Das stimmte; der Kurator des Museums im Besucherzentrum, der mit Roger befreundet war, hatte ihm erzählt, dass die Figur des Prinzen zwar durchweg mit Respekt behandelt wurde, dass am Rock des Herzogs jedoch ständig die Knöpfe verschwanden und die Figur selbst immer wieder zum Gegenstand übler Scherze wurde.
»Er sagt, einmal ist er morgens besonders früh hier gewesen, und als er das Licht einschaltete, hatte Seine Durchlaucht einen echten Highlanddolch im Bauch stecken«, sagte Roger und wies kopfnickend auf den untersetzten kleinen Mann. »Hat ihm einen ziemlichen Schreck eingejagt.«
»Das kann ich mir vorstellen«, murmelte Brianna und sah den Herzog mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Nehmen die Leute das immer noch so ernst?«
»Oh, aye. Die Schotten haben ein langes Gedächtnis, und sie sind nicht das versöhnlichste Volk.«
»Tatsächlich?« Sie sah ihn neugierig an. »Bist du Schotte, Roger? Wakefield klingt nicht wie ein schottischer Name, aber die Art, wie du über den Herzog von Cumberland sprichst …« Der Hauch eines Lächelns umspielte ihren Mund, und er war sich nicht sicher, ob sie ihn vielleicht aufziehen wollte, doch er gab ihr eine ernste Antwort.
»Oh, aye«, sagte er und lächelte dabei. »Ich bin Schotte. Wakefield ist ja nicht mein Familienname; der Reverend hat ihn mir gegeben, als er mich adoptiert hat. Er war der Onkel meiner Mutter – als meine Eltern im Krieg umgekommen sind, hat er mich aufgenommen. Aber eigentlich heiße ich MacKenzie. Was den Herzog von Cumberland betrifft …« Er wies kopfnickend auf die Glasscheibe, durch die das Feld von Culloden und seine Monumente gut zu sehen waren. »Da draußen steht ein Clanstein, in den der Name MacKenzie eingemeißelt ist und unter dem diverse meiner Verwandten liegen.«
Er streckte die Hand aus und schnippte nach einer goldenen Epaulette, so dass sie hin- und herschwang. »Ich nehme es zwar nicht ganz so persönlich wie manch andere, aber vergessen habe ich es auch nicht.« Er hielt ihr die Hand hin. »Wollen wir hinausgehen?«
Im Freien war es kalt, und ein böiger Wind peitschte die beiden Flaggen, deren Masten sich auf dem Moor gegenüberstanden – eine gelb, eine rot – und die Positionen markierten, an denen die beiden Kommandeure hinter ihren Linien den Ausgang der Schlacht abgewartet hatten.
»Schön außer Schussweite«, stellte Brianna trocken fest. »Keine Gefahr, von einer verirrten Kugel erwischt zu werden.«
Roger bemerkte, dass sie zitterte, und zog ihre Hand fester durch seinen angewinkelten Arm, so dass sie näher kam. Er hätte bersten können vor Glück, sie so zu berühren, doch er versuchte, es mit einem historischen Monolog zu überspielen. »Nun, so haben Generäle damals ihre Truppen geführt – von der Rückseite aus. Vor allem Charlie; er ist am Ende der Schlacht so schnell davongerannt, dass er sein silbernes Picknickbesteck zurückgelassen hat.«
»Picknickbesteck? Er hat ein Picknick mit auf das Schlachtfeld gebracht?«
»Oh, aye.« Roger stellte fest, dass es ihm gefiel, für Brianna den Schotten zu geben. Normalerweise achtete er sehr darauf, seinen Akzent unter dem zweckmäßigen Oxfordenglisch zu verbergen, das er in der Universität sprach, doch jetzt ließ er ihm freien Lauf, um des Lächelns willen, das über ihr Gesicht huschte, wenn sie ihn so sprechen hörte.
»Weißt du, warum die ihn ›Prinz Charlie‹ genannt haben?«, fragte Roger. »Die Engländer glauben immer, dass es ein Spitzname war, der zeigte, wie sehr ihn seine Männer geliebt haben.«
»Etwa nicht?«
Roger schüttelte den Kopf. »Nein. Seine Männer haben ihn Prinz Tearlach genannt.« Er buchstabierte es ihr sorgfältig. »Das ist Gälisch für Charles. Tearlach mac Seamus, ›Charles, Sohn des James‹. Ganz förmlich und respektvoll. Es ist nur so, dass sich Tearlach auf Gälisch verdammt ähnlich anhört wie ›Charlie‹ auf Englisch.«
Brianna grinste. »Also war er überhaupt nie ›Bonnie Prince Charlie‹?«
»Damals nicht.« Roger zuckte mit den Achseln. »Jetzt natürlich schon. Einer dieser kleinen historischen Irrtümer, die als Tatsachen überliefert werden. Davon gibt es viele.«
»Und das von einem Historiker«, zog ihn Brianna auf.
Roger lächelte ironisch. »Daher weiß ich es ja.«
Sie wanderten langsam die steinigen Wege entlang, die über das Schlachtfeld führten. Dabei zeigte ihr Roger die Positionen der Regimenter, die in der Schlacht gekämpft hatten, erklärte ihr die Schlachtordnung und erzählte ihr kleine Anekdoten über die Kommandeure.
Allmählich ließ der Wind nach, und Stille legte sich über das Feld. Gleichzeitig erstarb auch ihr Gespräch, bis sie nur noch hin und wieder leise, beinahe flüsternd etwas sagten. Der Himmel war grau bis zum Horizont, und unter seiner Decke schien alles so gedämpft, dass nur die Pflanzen des Moors mit den Stimmen der Männer zu flüstern schienen, von denen sie sich nährten.
»Das hier ist die Stelle, die sie die Totenquelle nennen.« Roger beugte sich über die kleine Quelle. Es war ein kleines Becken von vielleicht dreißig Zentimetern Kantenlänge, das unter einem Steinvorsprung aufquoll. »Einer der Clanführer ist hier gestorben; seine Gefolgsmänner haben ihm mit dem Wasser der Quelle das Blut aus dem Gesicht gewaschen. Und da drüben sind die Gräber der Clans.«
Die Clansteine waren große Brocken aus grauem Granit, vom Wetter abgerundet und voller Flechten. Sie standen auf kleinen Rasenflächen am Rand des Moors verstreut. Jeder von ihnen trug einen einzelnen Namen, und die Buchstaben waren teilweise so verwittert, dass sie kaum noch lesbar waren. MacGillivray. MacDonald. Fraser. Grant. Chisholm. MacKenzie.
»Sieh nur«, sagte Brianna fast im Flüsterton. Sie zeigte auf einen der Steine. Dort lag ein kleines Häufchen grünlich grauer Zweige, vermischt mit ein paar welken Frühlingsblumen.
»Heidekraut«, sagte Roger. »Im Sommer ist es üblicher, wenn die Heide blüht – dann sieht man vor jedem Clanstein ganze Berge davon. Violett und hier und da auch ein weißer Heidezweig – das Weiß symbolisiert Glück und das Königsamt; es war Charlies Emblem, das und die weiße Rose.«
»Wer legt die Blumen denn dorthin?« Brianna hockte sich an den Rand des Weges, um die Zweige sacht mit dem Finger zu berühren.
»Besucher.« Roger hockte sich neben sie. Er zeichnete die verblassten Buchstaben auf dem Stein nach – FRASER. »Nachkommen der Familien, deren Männer hier umgekommen sind. Oder einfach nur Menschen, die ihr Gedenken ehren möchten.«
Sie warf ihm einen Seitenblick zu, das Gesicht von ihrem Haar umweht. »Hast du es auch schon gemacht?«
Er senkte den Kopf und blickte lächelnd auf seine Hände, die zwischen seinen Knien hingen.
»Ja. Es ist zwar eigentlich furchtbar sentimental, aber ich tue es auch.«
Brianna wandte sich dem Gewirr der Moorpflanzen zu, die den Weg auf beiden Seiten säumten.
»Welches ist denn Heidekraut?«
Auf dem Heimweg ließ die Melancholie des Besuchs in Culloden zwar wieder nach, doch der Eindruck des gemeinsamen Erlebnisses blieb, und sie unterhielten sich lachend wie alte Freunde.
»Schade, dass meine Mutter nicht mitkommen konnte«, sagte Brianna, als sie in die Straße einbogen, an der sich die Pension der Randalls befand.