Ich rieb mir nachdenklich die Nase und sah ihn an. Wieder eine Entscheidung. Wieder eine Gelegenheit, die Ereignisse in der von mir gewählten Richtung zu beeinflussen. Und wieder dieser Mangel an Gewissheit, was ich tun sollte.
Er hatte recht, es war wichtig, diesen Häuptling davon zu überzeugen, dass er den Jakobiten seine Ressourcen zur Verfügung stellte. Zusammengenommen zählten die Camerons, die diversen MacDonalds und die anderen, die sich der Armee bis jetzt angeschlossen hatten, gerade einmal zweitausend Mann, und diese waren der schlimmste zusammengewürfelte Haufen, mit dem je ein General geschlagen gewesen war. Und doch hatte dieses Lumpengesindel die Stadt Edinburgh eingenommen, in Preston ein deutlich überlegenes gegnerisches Heer in die Knie gezwungen, und es schien fest entschlossen zu sein, sich munter auf den Rest des Landes zu stürzen.
Wir hatten Charles nicht aufhalten können; vielleicht hatte Jamie recht, und die einzige Möglichkeit, den Untergang abzuwenden, bestand jetzt darin, alles Menschenmögliche zu tun, um ihm zu helfen. Der Name eines bedeutenden Clanführers auf der Liste seiner Anhänger würde die Wahrscheinlichkeit vergrößern, dass sich auch noch andere anschlossen. Womöglich war dies ein Wendepunkt, an dem die Jakobiten-Armee zu einem echten Heer anwuchs, das tatsächlich zu der geplanten Invasion Englands imstande war. Und wenn ja, was zum Teufel würde dann geschehen?
Ganz gleich, wie mein Entschluss ausfiel, ich konnte ihn erst treffen, wenn ich diese mysteriöse Person gesehen hatte. Ich blickte an mir hinunter, um mich zu vergewissern, dass mein Kleid für eine Audienz bei einem Clanoberhaupt passend war, ob nun krank oder nicht. Dann erhob ich mich und klemmte mir die Arzneikiste unter den Arm.
»Ich werde es versuchen, Eure Hoheit«, sagte ich.
Die zusammengeballten Hände entspannten sich, so dass ich seine angekauten Nägel sehen konnte, und sein Stirnrunzeln glättete sich wieder.
»Ah, gut«, sagte er. Er wandte sich der Tür des größeren Nachmittagssalons zu. »Kommt, ich bringe Euch persönlich zu ihm.«
Der Wachtposten an der Tür sprang überrascht zurück, als Charles die Tür öffnete und an ihm vorbeischritt, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Am anderen Ende des langen, mit Wandteppichen behangenen Zimmers befand sich ein gewaltiger Kamin mit weißen Delfter Kacheln, die mit blauen Impressionen aus Holland bemalt waren. Man hatte ein kleines Sofa vor das Feuer gerückt, und daneben stand ein breitschultriger Hüne in Highlandtracht.
In einem weniger imposanten Raum hätte er wie ein Gigant gewirkt, dessen Beine in den karierten Strümpfen wie Baumstämme unter dem Kilt hervorragten. Doch in diesem immensen Zimmer mit seiner hohen Stuckdecke war er einfach nur groß – passend zu den mythischen Heroen, die die Wandbehänge an beiden Enden des Zimmers zierten.
Ich erstarrte beim Anblick des riesigen Besuchers, und der Schock im Moment des Erkennens vermischte sich mit absolutem Unglauben. Charles, der nicht stehen geblieben war, blickte sich nun ungeduldig um und winkte mir, zu ihm an den Kamin zu treten. Ich nickte dem Hünen zu. Dann schritt ich langsam um das Sofa herum und blickte auf den Mann hinunter, der darauf lag.
Er lächelte schwach, als er mich sah, und ein Funke der Belustigung erhellte seine taubengrauen Augen.
»Ja«, sagte er als Antwort auf meine Miene, »ich hatte eigentlich auch nicht damit gerechnet, Euch noch einmal wiederzusehen. Man könnte beinahe glauben, dass es unser Schicksal ist.« Er wandte sich zu seinem kräftigen Leibdiener um und hob die Hand.
»Angus. Würdest du Mistress Claire einen Tropfen Brandy holen? Ich fürchte, mein überraschender Anblick hat sie etwas aus der Fassung gebracht.«
Das, so dachte ich, war gelinde ausgedrückt. Ich sank auf einen spreizfüßigen Sessel und nahm den Kristallkelch entgegen, den Angus Mhor mir entgegenhielt.
Colum MacKenzies Augen hatten sich genauso wenig geändert wie seine Stimme. Aus ihnen sprach das Wesen des Mannes, der seit dreißig Jahren den MacKenzie-Clan führte – trotz der Krankheit, die ihn als Jugendlichen zum Krüppel gemacht hatte. Doch alles andere hatte sich auf traurige Weise verschlechtert: Sein schwarzes Haar war stark ergraut, seine Gesichtsfalten schnitten tief in seine Haut, die über den scharfen Konturen der Knochen erschlafft war. Selbst seine breite Brust war eingesunken, die kraftvollen Schultern eingefallen, weil die Muskeln von seinem zerbrechlichen Skelett geschwunden waren.
Er hatte bereits ein Glas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit, das im Schein des Feuers halbvoll leuchtete. Unter Schmerzen richtete er sich zum Sitzen auf und hob das Glas zum ironischen Salut.
»Ihr seht gut aus … Nichte.« Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Charles der Mund aufklappte.
»Ihr nicht«, sagte ich unverblümt.
Er blickte leidenschaftslos an seinen krummen Beinen hinunter. In hundert Jahren würde man diese Erkrankung nach ihrem berühmtesten Opfer benennen: Toulouse-Lautrec-Syndrom.
»Nein«, sagte er. »Aber Ihr habt mich vor über zwei Jahren zuletzt gesehen. Mrs. Duncan schätzte damals, dass ich keine zwei Jahre mehr zu leben hätte.«
Ich trank einen Schluck Brandy. Er war exzellent. Charles ließ wirklich nichts unversucht.
»Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr viel auf den Fluch einer Hexe gebt«, sagte ich.
Ein Lächeln zuckte auf seinen feinen Lippen. Auch wenn er ein Krüppel war, besaß er doch dieselbe kühne Schönheit wie sein Bruder Dougal, und wenn er den Schleier der Distanziertheit von seinen Augen hob, überstrahlte seine Kraft das Wrack seines Körpers.
»Auf den Fluch nicht, nein. Doch ich hatte den deutlichen Eindruck, dass die Dame eine Beobachtung formulierte, keine Verwünschung. Und ich bin selten einem Menschen mit einer besseren Beobachtungsgabe begegnet als Geillis Duncan – mit einer Ausnahme.« Er nickte mir huldvoll zu, um zu verdeutlichen, was er meinte.
»Danke«, sagte ich.
Colum hob den Blick zu Charles, der diesem Wortwechsel völlig verdattert zuhörte.
»Ich danke Euch für die Großzügigkeit, mir zu gestatten, Eure Räumlichkeiten für mein Zusammentreffen mit Mrs. Fraser zu benutzen, Eure Hoheit«, sagte er mit einer angedeuteten Verneigung. Seine Worte waren zwar durchaus höflich, doch ihr Ton ließ keinen Zweifel daran, dass Charles hiermit entlassen war. Der Prinz, der es in keiner Weise gewohnt war, dass man ihn aus dem Zimmer schickte, wurde dunkelrot und öffnete den Mund. Dann fasste er sich, schloss ihn wieder, verneigte sich knapp und machte auf dem Absatz kehrt.
»Den Türsteher brauchen wir auch nicht«, rief ich ihm nach. Er zog den Kopf ein, und sein Nacken wurde unter dem Zopf seiner Perücke rot, doch er gestikulierte abrupt, und der Wachtposten an der Tür folgte ihm hinaus, nachdem er mir einen erstaunten Blick zugeworfen hatte.
»Hm.« Colum warf einen kurzen, missbilligenden Blick zur Tür, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf mich.
»Ich wollte Euch sehen, weil ich mich bei Euch entschuldigen muss«, sagte er unvermittelt.
Ich lehnte mich in meinem Sessel zurück und hielt mir das Glas gelassen auf den Bauch.
»Oh, entschuldigen?«, sagte ich so sarkastisch, wie es mir spontan möglich war. »Weil Ihr versucht habt, mich als Hexe verbrennen zu lassen, meint Ihr?« Ich winkte großzügig ab. »Ach, denkt Euch nichts dabei.« Ich funkelte ihn an. »Entschuldigen?«
Er lächelte vollkommen ungerührt.
»Es ist vermutlich ein wenig unzureichend«, begann er.
»Unzureichend? Dafür, dass Ihr mich habt festnehmen und drei Tage ohne ernsthaftes Essen oder Wasser in das Diebesloch habt werfen lassen? Mich vor ganz Cranesmuir habt halb ausziehen und auspeitschen lassen? Dass Ihr mir um Haaresbreite ein Ende durch ein Fass Pech und ein Bündel Brennholz bereitet hättet?« Ich hielt inne und holte tief Luft. »Jetzt, da Ihr es erwähnt«, sagte ich etwas ruhiger, »ist ›unzureichend‹ genau das Wort, das ich benutzen würde.«