Doch es würde ja nicht so kommen, versuchte er, sich zu beruhigen. Geringe Verluste auf der Seite der Jakobiten. Dreißig Tote. In einer Armee von zweitausend Mann war gewiss die Chance klein, dass auch Männer aus Lallybroch darunter sein würden? Wenn sie recht hatte.
Er erschauerte leicht unter dem Plaid und kämpfte den Zweifel nieder, der ihm die Eingeweide zusammenkrampfte. Wenn. Gott, wenn. Immer noch konnte er es kaum glauben, obwohl er sie an diesem verfluchten Stein gesehen hatte, wo sich ihr Gesicht rings um die panisch großen goldenen Augen in Grauen auflöste, ja, ihr ganzer Körper verschwamm, als er sich – selbst in Panik – an sie geklammert hatte, sie zurückgerissen hatte und kaum mehr als den zerbrechlichen Doppelknochen ihres Unterarms in seiner Hand gespürt hatte. Vielleicht hätte er sie gehen lassen sollen, zurück an ihren eigenen Ort. Nein, nicht vielleicht. Er wusste, dass es besser gewesen wäre. Aber er hatte sie zurückgerissen. Ihr zwar die Wahl gelassen, sie jedoch zurückgehalten, weil er sie so sehr wollte. Und so war sie geblieben. Und hatte ihm die Wahl gelassen – ihr zu glauben oder nicht. Zu handeln oder davonzulaufen. Und nun war die Wahl getroffen, und keine Macht der Erde konnte verhindern, dass der Morgen kam.
Sein Herz klopfte heftig, sein Pulsschlag hallte ihm durch Handgelenke, Schritt und Magengrube. Er versuchte, ihn zu beruhigen, indem er wieder zu zählen begann, jeder Herzschlag ein Name. Willie MacNab, Bobby MacNab, Geordie MacNab … Gott sei Dank, selbst Rabbie MacNab war zu Hause in Sicherheit … Will Fraser, Ewan Fraser, Geoffrey McClure … McClure … hatte er an beide gedacht, George und Sorley? Änderte leicht die Lage, lächelte schwach, tastete nach seinen schmerzenden Rippen. Murtagh. Aye, Murtagh, alter Haudegen … um dich mache ich mir zumindest keine Sorgen. William Murray, Rufus Murray, Geordie, Wallace, Simon …
Bis er schließlich die Augen schloss, sie alle der Obhut des schwarzen Himmels über ihm anvertraute und sich in den gemurmelten Worten verlor, die ihm nach wie vor auf Französisch am besten über die Lippen gingen. »Mon Dieu, je regrette …«
Ich machte die Runde durch die Kate und wechselte einem Mann den blutdurchtränkten Verband an seinem Bein. Inzwischen hätte die Blutung zum Stillstand gekommen sein sollen, doch das hatte sie nicht. Schlechte Ernährung und brüchige Knochen. Wenn es beim Hahnenschrei immer noch blutete, würde ich Archie Cameron oder einen der Schmiede-Ärzte holen müssen, um das Bein zu amputieren und den Stumpf zu kauterisieren.
Ich dachte nur ungern daran. Das Leben war schon für einen Mann im Vollbesitz funktionierender Gliedmaßen schwer genug. Ich hoffte das Beste und bestreute die frische Wundkompresse mit etwas Alaun und Schwefel. Wenn es nicht half, würde es auch nicht schaden. Es würde ihn zwar wahrscheinlich schmerzen, doch das ließ sich nicht vermeiden.
»Es wird ein bisschen brennen«, murmelte ich dem Mann zu, als ich ihm das Bein in frische Tücher schlug.
»Keine Sorge, Mistress«, flüsterte er. Er lächelte mir zu, obwohl ihm der Schweiß über die Wangen rann und im Licht meiner Kerze glänzte. »Ich halte es schon aus.«
»Gut.« Ich klopfte ihm auf die Schulter, strich ihm das Haar aus der Stirn und gab ihm etwas Wasser. »Ich sehe in einer Stunde noch einmal nach, wenn Ihr es so lange ertragen könnt.«
»Ich halte es schon aus«, wiederholte er.
Wieder im Freien, dachte ich, Jamie wäre eingeschlafen. Er hatte das Gesicht auf die Arme gelegt, die er auf den Knien verschränkt hatte. Doch beim Klang meiner Schritte blickte er auf und nahm meine Hand, als ich mich neben ihn setzte.
»Ich habe bei Tagesanbruch die Kanonen gehört«, sagte ich und dachte an den Mann in der Kate, dem eine Kanonenkugel das Bein gebrochen hatte. »Ich hatte Angst um dich.«
Er lachte leise. »Ich hatte auch Angst, Sassenach. Wir hatten alle Angst.«
Lautlos wie Nebelschwaden waren die Highlander durch das Seegras vorgerückt, indem sie einen Fuß vor den anderen setzten. Noch ließ die Dunkelheit nicht spürbar nach, doch die Nacht fühlte sich anders an. Der Wind hatte sich gedreht, das war es; er wehte vom Meer auf das kalte herandämmernde Land, und sie konnten den schwachen Donner der Wellen auf dem fernen Sand hören.
Obwohl er den Eindruck anhaltender Dunkelheit hatte, kam das Licht. Im letzten Moment sah er den Mann zu seinen Füßen; noch ein Schritt, und er wäre der Länge nach über den zusammengerollten Körper gefallen.
Während ihm das Herz vor Schreck über den Beinahe-Zusammenstoß klopfte, ging er in die Hocke, um sich den Mann genauer anzusehen. Ein Rotrock, und er war nicht tot oder verwundet, sondern schlief. Er sah sich blinzelnd in der Dunkelheit um und lauschte angestrengt nach dem Atem weiterer Schläfer. Nichts als Meeresrauschen, Gras und Wind, und das leise Rascheln der verstohlenen Füße ging in dem gedämpften Dröhnen so gut wie unter.
Er blickte hastig hinter sich und leckte sich die Lippen, die trotz der Luftfeuchtigkeit trocken geworden waren. Die nächsten Männer waren dicht hinter ihm; er durfte nicht lange zögern. Der nächste Mann achtete vielleicht nicht so genau darauf, wohin er trat, und sie konnten keinen Aufschrei riskieren.
Er legte die Hand an seinen Dolch, zögerte aber. Krieg war Krieg, doch es ging ihm gegen den Strich, einen schlafenden Feind umzubringen. Der Mann schien allein zu sein, ein Stück abseits seiner Kameraden. Kein Wachtposten; nicht einmal der nachlässigste Wächter hätte geschlafen, während sich das Lager der Highlander über ihm befand. Vielleicht war der Soldat ja aufgestanden, um sich zu erleichtern, hatte sich dazu rücksichtsvollerweise ein Stück von seinen Kameraden entfernt, sich dann im Dunklen verlaufen und sich zum Schlafen hingelegt, wo er war.
Das Metall seiner Muskete wurde rutschig, weil seine Handfläche verschwitzt war. Er rieb sich die Hand am Plaid ab, dann richtete er sich auf, packte den Lauf der Muskete und ließ den Kolben im hohen Bogen niedersausen. Er spürte den Aufprall bis zu den Schulterblättern; ein regloser Kopf ist ziemlich massiv. Die Arme des Mannes waren zwar zur Seite geflogen, als ihn der Hieb traf, doch bis auf sein explosives Ausatmen machte er kein Geräusch, und jetzt lag er mit ausgestreckten Armen schlaff auf dem Bauch.
Mit kribbelnden Handflächen bückte sich Jamie erneut und fasste dem Mann unter das Kinn, um seinen Puls zu suchen. Er fand ihn und erhob sich beruhigt. Hinter ihm erscholl ein unterdrückter Aufschrei, und er fuhr mit angelegter Muskete herum, doch ihr Lauf zeigte auf das Gesicht eines von Keppochs MacDonald-Männern.
»Mon Dieu!«, flüsterte der Mann und bekreuzigte sich, und Jamie biss erbost die Zähne zusammen. Es war Keppochs verdammter französischer Priester, der sich auf O’Sullivans Vorschlag wie die Soldaten mit Hemd und Plaid bekleidet hatte.
»Der Mann hat darauf bestanden, dass es seine Pflicht wäre, den Verletzten und Sterbenden auf dem Feld die Sakramente zu spenden«, erklärte mir Jamie und zog sich das fleckige Plaid höher auf die Schulter. Die Nacht wurde jetzt kälter. »O’Sullivan meinte, wenn die Engländer ihn in seiner Soutane auf dem Feld erwischten, würden sie ihn in Stücke reißen. Kann sein, dass sie das getan hätten, kann auch nicht sein. Mit dem Plaid sah er jedenfalls ziemlich albern aus«, fügte er tadelnd hinzu.
Nicht, dass das Verhalten des Priesters den Eindruck korrigiert hätte, den seine Kleidung erweckte. Als er mit Verzögerung begriff, dass sein Gegenüber Schotte war, stieß er einen erleichterten Seufzer aus und öffnete den Mund. Jamie hielt ihm blitzschnell den Mund zu, ehe er irgendwelche dummen Fragen stellen konnte.