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Roger stöhnte auf wie ein Heimgesuchter aus dem Alten Testament, als er daran dachte, die Hinterlassenschaften seiner Eltern zu durchwühlen. »O Gott«, sagte er laut. »Alles, nur das nicht!«

Die Bemerkung war zwar nicht unbedingt als Gebet gedacht gewesen, doch wie als Antwort klingelte es an der Tür, so dass sich Roger aufgeschreckt auf die Zunge biss.

Die Tür des Pfarrhauses neigte dazu, bei feuchtem Wetter zu klemmen, was bedeutete, dass sie meistens klemmte. Roger befreite sie mit einem markerschütternden Quietschen und sah eine Frau auf der Schwelle stehen.

»Kann ich Ihnen helfen?«

Sie war mittelgroß und ausgesprochen hübsch. Sein erster Eindruck war der von feinem Knochenbau und weißem Leinen, gekrönt von einer Fülle brauner Locken, die zu einer Art halb gezähmtem Knoten frisiert war. Und mitten darin ein außergewöhnliches, leuchtendes Augenpaar von der Farbe gut gereiften Sherrys.

Diese Augen wanderten nun von seinen 46er Turnschuhen zu dem Gesicht einen guten Kopf über ihr. Ihr Lächeln wurde breiter. »Ich fange ja nur ungern mit einem Klischee an«, sagte sie, »aber mein Gott, sind Sie gewachsen, Roger!«

Roger spürte, wie er rot wurde. Die Frau lachte und hielt ihm die Hand hin. »Sie sind doch Roger, oder? Mein Name ist Claire Randall; ich war eine alte Freundin des Reverends. Aber Sie habe ich das letzte Mal gesehen, als Sie fünf Jahre alt waren.«

»Äh, Sie sagen, Sie waren eine alte Freundin meines Vaters? Dann wissen Sie also schon …«

Das Lächeln verschwand und wich einem Ausdruck des Bedauerns.

»Ja, ich war sehr traurig, es zu hören. Das Herz, ja?«

»Ähm, ja. Ganz plötzlich. Ich bin gerade aus Oxford gekommen, um mich um … alles zu kümmern.« Mit einer vagen Handbewegung deutete er auf das verwaiste Haus hinter ihm und seinen gesamten Inhalt.

»So wie ich die Bibliothek Ihres Vaters in Erinnerung habe, dürfte allein diese kleine Aufgabe Sie bis Weihnachten in Anspruch nehmen«, stellte Claire fest.

»Wenn das so ist, sollten wir Sie vielleicht besser nicht stören«, sagte eine angenehme amerikanische Stimme.

»Oh, ich vergaß«, sagte Claire und wandte sich halb zu der jungen Frau um, die außer Sichtweite in einer Ecke der Eingangsveranda gestanden hatte. »Roger Wakefield – meine Tochter Brianna.«

Brianna Randall trat mit einem schüchternen Lächeln vor. Im ersten Moment starrte Roger sie an, dann besann er sich auf seine Manieren. Er trat zurück und hielt die Tür weit offen, während er sich flüchtig fragte, wann er zuletzt das Hemd gewechselt hatte.

»Nicht doch, nicht doch!«, sagte er herzlich. »Ich wollte sowieso gerade Pause machen. Kommen Sie doch herein.«

Er winkte die beiden Frauen durch den Flur in das Studierzimmer des Reverends und nahm dabei zur Kenntnis, dass die Tochter eins der größten Mädchen war, die er je aus der Nähe gesehen hatte. Sie war bestimmt eins achtzig groß, dachte er, als er sah, dass sich ihr Kopf auf einer Höhe mit der Flurgarderobe befand. Im Weitergehen richtete er sich unbewusst zu seiner vollen Größe von einem Meter neunzig auf und duckte sich erst im letzten Moment, um sich den Kopf nicht am Türsturz des Studierzimmers zu stoßen, als er den Frauen hineinfolgte.

»Eigentlich wollte ich ja schon eher kommen«, sagte Claire und machte es sich in dem gewaltigen Armsessel noch ein wenig bequemer. Die vierte Wand des Studierzimmers hatte Fenster, die vom Boden bis zur Decke reichten, und das Sonnenlicht schimmerte auf der Perlmuttspange in ihrem hellbraunen Haar. Allmählich lösten sich die Locken aus ihrer Befestigung, und sie schob sich beim Reden geistesabwesend eine Strähne hinter das Ohr.

»Ich hatte die Reise letztes Jahr schon gebucht, aber dann gab es einen Notfall in der Klinik in Boston – ich bin Ärztin«, erklärte sie, und ihr Mundwinkel verzog sich ein wenig, denn es gelang Roger nicht, seine Überraschung zu verbergen. »Aber es tut mir leid, dass wir es nicht getan haben; ich hätte Ihren Vater gern noch einmal gesehen.«

Roger fragte sich, warum sie dann jetzt gekommen waren, obwohl sie doch wussten, dass der Reverend tot war, doch die Frage kam ihm unhöflich vor. Stattdessen fragte er: »Und jetzt besuchen Sie die hiesigen Sehenswürdigkeiten?«

»Ja, wir sind mit dem Auto aus London gekommen«, antwortete Claire. Sie lächelte ihre Tochter an. »Ich wollte, dass Brianna das Land sieht; man glaubt es zwar nicht, wenn man sie reden hört, aber sie ist genauso Engländerin wie ich, auch wenn sie nie hier gelebt hat.«

»Tatsächlich?« Roger betrachtete Brianna. Sie sah überhaupt nicht englisch aus, beschloss er; abgesehen von ihrer Größe, hatte sie dichtes rotes Haar, das sie lose auf den Schultern trug, und kräftige, scharfkantige Gesichtsknochen. Ihre Nase war lang und gerade – vielleicht einen Hauch zu lang.

»Ich bin in Amerika geboren«, sagte Brianna, »aber meine Eltern sind – waren – beide Engländer.«

»Waren?«

»Mein Mann ist vor zwei Jahren gestorben«, erklärte Claire. »Ich glaube, Sie kannten ihn – Frank Randall.«

»Frank Randall! Natürlich!« Roger schlug sich vor die Stirn und spürte, wie seine Wangen heiß wurden, als Brianna kicherte. »Sie werden mich jetzt für einen Vollidioten halten, aber ich habe gerade erst begriffen, wer Sie sind.«

Der Name erklärte eine Menge; Frank Randall war ein bedeutender Historiker gewesen und ein guter Freund des Reverends; sie hatten jahrelang jakobitische Obskuritäten miteinander ausgetauscht, obwohl es mindestens zehn Jahre her war, dass Frank Randall zuletzt im Pfarrhaus gewesen war.

»Dann … wollen Sie die historischen Stätten in der Gegend von Inverness besuchen?«, fragte Roger. »Sind Sie schon in Culloden gewesen?«

»Noch nicht«, antwortete Brianna. »Wir wollten es im Lauf der Woche tun.« Ihr Lächeln war höflich, mehr nicht.

»Wir haben für heute Nachmittag eine Tour am Loch Ness gebucht«, sagte Claire. »Und vielleicht fahren wir morgen nach Fort William, oder wir sehen uns einfach nur in Inverness um; der Ort ist anständig gewachsen, seit ich das letzte Mal hier war.«

»Wann ist das gewesen?« Roger fragte sich, ob er seine Dienste als Fremdenführer anbieten sollte. Eigentlich hatte er dazu keine Zeit, aber die Randalls waren gute Freunde des Reverends gewesen. Außerdem war eine Autofahrt nach Fort William in Gesellschaft zweier attraktiver Damen deutlich verlockender als das Ausräumen der Garage, was der nächste Punkt auf seiner Liste war.

»Oh, vor über zwanzig Jahren. Es ist lange her.« Claires Stimme hatte einen seltsamen Unterton, der Roger bewog, sie anzusehen, doch sie erwiderte seinen Blick mit einem Lächeln.

»Nun ja«, wagte er sich vor, »falls ich irgendetwas für Sie tun kann, solange Sie in den Highlands sind …«

Claire lächelte zwar weiter, doch in ihrem Gesicht änderte sich etwas. Er hätte fast glauben können, dass sie auf die Gelegenheit gewartet hatte. Sie richtete den Blick auf Brianna, dann wieder auf Roger.

»Da Sie es erwähnen«, sagte sie, und ihr Lächeln wurde breiter.

»Oh, Mutter!«, sagte Brianna und richtete sich im Sitzen auf. »Fall doch Mr. Wakefield bitte nicht zur Last! Du siehst doch, wie viel er zu tun hat!« Sie wies mit einer Handbewegung auf das mit überquellenden Kartons und endlosen Bücherstapeln vollgestopfte Studierzimmer.

»Oh, das macht doch nichts!«, protestierte Roger. »Äh … was ist es denn?«

Claire brachte ihre Tochter mit einem Blick zum Schweigen. »Ich hatte auch nicht vor, ihn bewusstlos zu schlagen und zu verschleppen«, sagte sie trocken. »Aber vielleicht kennt er ja jemanden, der mir helfen kann. Es ist ein kleines historisches Projekt«, erklärte sie. »Ich brauche jemanden, der sich gut mit den Jakobiten des achtzehnten Jahrhunderts auskennt – Bonnie Prince Charlie und Konsorten.«