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Falls Colum den Ausrutscher bemerkte, ließ er sich das nicht anmerken.

»Ich habe ihr damals geschrieben«, sagte er, und sein Blick fiel geistesabwesend auf einen der schräg geneigten Steine. »Als dein Bruder an den Pocken gestorben ist. Es war das erste Mal, seit sie Leoch verlassen hatte.«

»Du meinst, seit sie meinen Vater geheiratet hatte.«

Colum nickte langsam, ohne ihn anzusehen.

»Aye. Sie war älter als ich, ungefähr zwei Jahre, so ähnlich wie bei deiner Schwester und dir.« Seine tiefliegenden grauen Augen richteten sich auf Jamie.

»Ich bin deiner Schwester noch nie begegnet. Habt ihr euch nahgestanden, ihr beide?«

Jamie sagte nichts, nickte aber sacht, während er seinen Onkel aufmerksam betrachtete, als suchte er in dem erschöpften Gesicht nach der Lösung eines Rätsels.

Colum nickte ebenfalls. »Bei Ellen und mir war es genauso. Ich war immer schon kränklich, und sie hat mich oft gepflegt. Ich weiß noch, wie ihr die Sonne durch das Haar geschienen hat, wenn sie mir Geschichten erzählt hat, während ich im Bett lag. Auch später«, Colums feine Lippen hoben sich zu einem Lächeln, »als mir die Beine das erste Mal den Dienst versagt haben, ist sie überall in Leoch gewesen, und jeden Morgen und jeden Abend ist sie in mein Zimmer gekommen, um mir zu erzählen, wen sie gesehen hatte und was die Leute gesagt hatten. Wir haben uns unterhalten, über die Pächter und andere Gefolgsleute und wie man dies und jenes am besten arrangierte. Ich war damals schon verheiratet, aber Letitia hatte keinen Sinn für solche Dinge und noch weniger Interesse daran.« Er tat seine Frau mit einer Handbewegung ab.

»Wir haben uns unterhalten – manchmal gemeinsam mit Dougal, manchmal allein –, darüber, wie das Schicksal des Clans am besten zu lenken war, wie man den Frieden unter den Sippen wahrte, welche Allianzen man mit anderen Clans eingehen könnte, wie man das Land und den Forst am besten bewirtschaftete … Und dann ist sie gegangen«, sagte er abrupt und senkte den Blick auf seine breiten Hände, die er auf den Knien verschränkt hatte. »Ohne zu fragen, ohne ein Wort des Abschieds. Sie war fort. Und ich habe hin und wieder durch andere von ihr gehört, doch von ihr selbst … nichts.«

»Sie hat den Brief nicht beantwortet?«, fragte ich leise, denn ich wollte mich nicht einmischen. Er schüttelte den Kopf und hielt den Blick weiter gesenkt.

»Sie war krank; sie hatte ein Kind verloren und hatte selbst die Pocken. Vielleicht hatte sie vor, später zu schreiben; so etwas schiebt man ja leicht vor sich her.« Er lächelte kurz und ohne Humor, dann wurde sein Gesicht wieder ernst. »Doch zu Weihnachten im Jahr darauf war sie tot.«

Er sah Jamie direkt an, und dieser erwiderte den Blick genauso offen.

»Ich war ein wenig überrascht, als mir dein Vater dann geschrieben hat, dass er dich zu Dougal bringen würde und er wünschte, dass du zum Lernen auch nach Leoch kommen würdest.«

»So war es doch bei ihrer Hochzeit vereinbart worden«, antwortete Jamie. »Dass ich als Ziehsohn zu Dougal gehen würde und dann eine Weile zu dir kommen würde.« Das trockene Geäst einer Lärche klapperte im Wind, und er und Colum zogen als Reaktion auf die plötzliche Kühle die Schultern hoch. Die Ähnlichkeit der Geste verstärkte ihre Familienähnlichkeit noch.

Colum sah mich darüber lächeln, und als Antwort hob sich sein Mundwinkel.

»Oh, aye«, sagte er zu Jamie. »Aber eine Vereinbarung ist immer nur so viel wert wie die, die sie treffen, nicht mehr. Und ich kannte deinen Vater ja damals nicht.«

Er öffnete den Mund, um fortzufahren, schien es sich dann jedoch anders zu überlegen. Die Stille des Kirchhofs nahm den Platz wieder ein, den ihre Unterhaltung eingenommen hatte, und füllte die Lücke, als sei nie ein Wort gesprochen worden.

Es war Jamie, der das Schweigen schließlich brach.

»Was hast du denn von meinem Vater gehalten?«, fragte er, und in seinem Ton hörte ich diese Neugier eines Kindes, das seine Eltern früh verloren hat und nach Aufschluss über die Identität dieser Menschen sucht, die es nur aus der begrenzten Kinderperspektive kennt. Ich kannte diesen Impuls; das bisschen, was ich über meine eigenen Eltern wusste, stammte beinahe ausschließlich aus Onkel Lambs kurzen und wenig zufriedenstellenden Antworten auf meine Fragen – menschliche Charakteranalysen lagen ihm nicht.

Colum dagegen war in seinen Element.

»Was er für ein Mensch war, meinst du?« Er betrachtete seinen Neffen sorgfältig, dann stieß er einen kleinen belustigten Grunzlaut aus.

»Schau in den Spiegel, Junge«, sagte er, und ein etwas widerwilliges Lächeln verharrte in seinem Gesicht. »Es mag ja das Gesicht deiner Mutter sein, das du siehst, aber es ist dein Vater, der dir aus diesen verdammten Fraser-Katzenaugen entgegenblickt.« Er richtete sich auf und wechselte die Haltung, um sich auf der verwitterten Steinbank Erleichterung zu verschaffen. Seine Lippen waren fest aufeinandergepresst, eine Angewohnheit gegen etwaige Schmerzenslaute, und ich konnte sehen, woher die tiefen Falten zwischen Mund und Nase stammten.

»Aber um dir deine Frage zu beantworten«, fuhr er fort, als er wieder bequemer saß, »ich mochte den Mann nicht besonders – und er mich auch nicht –, aber ich habe ihn sofort als Ehrenmann erkannt.« Er hielt inne, dann sagte er ganz leise: »Ich weiß, dass auch du einer bist, Jamie MacKenzie Fraser.«

Jamie verzog keine Miene, doch seine Augenlider bebten sacht, etwas, das nur jemandem aufgefallen wäre, der ihn so gut kannte wie ich – oder der ein so guter Beobachter war wie Colum.

Colum atmete mit einem langen Seufzer aus.

»Also, Junge, das ist der Grund, warum ich mit dir reden wollte. Ich muss nämlich eine Entscheidung treffen, ob die MacKenzies von Leoch zu König James oder König Geordie halten sollen.« Er lächelte säuerlich. »Ich glaube ja, es ist eine Entscheidung zwischen dem Übel, das ich kenne, und dem Übel, das ich nicht kenne, doch es bleibt eine Wahl, die ich treffen muss.«

»Dougal …«, begann Jamie, doch Colum schnitt ihm mit einer abrupten Handbewegung das Wort ab.

»Aye, ich weiß, was Dougal denkt – er hat mir in den letzten beiden Jahren kaum Ruhe damit gelassen«, sagte er ungeduldig. »Aber ich bin der MacKenzie von Leoch, und es ist meine Entscheidung. Dougal wird tun, was ich sage. Ich wüsste gern, was du mir raten würdest – um des Clans willen, dessen Blut in deinen Adern fließt.«

Jamie blickte auf, die Augen dunkel und undurchdringlich, verschleiert gegen die Nachmittagssonne, die ihm ins Gesicht schien.

»Ich bin hier und meine Männer mit mir«, sagte er. »Meine Entscheidung ist doch offensichtlich?«

Wieder setzte sich Colum um, doch sein Kopf blieb seinem Neffen aufmerksam zugeneigt, als wollte er sich keine Nuance in Jamies Ton oder Miene entgehen lassen, die ihm womöglich etwas verraten konnte.

»Ist sie das?«, fragte er. »Männer versprechen anderen aus allen möglichen Gründen die Treue, Junge, und nur wenige davon haben etwas mit den Gründen zu tun, die sie laut aussprechen. Ich habe mich mit Lochiel unterhalten und mit Clanranald, mit Angus und Alex MacDonald von Scotus. Meinst du, sie sind nur hier, weil sie James Stuart für ihren rechtmäßigen König halten? Jetzt würde ich gern mit dir sprechen – und die Wahrheit hören, um der Ehre deines Vaters willen.«

Als er Jamie zögern sah, fuhr Colum fort, wobei er seinen Neffen weiter aufmerksam beobachtete.

»Ich bitte nicht für mich selbst; wenn du Augen im Kopf hast, kannst du sehen, dass mich diese Angelegenheit nicht mehr lange bekümmern wird. Aber für Hamish – vergiss nicht, dass der Junge dein Vetter ist. Wenn es noch einen Clan geben soll, den er anführen kann, wenn er volljährig wird – dann muss ich jetzt das Richtige tun.«

Er verstummte und saß reglos da. Die übliche Vorsicht war aus seinem jetzt entspannten Gesicht gewichen, der Blick seiner grauen Augen war offen und aufmerksam.

Jamie saß genauso reglos da wie Colum, erstarrt wie der Marmorengel auf dem Grabmonument hinter ihm. Ich kannte das Dilemma, das ihn beschäftigte, obwohl seinem strengen, klar gemeißelten Gesicht nichts davon anzusehen war. Es war das Dilemma, dem auch wir uns gegenübergesehen hatten, als wir vor der Entscheidung standen, mit den Männern aus Lallybroch in den Kampf zu ziehen. Charles’ Aufstand schwebte auf Messers Schneide; es war gut möglich, dass die Unterstützung eines großen Clans wie der MacKenzies von Leoch auch andere ermutigte, sich dem rebellischen jungen Thronprätendenten anzuschließen und ihm zum Erfolg zu verhelfen. Doch wenn er dennoch scheiterte, konnte dies sehr wohl das Ende der MacKenzies von Leoch bedeuten.