»Ich weiß es nicht. Es regt sich keinerlei Widerstand; die Engländer haben Todesangst. Du hast die Flugblätter ja gesehen.« Er lächelte humorlos. »Wir braten kleine Kinder am Spieß und entehren die Frauen und Töchter ehrenhafter Männer.« Er prustete angewidert. Zwar waren Diebstahl und Ungehorsam in der Highlandarmee an der Tagesordnung, doch Vergewaltigungen kamen so gut wie gar nicht vor.
Er seufzte, ein kurzer, wütender Laut. »Cameron hat ein Gerücht gehört, dass König Geordie sich zur Flucht aus London bereitmacht, aus Angst, dass die Armee des Prinzen die Stadt bald einnehmen wird.« Ja, das hatte Cameron – ein Gerücht, das er durch mich gehört hatte, von Jack Randall. »Und dann sind da Kilmarnock und Cameron, Lochiel und Balmerino und Dougal mit seinen MacKenzies. Alles großartige Kämpfer. Und sollte Lovat die versprochenen Männer schicken … Gott, vielleicht würde es ja reichen. Himmel, wenn wir in London einmarschieren würden …« Er zog die Schultern hoch, dann reckte er sich plötzlich achselzuckend, als wollte er sich aus einem Hemd winden, das ihm die Luft abschnürte.
»Aber ich kann es nicht riskieren«, sagte er schlicht. »Ich kann nicht nach Beauly gehen und meine Männer hierlassen, damit sie wer weiß wohin geführt werden. Wäre ich hier, um sie zu befehligen, wäre es etwas anderes. Aber der Teufel soll mich holen, wenn ich sie hierlasse, damit Charles oder Dougal sie den Engländern vorwerfen, während ich zweihundert Meilen weit fort in Beauly bin.«
Und so wurde es abgemacht. Die Männer aus Lallybroch – und Fergus, der zwar heftig protestiert hatte, aber überstimmt worden war – würden desertieren und unauffällig den Heimweg antreten. Sobald unser Anliegen in Beauly erledigt war und wir zu Charles zurückgekehrt waren … nun, dann hatten wir noch Zeit genug zu sehen, wie sich die Lage entwickelte.
»Das ist der Grund, warum ich möchte, dass Murtagh uns begleitet«, hatte Jamie erklärt. »Wenn alles gut aussieht, schicke ich ihn nach Lallybroch, um sie zurückzuholen.« Ein flüchtiges Lächeln erhellte sein ernstes Gesicht. »Er ist zwar im Sattel keine Augenweide, aber unser Murtagh ist ein fantastischer Reiter. Schnell wie der Blitz.«
Danach sah er im Moment tatsächlich nicht aus, dachte ich, aber es lag ja auch kein Notfall vor. Stattdessen bewegte er sich sogar noch langsamer als sonst; als wir eine Hügelkuppe erklommen, konnte ich sehen, wie er sein Pferd unten zum Stehen brachte. Bis wir ihn erreicht hatten, war er abgestiegen und betrachtete den Sattel des Packpferdes mit finsterer Miene.
»Was ist passiert?« Jamie machte Anstalten, ebenfalls abzusteigen, doch Murtagh winkte gereizt ab.
»Nein, nein, nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest. Ein Verschluss hat sich gelöst, das ist alles. Ab mit euch.«
Jamie nickte nur, und ich folgte ihm.
»Heute ist er aber nicht besonders gut gelaunt, oder?«, stellte ich mit einer Handbewegung in Murtaghs Richtung fest. Der schmächtige Schotte war mit jedem Schritt, der ihn weiter nach Beauly führte, gereizter und aggressiver geworden. »Ich habe den Eindruck, dass er nicht begeistert über den Besuch bei Lord Lovat ist.«
Lächelnd sah sich Jamie nach der kleinen, dunkelhaarigen Gestalt um, die sich konzentriert über ein Stück Seil gebeugt hatte, um es aufzuspleißen.
»Nein, Murtagh ist kein Freund des Alten Simon. Er hat meinen Vater innig geliebt«, sein Mundwinkel verzog sich, »und meine Mutter auch. Wie Lovat sie behandelt hat, hat ihm gar nicht gefallen. Wie sich Lovat seine Ehefrauen verschafft hat, genauso wenig. Murtagh hat eine irische Großmutter, aber über seine Mutter ist er mit Primrose Campbell verwandt«, sagte er, als wäre damit alles erklärt.
»Wer ist denn Primrose Campbell?«, fragte ich verwirrt.
»Oh.« Jamie kratzte sich an der Nase und überlegte. Der Wind vom Meer wurde ständig stärker und riss ihm das Haar aus seinem Riemchen, so dass ihm die roten Strähnen über das Gesicht huschten.
»Primrose Campbell war Lovats dritte Ehefrau – vermutlich ist sie es noch«, fügte er hinzu, »obwohl sie ihn vor ein paar Jahren verlassen hat und wieder in ihrem Elternhaus lebt.«
»Ein richtiger Frauenheld, wie?«, murmelte ich.
Jamie prustete. »So könnte man es wohl nennen. Seine erste Frau hat er zur Heirat gezwungen. Hat sie mitten in der Nacht aus dem Bett gezerrt, sie an Ort und Stelle geheiratet und ist geradewegs wieder mit ihr ins Bett gestiegen. Allerdings«, fügte er fairerweise hinzu, »hat sie später beschlossen, dass sie ihn liebte, also war es ja vielleicht nicht so schlimm.«
»Zumindest muss er etwas Besonderes im Bett gewesen sein«, sagte ich spöttisch. »Anscheinend hat er das vererbt.«
Er warf mir einen etwas schockierten Blick zu, der sich in ein verlegenes Grinsen auflöste.
»Aye, nun ja«, sagte er. »Viel geholfen hat es ihm jedenfalls nicht. Ihre Zofen haben gegen ihn ausgesagt, und Simon wurde für vogelfrei erklärt und musste nach Frankreich fliehen.«
Erzwungene Hochzeiten und Fluchten in die Verbannung, hm? Ich verkniff mir weitere Bemerkungen über Dinge, die in der Familie zu liegen schienen, hoffte aber insgeheim, dass Jamie in Bezug auf sein Eheleben nicht in die Fußstapfen seines Großvaters treten würde. Eine einzige Frau hatte Simon offenbar nicht gereicht.
»Er ist zu König James nach Rom gereist und hat den Stuarts die Treue geschworen«, fuhr Jamie fort, »und hat dann auf dem Absatz kehrtgemacht und sich geradewegs zu William von Oranien begeben, der zu der Zeit in Frankreich zu Besuch war. Er hat James dazu gebracht, ihm seinen Titel und seine Ländereien zu versprechen, sollte er den Thron erneut besteigen, und dann – weiß Gott, wie – eine volle Begnadigung von William erwirkt, so dass er nach Schottland heimkehren konnte.«
Jetzt war es an mir, die Augenbrauen hochzuziehen. Anscheinend lagen tatsächlich noch mehr Dinge in der Familie, nicht nur die anziehende Wirkung auf das andere Geschlecht.
Simon hatte seine Abenteuer fortgesetzt, indem er später erneut nach Frankreich reiste, diesmal, um die Jakobiten auszuspionieren. Man hatte ihn zwar erwischt und ins Gefängnis geworfen, doch er entkam, kehrte nach Schottland zurück, plante 1715 die Zusammenkunft der – als Jagdgesellschaft getarnten – Clans in Braemar … und brachte es dann fertig, die Anerkennung der englischen Krone für die Niederschlagung des darauffolgenden Aufstands einzuheimsen.
»Ein regelrechter alter Wendehals, wie?«, sagte ich fasziniert. »Obwohl er damals ja noch nicht alt gewesen sein kann, etwas über vierzig.« Als ich erfahren hatte, dass Lord Lovat inzwischen Ende siebzig war, hatte ich mich auf einen Tattergreis gefasst gemacht, doch angesichts dieser Geschichten revidierte ich meine Erwartungen jetzt rapide.
»Mein Großvater«, stellte Jamie gelassen fest, »hat allen Berichten zufolge einen Charakter, der es ihm ermöglichen würde, sich bequem hinter einer Wendeltreppe zu verstecken. Jedenfalls«, fuhr er fort und tat den Charakter seines Großvaters mit einer Handbewegung ab, »hat er als Nächstes Margaret Grant geheiratet, die Tochter des Grant von Grant. Nach ihrem Tod folgte schließlich die Ehe mit Primrose Campbell. Sie war damals vielleicht achtzehn.«
»War Simon denn eine so gute Partie, dass ihre Familie sie zu der Heirat gezwungen hat?«, fragte ich mitfühlend.
»Ganz und gar nicht, Sassenach.« Er hielt inne, um sich das Haar aus dem Gesicht zu streichen und sich die losen Strähnen hinter die Ohren zu schieben. »Er hat genau gewusst, dass sie ihn nicht nehmen würde, selbst wenn er reich wie Krösus gewesen wäre – was er aber nicht war. Also hat er ihr einen Brief geschickt, ihr geschrieben, ihre Mutter wäre in Edinburgh krank geworden, und ihr die Adresse genannt, die sie aufsuchen sollte.«