»Gewähre ihm die ewige Ruhe, o Herr, und das ewige Licht leuchte ihm.« Er bekreuzigte sich mechanisch und schritt zum nächsten Toten weiter.
Ich hatte das Zelt schon einmal besucht, und das Herz hatte mir bis zum Hals geklopft, als ich die toten Highlander zählte. Zweiundzwanzig. Als ich das Zelt jetzt betrat, stellte ich fest, dass die Zahl auf sechsundzwanzig gestiegen war.
Ein siebenundzwanzigster lag nebenan in der Kirche auf der letzten Meile seines Weges. Alexander Kincaid Fraser starb langsam an den Verletzungen, die seinen Bauch und seine Brust durchlöchert hatten – starb an einem langsamen innerlichen Wundfluss, der nicht aufzuhalten war. Ich hatte ihn gesehen, als sie ihn brachten, kreidebleich, nachdem er den ganzen Nachmittag verblutend und allein auf dem Feld unter den Leichen seiner Feinde gelegen hatte.
Er hatte versucht, mich anzulächeln, und ich hatte ihm die aufgesprungenen Lippen mit Wasser angefeuchtet und sie mit Talg eingefettet. Ihm etwas zu trinken zu geben, hätte ihn auf der Stelle umgebracht, da die Flüssigkeit aus seinem perforierten Darm gelaufen wäre und einen tödlichen Schock ausgelöst hätte. Ich hatte kurz überlegt, als ich die Schwere seiner Verletzungen sah, und gedacht, dass ein rascher Tod vielleicht besser wäre … doch dann hatte ich innegehalten. Ich begriff, dass er vielleicht gern einen Priester sehen und zumindest beichten würde. Und so hatte ich ihn in die Kirche geschickt, wo sich Vater Benin um die Sterbenden kümmerte, so wie ich es für die Lebenden tat.
Jamie hatte der Kirche etwa jede halbe Stunde einen kurzen Besuch abgestattet, doch Kincaid hielt erstaunlich lange durch und klammerte sich an sein Leben, dessen Substanz unablässig verebbte. Aber von seinem letzten Besuch war Jamie nicht zurückgekehrt. Ich wusste, dass der Kampf nun doch sein Ende erreichte, und ging nachsehen, ob ich helfen konnte.
Die Stelle unter den Fenstern, an der Kincaid gelegen hatte, war leer bis auf einen großen dunklen Fleck. Im Zelt der Toten war er ebenfalls nicht, und auch Jamie war nirgendwo in Sicht.
Ich fand sie schließlich ein Stück hügelaufwärts hinter der Kirche. Jamie saß auf einem Felsen und hielt Alexander Kincaids Gestalt in den Armen. Der Lockenkopf ruhte an seiner Schulter, und die langen, behaarten Beine hingen schlaff zur Seite. Sie waren beide reglos wie der Fels, auf dem sie saßen. Totenstill, obwohl nur einer von ihnen tot war.
Ich berührte die weiße, leblose Hand, um ganz sicher zu sein, und legte meine Hand auf das dichte braune Haar, das sich noch so lebendig anfühlte. Kein Mann sollte unberührt sterben, aber dieser hatte es getan.
»Es ist vorbei, Jamie«, flüsterte ich.
Im ersten Moment bewegte er sich nicht, doch dann nickte er und öffnete die Augen, als widerstrebte es ihm, den Tatsachen des Abends ins Antlitz zu sehen.
»Ich weiß. Er ist gestorben, kurz nachdem ich ihn hierhergebracht habe, aber ich wollte ihn nicht loslassen.«
Ich nahm die Schultern, und wir senkten ihn vorsichtig zu Boden. Es war grasig hier, und der Abendwind bewegte die Halme, die ihn umgaben, und streichelte ihm sanft über das Gesicht, um ihn in der Liebkosung der Erde willkommen zu heißen.
»Du wolltest nicht, dass er unter einem Dach stirbt«, sagte ich, denn ich verstand. Der Himmel zog über uns hinweg, eine lauschige Wolkendecke, über der sich das endlose Versprechen von Zuflucht erstreckte.
Er nickte langsam, dann kniete er sich neben den Toten und küsste ihn auf die breite, weiße Stirn.
»Das würde ich mir auch wünschen«, sagte er leise. Er zog ein Ende des Plaids über die braunen Locken und murmelte etwas auf Gälisch, das ich nicht verstand.
Ein Feldlazarett ist kein Ort für Tränen; es gibt viel zu viel zu tun. Ich hatte den ganzen Tag nicht geweint, trotz der Dinge, die ich gesehen hatte. Jetzt jedoch gab ich nach, wenn auch nur für einen Moment. Ich lehnte mein Gesicht an Jamies Schulter, um mir Kraft zu holen, und er liebkoste mich flüchtig. Als ich dann aufblickte und mir die Tränen aus dem Gesicht wischte, sah ich, dass sein Blick immer noch mit trockenen Augen auf die stille Gestalt am Boden gerichtet war. Er spürte, dass ich ihn beobachtete, und er sah mich an.
»Ich habe um ihn geweint, als er noch gelebt hat und es sehen konnte, Sassenach«, sagte er leise. »Also, wie steht es im Haus?«
Ich zog die Nase hoch, wischte sie ab und nahm seinen Arm, als wir uns wieder der Kate zuwandten.
»Bei einem brauche ich deine Hilfe.«
»Wer ist es denn?«
»Hamish MacBeth.«
Jamies Gesicht, das jetzt schon seit so vielen Stunden angespannt war, glättete sich ein wenig unter dem Schmutz und den Flecken.
»Dann ist er wieder da? Das freut mich. Wie schlimm ist es denn?«
Ich verdrehte die Augen. »Du wirst schon sehen.«
Jamie hatte MacBeth besonders gern. Er war ein kräftiger Kerl mit einem braunen Lockenbart und einer zurückhaltenden Art, der sich stets in Jamies Rufweite aufgehalten hatte, um bereit zu sein, wenn unterwegs etwas benötigt wurde. Er sprach nur selten und hatte ein schüchternes Lächeln, das aus seinem Bart aufblühte wie eine Blume der Nacht, selten, aber strahlend.
Ich wusste, dass sein Fehlen nach der Schlacht Jamie Sorgen bereitet hatte, selbst inmitten der vielen anderen Probleme. Je später es wurde, und je mehr Nachzügler eintrafen, desto intensiver hatte auch ich Ausschau nach MacBeth gehalten. Aber der Sonnenuntergang kam, und die Feuer erhoben sich im Armeelager, doch kein Hamish MacBeth, und allmählich hatte mich die Angst beschlichen, dass wir auch ihn unter den Toten finden würden.
Vor einer halben Stunde war er dann ins Lazarett gekommen, langsam zwar, aber aus eigener Kraft. Ein Bein war bis zum Knöchel voller Blut, und er bewegte sich in einem vorsichtigen Watschelgang. Doch er war unter keinen Umständen bereit zuzulassen, dass ihn eine Frau berührte, um zu sehen, was los war.
Der kräftige Mann lag auf einer Decke neben einer Laterne, die Hände auf der Rundung seines Bauchs gefaltet, die Augen geduldig auf die Deckenbalken geheftet. Sein Blick fuhr zwar herum, als sich Jamie neben ihn kniete, doch ansonsten bewegte er sich nicht. Ich hielt mich taktvoll im Hintergrund, durch Jamies breiten Rücken von seinen Blicken abgeschirmt.
»Also schön, MacBeth«, sagte Jamie und legte ihm zur Begrüßung eine Hand auf das kräftige Handgelenk. »Wie geht’s dir, Mann?«
»Werd’s überleben«, knurrte der Hüne. »Werd’s überleben. Es ist nur ein bisschen …« Er zögerte.
»Nun, dann wollen wir es uns doch einmal ansehen.« MacBeth äußerte keinen Protest, als Jamie den Saum seines Kilts zurückschlug. Als ich durch einen Spalt zwischen Jamies Arm und seinem Körper linste, konnte ich den Grund für MacBeths Zögern sehen.
Ein Schwert oder Speer hatte ihn oben an der Leiste erwischt und war in die Tiefe gefahren. Sein Hodensack war an einer Seite aufgerissen, und ein Hoden hing zur Hälfte heraus. Die glatte rosa Oberfläche glänzte wie ein gepelltes Ei.
Jamie und die zwei oder drei anderen Männer, die die Verletzung sahen, wurden blass, und ich sah, wie sich einer der Helfer automatisch berührte, als wollte er sich vergewissern, dass bei ihm selbst alles zum Besten stand.
Trotz des erschreckenden Aussehens der Verletzung schien der Hoden selbst nicht beschädigt zu sein, und es blutete nicht übermäßig. Ich berührte Jamie an der Schulter und schüttelte den Kopf, um ihm zu signalisieren, dass die Verletzung nicht schwer war, ganz gleich, wie sie auf die männliche Psyche wirken mochte. Jamie, der meine Geste aus dem Augenwinkel sah, tätschelte MacBeth am Knie.