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Der Rest des Tagebuchs war mit den üblichen Ereignissen des Gemeindelebens gefüllt wie der Alkoholsucht Derick Gowans, die darin gipfelte, dass man ihn Ende Mai als Wasserleiche aus dem Ness gezogen hatte, der hastigen Trauung von Maggie Brown und William Dundee einen Monat vor der Taufe ihrer Tochter June; Mrs. Grahams Blinddarm-OP und den Versuchen des Reverends, der daraus resultierenden Flut von fertig gekochten Gerichten Herr zu werden, mit denen ihn die großzügigen Damen der Gemeinde überhäuft hatten – Herbert, der damalige Hund des Reverends, schien in den Genuss des Großteils gekommen zu sein.

Roger ertappte sich dabei, wie er beim Lesen lächelte, weil die große Anteilnahme des Reverends an seinen Schäfchen in den Worten des alten Predigers wieder zum Leben erwachte. Fast hätte er ihn beim Überfliegen der Seiten übersehen – den letzten Eintrag, der sich mit Frank Randalls Bitte befasste.

»18. Juni – Ein kurzer Brief von Frank Randall, der mir mitteilt, dass es nicht gut um seine Frau steht; die Schwangerschaft ist riskant für sie, und er bittet mich, für sie zu beten.

Habe ihm geantwortet, dass ich ihm verspreche, für ihn und seine Frau zu beten und dass ich ihnen beiden alles Gute wünsche. Habe außerdem beigefügt, was ich bis jetzt für ihn herausgefunden habe; kann nicht sagen, was es ihm nützen wird, das muss er selbst beurteilen. Habe ihm von der überraschenden Entdeckung berichtet, dass sich Jonathan Randalls Grab in St. Kilda befindet, und gefragt, ob er möchte, dass ich den Stein fotografiere.«

Und das war alles. Es gab keine weitere Erwähnung der Randalls – oder des Mannes namens James Fraser. Roger legte das Buch hin und rieb sich die Schläfen; er hatte leichte Kopfschmerzen von der Lektüre der kursiven Handschrift.

Abgesehen davon, dass er seinen Verdacht bestätigt sah, dass ein Mann namens James Fraser in all das verwickelt war, blieb das Rätsel so undurchdringlich wie eh und je. Was in Gottes Namen hatte Jonathan Randall damit zu tun, und warum in aller Welt war er in St. Kilda begraben? In dem Offizierspatent hatte ein Anwesen in Sussex als Randalls Geburtsort gestanden; was hatte ihn auf einen abgelegenen schottischen Friedhof verschlagen? Es war natürlich nicht weit von Culloden entfernt – doch warum hatte man ihn nicht nach Sussex überführt?

»Brauchen Sie heute Abend noch etwas, Mr. Wakefield?« Fionas Stimme riss ihn aus seinen fruchtlosen Grübeleien. Er richtete sich blinzelnd auf und sah sie mit Besen und Staubtuch vor sich stehen.

»Was? Äh, nein. Nein danke, Fiona. Aber was machen Sie denn da? Sie machen doch um diese Tageszeit nicht noch sauber?«

»Wegen der Pfarrfrauen«, erklärte Fiona. »Sie wissen doch noch, dass Sie ihnen gesagt haben, dass sie hier morgen ihr monatliches Treffen abhalten können? Ich dachte, ich sorge lieber ein bisschen für Ordnung.«

Die Pfarrfrauen? Roger bekam weiche Knie bei der Vorstellung, wie vierzig vor Mitgefühl triefende Hausfrauen in einer Lawine aus Tweed, Twinsets und Perlenketten über das Pfarrhaus herfielen.

»Werden Sie den Tee mit den Damen einnehmen?«, fragte Fiona. »Der Reverend hat das auch immer getan.«

Der Gedanke, Brianna Randall und die Pfarrfrauen gleichzeitig unter seinem Dach zu haben, gab Roger den Rest.

»Äh, nein«, sagte er abrupt. »Ich … ich bin morgen bereits verabredet.« Seine Hand senkte sich auf das Telefon, das unter den Trümmern auf dem Schreibtisch des Reverends halb vergraben war. »Wenn Sie mich entschuldigen würden, Fiona, ich muss jemanden anrufen.«

Brianna lächelte vor sich hin, als sie in unser Zimmer zurückkam. Ich hob den Blick von meinem Buch und zog fragend die Augenbraue hoch.

»Anruf von Roger?«

»Woher wusstest du das?« Im ersten Moment war ihre Miene verblüfft, dann grinste sie und zog ihren Morgenmantel aus. »Oh, weil er der einzige Mann ist, den ich in Inverness kenne?«

»Ich dachte nicht, dass dich einer deiner Freunde per Ferngespräch aus Boston anrufen würde«, sagte ich und warf einen Blick auf die Uhr auf dem Tisch. »Jedenfalls nicht um diese Uhrzeit; sie dürften jetzt alle beim Footballtraining sein.«

Brianna beachtete meine Worte nicht und schob die Füße unter die Bettdecke. »Roger hat uns eingeladen, morgen zu einem Ort namens St. Kilda zu fahren. Er sagt, es ist eine interessante alte Kirche.«

»Ich habe davon gehört«, sagte ich und gähnte. »Also schön, warum nicht? Ich nehme meine Pflanzenpresse mit; vielleicht finde ich ja eine Platterbse – ich habe sie Dr. Abernathy versprochen. Aber wenn wir den Tag damit verbringen wollen, alte Grabsteine zu lesen, gehe ich jetzt ins Bett. Die Vergangenheit auszugraben, ist harte Arbeit.«

In Briannas Gesicht flackerte etwas auf, und ich dachte, sie wollte etwas sagen. Aber sie nickte nur, und auch als sie die Hand ausstreckte, um das Licht auszuschalten, nistete das geheimnisvolle Lächeln noch in ihrem Mundwinkel.

Ich lag auf dem Rücken und blickte in das Dunkel hinauf, während ich zuhörte, wie ihre kleinen Bewegungen allmählich in die ebenmäßige Kadenz ihres schlafenden Atems übergingen. St. Kilda also? Ich war noch nie dort gewesen, doch ich wusste, wo es war; es war eine alte Kirche, wie Brianna gesagt hatte, längst verlassen und zu abgelegen für Touristen – nur Historiker verirrten sich hin und wieder dorthin. Vielleicht war das ja die Gelegenheit, auf die ich gewartet hatte?

Ich würde Roger und Brianna bei mir haben; wir würden allein sein und brauchten keine große Angst vor Unterbrechungen zu haben. Und vielleicht war es eine gute Stelle, um es ihnen zu erzählen – dort inmitten der verstorbenen Gemeindemitglieder von St. Kilda. Roger hatte noch nicht verifiziert, was aus dem Rest der Männer von Lallybroch geworden war, doch es schien hinreichend sicher zu sein, dass sie das Feld von Culloden zumindest lebend verlassen hatten, und das war eigentlich alles, was ich im Moment wissen musste. Ich konnte Brianna also das Ende erzählen.

Mein Mund wurde trocken, wenn ich an das bevorstehende Gespräch dachte. Woher würde ich die Worte nehmen? Ich versuchte, mir auszumalen, wie es wohl ablaufen könnte; was ich sagen könnte, und wie sie wohl reagieren würden, doch meine Fantasie ließ mich im Stich. Mehr denn je bedauerte ich mein Versprechen an Frank, das mich daran gehindert hatte, Reverend Wakefield zu schreiben. Hätte ich es getan, hätte zumindest Roger schon Bescheid wissen können. Oder vielleicht auch nicht; es war ja möglich, dass mir der Reverend nicht geglaubt hätte.

Ich wälzte mich unruhig hin und her, doch die Erschöpfung stahl sich über mich. Und schließlich gab ich auf, drehte mich auf den Rücken und verschloss die Augen vor der Dunkelheit. Als hätte der Gedanke an ihn den Geist des Reverends heraufbeschworen, driftete ein Bibelzitat in mein schwindendes Bewusstsein: Ein jeder Tag, schien mir die Stimme des Reverends zuzumurmeln, ein jeder Tag hat seine Plage. Und ich schlief ein.

Ich erwachte in den Schatten der Nacht, die Hände in die Bettwäsche gekrallt, und mein Herz schlug so heftig, dass es mich schüttelte wie das Fell einer Pauke. »Himmel!«, sagte ich.

Die Seide meines Nachthemds klebte erhitzt an mir fest; als ich an mir hinunterblickte, konnte ich schwach erkennen, wie meine Brustwarzen darunter aufragten, fest wie Murmeln. Die bebenden Krämpfe liefen mir noch durch Handgelenke und Oberschenkel wie die letzten Stöße eines Erdbebens. Hoffentlich hatte ich nicht aufgeschrien. Wahrscheinlich nicht; ich konnte Briannas Atmung hören, ungestört und regelmäßig.

Ich fiel auf das Kissen zurück, zitternd vor Schwäche, und der plötzliche Rausch befeuchtete mir die Schläfen.

»Jesus H. Roosevelt Christ«, murmelte ich und holte tief Luft, während sich mein Herzschlag langsam wieder normalisierte.

Zu den Folgen eines gestörten Schlafzyklus gehört es, dass man aufhört, zusammenhängend zu träumen. Während der langen Jahre der frühen Mutterschaft, dann als Assistenzärztin und schließlich der Bereitschaftsdienste hatte ich mich daran gewöhnt, auf der Stelle einzuschlafen und nur in Bruchstücken und Bildern zu träumen, die ruhelos durch das Dunkel flackerten, wann immer sich eine Synapse entlud und sich für den Arbeitstag erneuerte, der viel zu früh kommen würde.