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»Ich muss mich darum kümmern«, sagte er zu Brianna. »Ich fürchte, es kann eine Weile dauern.«

»Das macht nichts.« Sie lächelte ihn an, und ihre blauen Augen zogen sich zu Dreiecken zusammen. »Ich gehe auch besser. Mama ist bestimmt zurück; wir wollten zu den Clava Cairns fahren, wenn wir noch Zeit haben. Danke für das Essen.«

»Gern geschehen, bedank dich bei Fiona.« Roger empfand einen Stich des Bedauerns, weil er ihr nicht anbieten konnte, sie zu begleiten, doch die Pflicht rief. Er warf einen Blick auf die Papiere, die auf dem Schreibtisch lagen, dann schob er sie zusammen und legte sie in den Karton.

»Da«, sagte er. »Das ist deine Familiengeschichte. Nimm sie mit. Vielleicht interessiert sich deine Mutter dafür.«

»Wirklich? Oh, danke, Roger. Bist du sicher?«

»Auf jeden Fall«, sagte er und legte den Ordner mit dem Stammbaum vorsichtig auf den Stapel. »Oh, warte. Vielleicht doch nicht alles.« Unter dem Offizierspatent lugte eine Ecke des grauen Notizbuchs hervor; er zog es heraus und legte die verrutschten Papiere wieder ordentlich in den Karton. »Das sieht aus wie eins der Tagebücher des Reverends. Keine Ahnung, was es hier zu suchen hat, aber ich lege es besser zu den anderen; der Heimatverein sagt, er möchte sie alle haben.«

»Oh, klar.« Brianna hatte sich zum Gehen erhoben, den Karton an ihre Brust geklammert, doch sie zögerte und sah ihn an. »Möchtest du – soll ich wiederkommen?«

Roger lächelte sie an. Sie hatte Spinnweben im Haar und einen langen Schmutzstreifen auf der Nase.

»Nichts, was mir lieber wäre«, sagte er. »Dann bis morgen, ja?«

Der Gedanke an das Tagebuch des Reverends ging Roger nicht aus dem Kopf, nicht während der mühseligen Aufgabe, den alten Laster zum Laufen zu bringen, nicht während des folgenden Besuchs eines Gutachters, der die wertvollen Antiquitäten vom Sperrmüll trennen und die Möbel des Reverends für die Versteigerung schätzen sollte.

Den Nachlass des Reverends zu entsorgen, erfüllte Roger mit einer Art nervöser Melancholie. Er räumte hier schließlich nicht nur nutzlosen Kleinkram auf, sondern er demontierte auch die Bestandteile seiner eigenen Jugend. Als er sich schließlich nach dem Abendessen im Studierzimmer niederließ, hätte er nicht sagen können, ob es Neugier in Bezug auf die Randalls war, die ihn bewog, das Tagebuch zu ergreifen, oder schlicht der Drang, irgendwie noch einmal eine Verbindung zu dem Mann herzustellen, der so viele Jahre sein Vater gewesen war.

Die Tagebücher waren mit großer Sorgfalt geführt worden, und hielten in ebenmäßigen, mit Tinte verfassten Zeilen die wichtigsten Ereignisse der Gemeinde fest, der Reverend Wakefield so lange angehört hatte. Die rauhe Oberfläche des einfachen grauen Notizbuchs und der Anblick der Seiten rief Roger augenblicklich ein Bild des Reverends vor Augen, dessen Glatze im Licht der Schreibtischlampe glänzte, während er geschäftig die Ereignisse des Tages niederschrieb.

»Es hat etwas mit Disziplin zu tun«, hatte er Roger erklärt. »Eine regelmäßige Tätigkeit, die die Gedanken ordnet, hat etwas Wohltuendes an sich. Katholische Mönche halten jeden Tag zu festen Zeiten ihre Andachten ab, Priester haben ihr Brevier. Ich fürchte, diese Art der unmittelbaren Anbetung liegt mir nicht, aber aufzuschreiben, was sich im Lauf des Tages ereignet hat, hilft mir, einen klaren Kopf zu bekommen; dann kann ich ruhigen Herzens mein Abendgebet sprechen.«

Ruhigen Herzens. Roger wünschte, das gelänge ihm auch, doch er hatte keine Ruhe mehr, seit er die Zeitungsausschnitte im Schreibtisch des Reverends gefunden hatte.

Er öffnete das Buch an einer beliebigen Stelle und blätterte langsam weiter, während er nach einer Erwähnung des Namens »Randall« Ausschau hielt. Auf dem Umschlag des Notizbuchs war das Datum Januar – Juni 1948 angegeben. Es stimmte zwar, was er Brianna über den Heimatverein erzählt hatte, doch das war nicht der eigentliche Grund gewesen, warum er dieses Buch behalten hatte. Im Frühjahr 1948 war Claire Randall nach ihrem mysteriösen Verschwinden wieder aufgetaucht. Der Reverend hatte die Randalls gut gekannt; ein solches Ereignis musste in seinem Tagebuch Erwähnung gefunden haben.

Und da, der Eintrag für den 7. Mai:

»Habe heute Abend Frank Randall besucht; diese Sache mit seiner Frau. So ein Drama! Bin gestern bei ihr gewesen – so zerbrechlich, aber der Blick dieser Augen –, war mir unangenehm, bei ihr zu sitzen, die Arme, obwohl sie ganz vernünftig klang.

Was sie durchgemacht hat, hätte jeden an den Rand des Zusammenbruchs gebracht – was auch immer es gewesen ist. Fürchterliches Gerede, so achtlos von Dr. Bartholomew anzudeuten, dass sie schwanger ist. Es ist alles so schwer für Frank – und für sie natürlich! Ich fühle mit ihnen beiden.

Mrs. Graham ist diese Woche krank, sie hätte sich einen besseren Zeitpunkt aussuchen können; nächste Woche ist Trödelmarkt, und die ganze Veranda liegt voller gebrauchter Kleider …«

Roger blätterte hastig weiter, um nach der nächsten Erwähnung der Randalls zu suchen, und fand sie etwas später in derselben Woche.

»10. Mai – Frank Randall zum Abendessen hier. Tue mein Bestes, mich mit ihm und seiner Frau in der Öffentlichkeit zu zeigen; ich besuche sie so gut wie täglich eine Stunde in der Hoffnung, damit das schlimmste Gerede abzustellen. Inzwischen ist es beinahe zum Weinen; es geht das Gerücht um, dass sie den Verstand verloren hat. So wie ich Claire Randall kenne, weiß ich nicht, was sie mehr beleidigen würde, wenn man sie für verrückt hält oder für unmoralisch – aber eines davon muss es doch sein?

Habe wiederholt versucht, mit ihr über ihre Erlebnisse zu sprechen, aber sie redet nicht darüber. Ansonsten wirkt sie ganz normal, doch man hat immer das Gefühl, dass sie an etwas anderes denkt.

Muss mir merken, dass ich Sonntag über das Übel des Tratschens predige – obwohl ich befürchte, dass ich es nur schlimmer mache, wenn ich die Leute mit einer Predigt noch weiter auf den Fall aufmerksam mache …«

»12. Mai – Werde den Gedanken nicht los, dass Claire Randall nicht verrückt ist. Habe natürlich das Gerede gehört, sehe aber nichts in ihrem Verhalten, das mir irgendwie labil erscheint.

Glaube aber, dass sie ein schreckliches Geheimnis mit sich herumträgt und fest entschlossen ist, es nicht zu verraten. Habe Frank – vorsichtig – darauf angesprochen; er reagiert zurückhaltend, aber ich bin fest überzeugt, dass sie irgendetwas zu ihm gesagt hat. Habe versucht, ihm zu signalisieren, dass ich gern helfen würde, wenn ich kann.«

»14. Mai – Besuch von Frank Randall. Sehr merkwürdig. Er hat mich um Hilfe gebeten, aber ich verstehe den Grund für seine Bitte nicht. Doch es scheint ihm sehr wichtig zu sein; er hat sich zwar fest im Griff, steht aber unter enormer Anspannung. Ich fürchte die Entladung – so sie denn kommt.

Claire ist reisefähig – er hat vor, sie diese Woche nach London zu bringen. Habe ihm versichert, dass ich alles, was ich herausfinde, an die Universität schicken werde; kein Wort zu seiner Frau.

Habe hier mehrere interessante Unterlagen über Jonathan Randall, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was Franks Vorfahre mit der ganzen traurigen Angelegenheit zu tun hat. Von James Fraser – wie ich zu Frank gesagt habe – keine Spur; ein absolutes Rätsel.«

Ein absolutes Rätsel. Und zwar in mehrfacher Hinsicht, dachte Roger. Was war es gewesen, worum Frank Randall den Reverend gebeten hatte? Anscheinend alles über Jonathan Randall und über James Fraser herauszufinden, was er konnte. Also hatte Claire ihrem Mann von James Fraser erzählt – zumindest etwas, wenn nicht alles.

Doch welche Verbindung konnte es zwischen einem englischen Armeehauptmann, der 1746 in Culloden gestorben war, und dem Mann geben, dessen Name unlösbar mit Claires rätselhaftem Verschwinden im Jahr 1946 verbunden zu sein schien – und darüber hinaus mit Briannas rätselhafter Herkunft?