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War das der Preis, den ich dafür bezahlen musste, dass Frank verloren war? Tausend Leben, die vielleicht gerettet wurden, zum Ausgleich für diesen einen Verlust?

Die dunkle Masse des Altars ragte zu meiner Rechten auf, und ich wünschte mir aus tiefstem Herzen eine Präsenz, ganz gleich, welcher Art; etwas, wohin ich mich auf meiner Suche nach Antwort wenden konnte. Doch es war niemand hier in Holyrood; niemand außer mir. Die Geister der Toten hielten sich zurück und verharrten stumm in den Steinen an den Wänden, auf dem Boden.

Ich versuchte, Jack Randall aus meinen Gedanken zu verbannen. Wäre es nicht er gewesen, wäre es irgendein anderer, der mich fragte, würde ich gehen? Abgesehen von allem anderen musste ich auch an Alex Randall denken. »Wäre das so, würdet Ihr schließlich wohl auch um seiner selbst willen zu meinem Bruder gehen«, hatte der Hauptmann gesagt. Und natürlich würde ich das tun. Was auch immer ich ihm an Hilfe zu bieten hatte, konnte ich es ihm des Mannes wegen versagen, der darum bat?

Es dauerte lange, bis ich mich aufrichtete, mich erschöpft hochschob, meine Hände feucht und verschwitzt auf der Rundung des Totenschädels. Ich fühlte mich ausgelaugt und schwach; mein Hals schmerzte, und mein Kopf war schwer, als hätte die Krankheit der Stadt ihre Hand am Ende doch auf mich gelegt.

Er war noch da, geduldig in der kalten Dunkelheit.

»Ja«, sagte ich abrupt, sobald ich in Sprechweite kam. »Also schön. Ich komme morgen Vormittag. Wohin?«

»Ladywalk Wynd«, sagte er. »Ihr wisst, wo das ist?«

»Ja.« Edinburgh war eine kleine Stadt – nicht mehr als die Royal Mile und die winzigen, finsteren Gässchen, die davon abzweigten. Ladywalk Wynd war eine der ärmeren Gassen.

»Ich komme dort zu Euch«, sagte er. »Ich werde die Information für Euch haben.« Er stieß sich von der Wand ab und blieb stehen, während er wartete, dass ich mich in Bewegung setzte. Ich sah, dass er auf dem Weg zur Tür nicht zu dicht an mir vorübergehen wollte.

»Habt Ihr etwa Angst vor mir?«, fragte ich mit einem humorlosen Lachen. »Glaubt Ihr, Ich verwandele Euch in einen Pilz?«

»Nein«, sagte er und betrachtete mich in aller Ruhe. »Ich fürchte Euch nicht, Madam. Ihr könnt schließlich nicht beides haben. Ihr wolltet mich in Wentworth erschrecken, indem Ihr mir meinen Todestag nanntet. Also könnt Ihr mir jetzt nicht drohen, denn wenn ich nächstes Jahr im April sterben soll, könnt Ihr mir jetzt nichts anhaben, nicht wahr?«

Hätte ich ein Messer dabeigehabt, wäre ich einem Impuls gefolgt und hätte ihn in einem zutiefst befriedigenden Moment eines Besseren belehrt. Doch der Fluch der Prophezeiung lag auf mir und mit ihm das Gewicht von tausend schottischen Menschenleben. Er war vor mir sicher.

»Ich bleibe nur deshalb auf Distanz, Madam«, sagte er, »weil ich die Berührung mit Euch lieber vermeiden möchte.«

Ich lachte erneut, diesmal von Herzen.

»Und das, Hauptmann«, sagte ich, »ist ein Impuls, den ich voll und ganz nachvollziehen kann.« Ich wandte mich ab und verließ die Kirche. Sollte er doch folgen, wie er wollte.

Ich brauchte weder ihn noch mich zu fragen, ob er sein Wort halten würde. Er hatte mich einst aus Wentworth freigelassen, weil er sein Wort gegeben hatte, dass er das tun würde. Wenn er sein Wort gab, so band es ihn. Jack Randall war ein Ehrenmann.

Was hast du empfunden, als ich Jack Randall meinen Körper gegeben habe?, hatte mich Jamie gefragt.

Rage, hatte ich gesagt. Übelkeit. Grauen.

Ich lehnte mich an die Zimmertür und empfand das alles von neuem. Das Feuer war erloschen, und im Zimmer war es kalt. Der Geruch von Gänseschmalz und Kampfer kribbelte mir in der Nase. Alles war still bis auf den rasselnden Atem aus dem Bett und die schwachen Geräusche des Windes, der um die dicken Wände strich.

Ich kniete mich vor den Kamin und fing an, ein neues Feuer zu machen. Es war vollständig ausgegangen, und ich schob das halb verbrannte Holzscheit fort und fegte die Asche beiseite, ehe ich das Zündholz in der Mitte der Kaminplatte aufhäufte. Wir hatten Holzfeuer in Holyrood, keinen Torf. Pech, dachte ich; ein Torffeuer wäre nicht so leicht erloschen.

Meine Hände zitterten ein wenig, und ich ließ die Zunderbüchse zweimal fallen, ehe ich einen Funken zustande bekam. Die Kälte, sagte ich mir. Es war sehr kalt hier.

Hat er Euch je von den Dingen erzählt, die zwischen uns geschehen sind, ihm und mir?, sagte Jack Randalls spottende Stimme.

»Alles, was ich wissen muss«, murmelte ich vor mich hin, während ich einen Papierdocht an das Flämmchen hielt und den Zunder an mehreren Stellen in Brand steckte. Dann legte ich kleine Stöckchen darauf, eins nach dem anderen, steckte sie in die Flamme und hielt sie fest, bis sie Feuer fingen. Als der Haufen munter brannte, streckte ich den Arm nach dem Ende des großen Scheits aus und hob es vorsichtig in das Herz des Feuers. Es war Kiefernholz, grün und mit etwas Harz, das als kleine goldene Perle aus einem Spalt im Holz hochkochte.

Wenn es mit der Zeit kristallisierte und erstarrte, würde ein Bernsteintropfen daraus werden, fest und haltbar wie ein Edelstein. Jetzt glühte das Bläschen kurz in der plötzlichen Hitze auf, dann platzte es und explodierte in einem kleinen Funkenregen, der im nächsten Moment verschwunden war.

»Alles, was ich wissen muss«, flüsterte ich. Fergus’ Strohlager war leer; er war frierend erwacht und auf der Suche nach einer warmen Zuflucht davongekrochen.

Er lag zusammengerollt bei Jamie im Bett; der dunkle und der rote Kopf lagen nebeneinander auf dem Kissen, und ihre Münder standen offen, während sie friedlich vor sich hinschnarchten. Bei ihrem Anblick musste ich zwar lächeln, doch ich hatte nicht vor, auf dem Boden zu schlafen.

»Ab mit dir«, murmelte ich Fergus zu und rollte ihn über die Bettkante in meine Arme. Er war zwar feinknochig und dünn für einen Zehnjährigen, doch er war immer noch furchtbar schwer. Ich bugsierte ihn ohne Zwischenfälle zu seinem Strohlager und ließ ihn darauf sinken, ohne dass er erwachte, dann kehrte ich zu Jamie zurück.

Ich entkleidete mich langsam, stand am Bett und blickte auf ihn hinunter. Er hatte sich auf die Seite gedreht und sich zum Schutz vor der Kälte zusammengerollt. Seine langen, gebogenen Wimpern lagen auf seiner Wange; sie waren tief kastanienrot, an den Spitzen fast schwarz, doch hellblond an den Wurzeln. Sie verliehen ihm etwas seltsam Unschuldiges, trotz der langen, geraden Nase und der entschlossenen Linien von Mund und Kinn.

Ich ließ mich im Hemd hinter ihm ins Bett gleiten und schmiegte mich an den breiten, warmen Rücken in seinem Wollnachthemd. Er regte sich sacht und hustete, und ich legte ihm die Hand auf die Hüfte, um ihn zu beruhigen. Er rollte sich noch weiter zusammen und schmiegte sich seinerseits mit einem kleinen Laut der Begrüßung rücklings an mich. Ich legte ihm den Arm um die Taille, und meine Hand streifte die weiche Masse seiner Hoden. Ich wusste, dass ich ihn erregen konnte, egal, wie schläfrig er war; es war nicht viel nötig, um ihn zum Stehen zu bringen, nicht mehr als ein paar feste Fingerstriche.

Doch ich wollte ihn nicht in seiner Ruhe stören und begnügte mich damit, ihm sacht den Bauch zu tätscheln. Seine große Hand griff nach hinten und liebkoste unbeholfen meinen Oberschenkel.

»Ich liebe dich«, murmelte er im Halbschlaf.

»Ich weiß«, sagte ich. Ich hielt ihn im Arm und schlief auf der Stelle ein.

Kapitel 39

Familienbande

Es war zwar eigentlich kein Armenviertel, aber viel fehlte nicht dazu. Ich trat vorsichtig um eine große Pfütze aus Unrat herum, die entstanden war, weil die Leute den Inhalt ihrer Nachttöpfe aus den Fenstern gekippt hatten, und die darauf wartete, dass der nächste ordentliche Regen sie fortspülte.