Diana Gabaldon
Outlander
Die geliehene Zeit
Roman
Aus dem Englischen von Barbara Schnell
Über dieses Buch
Spannend, wildromantisch, dramatisch: Band 2 der großen Highland-Saga endlich in ungekürzter Neuübersetzung!
Schottland 1968: Zwanzig Jahre, nachdem Claire Randall aus der Vergangenheit zurückgekehrt ist, bringt sie ihre Tochter Brianna in die Highlands. Brianna soll endlich das Land ihres Vaters kennenlernen. Außerdem sucht Claire die Antwort auf eine Frage, die sie seit über zwanzig Jahren quält: Hat ihre große Liebe Jamie Fraser die schreckliche Schlacht bei Culloden überlebt?
Der zweite Band zur erfolgreichen TV-Serie »Outlander« bei VOX
Inhaltsübersicht
Widmung
Prolog
Erster Teil
Inventur
Die Spannung steigt
Mütter und Töchter
Culloden
Geliebte Ehefrau
Zweiter Teil
Wellen schlagen
Königliche Audienz
Ruhelose Geister und Krokodile
Der Glanz von Versailles
Eine Dame mit herrlichem braunem Lockenhaar
Sinnvoller Zeitvertreib
L’Hôpital des Anges
Betrügereien
Leibesübungen
In welchem Musik eine Rolle spielt
Des Sulfurs Natur
Besessen
Dritter Teil
Schande in Paris
Kraft deines Eides
La Dame Blanche
Auferstehung zur Unzeit
Vierter Teil
Das königliche Gestüt
Die besten Pläne von Mäusen und Menschen
Der Bois de Boulogne
Raymond der Häretiker
Fontainebleau
Eine Audienz bei Seiner Majestät
Und es ward Licht
Die Nessel ist ein sauber Kraut …
Fünfter Teil
Lallybroch
Post aus Paris
Feld der Träume
Hüter deines Bruders
Wenn der Postmann zweimal klingelt
Mondlicht
Sechster Teil
Prestonpans
Holyrood
Ein Handel mit dem Teufel
Familienbande
Der Fuchsbau
Der Fluch der Seherin
Wiedersehen
Falkirk
In welchem eine Menge Dinge den Bach hinuntergehen
Zur Hölle mit den Randalls
Timor Mortis Conturbat Me
Siebter Teil
Lose Enden
Hexenjagd
Selig sind die …
Danksagung
Für meinen Mann, Doug Watkins –
danke für das Rohmaterial
Prolog
Dreimal erwachte ich im Dunkel vor dem Morgengrauen. Erst in Trauer, dann in Freude und zuletzt in Einsamkeit. Langsam weckte mich das, was ich verloren hatte; Tränen benetzten mein Gesicht wie ein feuchtes Tuch in lindernden Händen. Ich drehte mein Gesicht in das nasse Kissen und ließ mich treiben, auf salzigem Wasser in Höhlen aus unvergessenem Schmerz, in die unterirdischen Tiefen, Schlaf.
Dann kam ich, von Freude durchdrungen, zu mir, aufgebäumt im letzten Zucken der Vereinigung; seine Berührung verebbte, gerade noch frisch auf meiner Haut, auf den Pfaden der Nerven, und die Wellen der Erfüllung stiegen aus meiner Mitte auf. Ich wies das Wachsein von mir, wandte mich um und suchte den scharfen, warmen Duft der gestillten Lust eines Mannes in den tröstenden Armen meines Geliebten, Schlaf.
Beim dritten Mal erwachte ich allein, jenseits von Liebe oder Schmerz, den Anblick der Steine noch vor Augen. Ein kleiner Kreis, aufrechte Steine auf der Kuppe eines steilen grünen Hügels. Der Name des Hügels ist Craigh na Dun, der Feenhügel. Die einen sagen, der Hügel ist verzaubert, die anderen, er ist verflucht. Sie haben alle recht. Doch niemand kennt die Funktion oder den Zweck der Steine.
Außer mir.
Erster Teil
Durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort
Kapitel 1
Inventur
Inverness 1968
Roger Wakefield stand in der Mitte des Zimmers und fühlte sich umzingelt. Er hielt das Gefühl durchaus für gerechtfertigt, insofern als er umzingelt war: von Tischen voller Nippes und Erinnerungsstücken, von schweren Möbeln im viktorianischen Stil mit Plüsch und Prunk, von kleinen Webteppichen, die heimtückisch auf die Gelegenheit warteten, unter einem arglosen Fuß davonzurutschen. Umzingelt von zwölf Zimmern voller Möbel, Kleider und Papiere. Und die Bücher – mein Gott, die Bücher!
Das Studierzimmer, in dem er stand, war auf drei Seiten mit Bücherregalen gesäumt, allesamt vollgestopft bis zum Bersten und darüber hinaus. Taschenbuchausgaben von Krimis lagen in bunten, schmuddeligen Stapeln vor Kalbslederbänden, die sich dicht an dicht mit Buchclubausgaben und alten, in längst geschlossenen Bibliotheken stibitzten Wälzern drängten, dazu Abertausende von Pamphleten, Broschüren und mit Nadel und Faden zusammengeschusterten Manuskripten.
Im Rest des Hauses sah die Lage ähnlich aus. Jede horizontale Oberfläche war mit Büchern und Papieren übersät, und jeder Schrank schien ächzend aus den Fugen gehen zu wollen. Sein verstorbener Adoptivvater hatte ein langes, erfülltes Leben gelebt, weit über die »siebzig, wenn’s hoch kommt, achtzig« Jahre hinaus, die ihm die Bibel zugestand. Und in all diesen Jahren hatte Reverend Wakefield niemals etwas weggeworfen.
Roger kämpfte das Bedürfnis nieder, zur Haustür hinauszulaufen, in seinen Morris Minor zu springen, nach Oxford zurückzukehren und das Pfarrhaus mitsamt seinem Inhalt dem Wetter und den Vandalen zu überlassen. Ruhig bleiben, sagte er sich und holte tief Luft. Du schaffst das schon. Die Bücher sind der einfache Teil; sie müssen nur einmal durchgesehen werden, und dann musst du jemanden anrufen und sie abholen lassen. Natürlich braucht man dazu einen Laster von der Größe eines Eisenbahnwaggons, aber es ist machbar. Kleider – kein Problem. Alles für Oxfam.
Er hatte zwar keine Ahnung, was Oxfam mit einem Haufen schwarzer Sergedreiteiler circa Jahrgang 1948 anfangen würde, aber vielleicht waren die Armen, die in den Genuss kommen würden, ja nicht so wählerisch. Allmählich fiel ihm das Atmen leichter. Die historische Fakultät in Oxford hatte ihm einen Monat Urlaub gewährt, um den Nachlass des Reverends zu regeln. Vielleicht würde die Zeit ja doch reichen. In seinen deprimierteren Momenten war es ihm so vorgekommen, als müsste es Jahre dauern.
Er ging auf einen der Tische zu und ergriff eine kleine Porzellanschale. Sie war mit kleinen Rechtecken aus Blei gefüllt, »Gaberlunzies«, Bettelmarken, die die Gemeinden im achtzehnten Jahrhundert als eine Art Lizenz ausgegeben hatten. Vor der Lampe standen ein paar Steingutflaschen, daneben lag ein mit Silber beschlagenes Widderhorn als Schnupftabakspender. Ob er sie einem Museum überlassen sollte?, dachte er zweifelnd. Das Haus war voller Gegenstände aus der Zeit der Jakobiten; der Reverend war Amateurhistoriker gewesen und das achtzehnte Jahrhundert sein bevorzugtes Jagdrevier.
Seine Finger wanderten unwillkürlich zu dem Tabakshorn hinüber, um darüberzustreichen und die schwarzen Linien der Gravuren nachzuzeichnen – die Namen und Amtszeiten der Diakone und Schatzmeister der Schneidergilde am Canongate, Edinburgh 1726. Vielleicht sollte er ja einige der ausgesuchteren Errungenschaften des Reverends behalten … Doch dann zog er die Hand zurück und schüttelte entschlossen den Kopf. »Kommt nicht in Frage«, sagte er laut, »das ist der beste Weg zum Wahnsinn.« Oder zumindest zum Beginn eines Lebens als Packratte. Wenn er auch nur anfing, das eine oder andere zu behalten, würde er am Ende doch mit der ganzen Bescherung in dieser Monstrosität leben, die sich Haus nannte, umgeben vom Krimskrams der Jahrhunderte. »Und Selbstgespräche führen«, murmelte er.
Der Gedanke an den Krimskrams der Jahrhunderte rief ihm die Garage ins Gedächtnis, und seine Knie gaben ein wenig nach. Der Reverend, der eigentlich Rogers Großonkel war, hatte ihn mit fünf adoptiert, nachdem seine Eltern im Zweiten Weltkrieg umgekommen waren, seine Mutter bei einem Bombenangriff, sein Vater über den finsteren Wassern des Kanals. Mit seinem üblichen Sammlerinstinkt hatte der Reverend den gesamten Nachlass von Rogers Eltern aufbewahrt und ihn in Kisten und Kartons hinten in der Garage gelagert. Roger wusste aus erster Hand, dass in den letzten zwanzig Jahren niemand diese Kisten geöffnet hatte.