»Sie sind geflüchtet«, sagte er leise. »Einer hat sich mir entgegengestellt – während des ganzen Kampfes, nur einer. Die anderen habe ich von hinten erledigt.« Er rieb sich mit der schmutzigen Hand über das Gesicht, und ich konnte spüren, wie es irgendwo in seinem Inneren leise zu beben begann.
»Ich erinnere mich … an alles«, sagte er beinahe flüsternd. »Jeden Hieb. Jedes Gesicht. Den Mann, der vor mir auf dem Boden gelegen hat und sich vor Angst in die Hose gemacht hat. Das Geschrei der Pferde. Den Gestank – Schwarzpulver und Blut und meinen eigenen Schweißgeruch. Alles. Aber es war so, als hätte ich außerhalb gestanden und mir selber zugesehen. Ich war gar nicht richtig da.« Er öffnete die Augen und sah mich von der Seite an. Er hatte sich beinahe vollständig zusammengekrümmt, den Kopf auf den Knien, und er zitterte jetzt sichtlich.
»Verstehst du?«
»Ich verstehe.«
Ich hatte zwar noch nie mit Schwert oder Messer gekämpft, doch ich hatte oft genug mit meinen Händen und meiner Willenskraft gekämpft; das Chaos des Todes nur deshalb überwunden, weil es keine andere Möglichkeit gab. Und ein solcher Kampf hinterließ tatsächlich dieses merkwürdige Gefühl der Losgelöstheit; der Verstand schien sich über den Körper zu erheben und ihn kalt zu dirigieren, während sich das Innere gehorsam unterordnete, bis die Krise überwunden war. Das Zittern begann immer erst später.
Diesen Punkt hatte ich noch nicht erreicht. Ich ließ mir den Umhang von den Schultern gleiten und deckte Jamie zu, ehe ich in die Kate zurückkehrte.
Das Morgengrauen brachte Erleichterung in Person zweier Frauen aus dem Dorf und eines Stabsarztes. Der Mann mit der Beinverletzung war zwar blass und schwach, doch die Wunde hatte aufgehört zu bluten. Jamie nahm mich beim Arm und führte mich über die Dorfstraße von Tranent davon.
O’Sullivans ständiger Versorgungsengpass war zumindest vorerst durch die erbeuteten Wagen behoben, und es gab reichlich zu essen. Wir aßen so schnell, dass wir den heißen Porridge kaum schmeckten, denn die Nahrungsaufnahme bedeutete uns nur eine körperliche Notwendigkeit wie das Atmen. Das Gefühl der Sättigung breitete sich in meinem Körper aus und schenkte mir die Freiheit, an das zweitwichtigste Bedürfnis zu denken – Schlaf.
In allen Häusern und Katen waren Verletzte einquartiert, während der Großteil der unversehrten Männer im Freien schlief. Jamie hätte zwar Anspruch auf einen Platz im Pfarrhaus bei den anderen Offizieren erheben können, doch stattdessen nahm er meinen Arm und führte mich aus dem Dorf bergauf in eins der kleinen Wäldchen, die rings um Tranent verstreut lagen.
»Wir müssen ein Stückchen gehen«, entschuldigte er sich und sah mich an, »aber ich dachte, du möchtest vielleicht lieber, dass wir für uns sind?«
»Das möchte ich.« Ich war zwar unter Bedingungen aufgewachsen, die den meisten Menschen meiner Zeit primitiv vorgekommen wären, und hatte auf Onkel Lambs Feldexpeditionen oft in Zelten oder Lehmhütten gelebt, aber mit vielen Menschen in drangvoller Enge zu leben, wie es hier üblich war, war ich nicht gewohnt. Die Menschen aßen, schliefen und kopulierten sogar häufig in winzigen Katen zusammengedrängt, die von qualmenden Torffeuern beleuchtet und geheizt wurden. Das Einzige, was sie nicht zusammen taten, war baden – weil sie einfach gar nicht badeten.
Jamie führte mich unter den tiefhängenden Ästen einer großen Kastanie hindurch auf eine kleine Lichtung, auf der eine dichte Laubschicht lag. Die Sonne war gerade aufgegangen, und unter den Bäumen war es noch kalt. Einige der vergilbten Blätter waren mit einem schwachen Hauch von Frost überzogen.
Er kratzte mit der Ferse eine Vertiefung in die Laubschicht, dann trat er an das eine Ende der Mulde, legte die Hand an seine Gürtelschnalle und lächelte mich an.
»Es sieht zwar ein bisschen peinlich aus, wenn man es anzieht, aber es ist ganz einfach auszuziehen.« Er öffnete den Gürtel mit einem Ruck, und das Plaid fiel ihm auf die Knöchel, so dass ihm nur noch das Hemd auf die Oberschenkel hing. Normalerweise trug er den »kleinen Kilt«, den man sich um die Taille schnallte, dazu ein separates Plaid über der Schulter. Doch da sein Kilt in der Schlacht zu sehr gelitten hatte, hatte er sich eins der traditionellen Plaids besorgt – nicht mehr als ein langes Stück Stoff, das an der Taille von einem Gürtel zusammengehalten wurde.
»Wie zieht man es denn an?«, fragte ich neugierig.
»Nun, man legt es so auf den Boden«, er kniete sich hin und breitete das Tuch so aus, dass es die Mulde im Laub ausfüllte, »dann legt man es in Falten, legt sich darauf und rollt sich ein.«
Ich brach in Gelächter aus und sank auf die Knie, um ihm beim Ausbreiten des dicken Tartanstoffs zu helfen.
»Das will ich sehen«, sagte ich. »Weck mich, ehe du dich anziehst.«
Er schüttelte gutmütig den Kopf, und das Sonnenlicht, das durch die Blätter fiel, glitzerte in seinem Haar.
»Sassenach, meine Chancen, vor dir aufzuwachen, stehen schlechter als die eines Wurms auf dem Hühnerhof. Selbst wenn noch ein Pferd auf mich treten sollte, ich bewege mich erst morgen wieder.« Er legte sich vorsichtig hin und schob das Laub beiseite.
»Komm, leg dich zu mir.« Er hielt mir einladend die Hand entgegen. »Wir decken uns mit deinem Umhang zu.«
Das Laub unter der Wolle gab eine überraschend bequeme Matratze ab, obwohl ich an diesem Punkt auch mit Freuden auf einem Bett aus Nägeln geschlafen hätte. Ich ließ mich an ihn sinken und schwelgte in der Wonne, einfach nur zu liegen.
Die anfängliche Kühle schwand schnell, als unsere Körper die Mulde wärmten, in der wir lagen. Wir waren so weit von der Ortschaft entfernt, dass uns die Geräusche der Militärbesatzung nur in Fetzen mit dem Wind erreichten, und ich dachte schläfrig und zufrieden, dass es gut morgen werden konnte, ehe uns jemand fand, der nach Jamie suchte.
Ich hatte mir die Unterröcke gestern Abend ausgezogen und sie zerrissen, weil ich zusätzliches Verbandsmaterial benötigte, und so trennte uns nur der dünne Stoff von Rock und Hemd. An meinem Bauch rührte sich etwas Festes, Warmes.
»Ist das dein Ernst?«, sagte ich, trotz meiner Müdigkeit belustigt. »Jamie, du musst doch halbtot sein.«
Er lachte müde und hielt mich mit seiner großen, warmen Hand im Kreuz fest.
»Mehr als halbtot, Sassenach. Ich bin erledigt, und mein Schwanz ist das Einzige, was zu dumm ist, das zu merken. Ich kann nicht neben dir liegen, ohne dich zu begehren, aber vermutlich wird es beim Begehren bleiben.«
Ich tastete nach seinem Hemdsaum, dann schob ich ihn hoch und umfasste ihn mit sanfter Hand. Sein Penis war noch wärmer als die Haut an seinem Bauch, seidig unter der Berührung meines streichelnden Daumens, und bei jedem Schlag seines Herzens pulsierte er kräftig.
Er stieß einen kleinen Laut halb schmerzvoller Zufriedenheit aus, drehte sich langsam auf den Rücken und spreizte lose die Beine unter meinem Umhang.
Die Sonne hatte unseren Blätterhaufen erreicht, und meine Schultern entspannten sich unter der wärmenden Berührung des Lichts. Durch den Frühherbst und meine extreme Erschöpfung sah alles schwach vergoldet aus. Ich fühlte mich träge und vage körperlos, während ich zusah, wie er sich unter meinen Fingern leise regte. All das Grauen, die Müdigkeit und der Lärm der letzten beiden Tage verebbten langsam, und wir blieben allein zurück.
Der Nebelschleier der Erschöpfung schien wie ein Vergrößerungsglas zu wirken, das kleine Details und Empfindungen verstärkte. Das Ende seiner Säbelwunde war unter dem hochgerutschten Hemd zu sehen, eine schwarze Kruste auf der weißen Haut. Zwei oder drei kleine Fliegen summten neugierig herbei, und ich verscheuchte sie. Die Stille hallte mir in den Ohren wider, und der Atem der Bäume übertönte die Echos aus dem Dorf.
Ich legte meine Wange an ihn und spürte die harte, glatte Rundung seines Hüftknochens dicht unter seiner Haut. In seiner Leistenbeuge war die Haut transparent, die verzweigten Adern blau und fein wie bei einem Kind.