konstantem Murmeln von Bildern und Gedanken. Wir haben es jedoch auf die lebhaften, emotionsgeladenen, einprägsamen Träume des paradoxen Schlafs abgesehen. Unsere Hypnose und der Verstärker werden gewährleisten, daß wir sie bekommen, daß wir die neurophysiologische und zeitliche Kluft des Schlafs überwinden und direkt zu den Träumen vorstoßen. Darum müssen Sie auf dieser Couch hier Platz nehmen. Die Pioniere meines Fachgebiets waren Dement, Aserinsky, Berger, Oswald, Hartmann und alle anderen, aber die Couch haben wir direkt von Papa Freud übernommen … Nur benutzen wir sie zum Schlafen, wogegen er Vorbehalte hatte. Also für den Anfang möchte ich, daß Sie sich hier an das Fußende der Couch setzen. Ja, genau so. Sie werden eine Weile hier verbringen, also machen Sie es sich so bequem wie möglich. Sie sagten, Sie haben es schon mit Selbsthypnose versucht, nicht? Also gut, dann wenden Sie getrost die Techniken an, die Sie dafür benutzt haben. Wie sieht es mit tief Durchatmen aus? Zählen Sie beim Einatmen bis zehn, halten Sie den Atem fünf Sekunden an; ja, genau so, ausgezeichnet. Sehen Sie jetzt bitte zur Decke hinauf und überstrecken Sie den Kopf dabei. Okay, gut so.«