Jamie verzog keine Miene, doch ich musste den Blick von seinem Großvater abwenden. Stattdessen richtete ich ihn auf seine abgelegten Zähne, deren fleckiges Buchenholz feucht zwischen den Kuchenkrümeln glänzte. Zum Glück hatte Lord Lovat meine kleine Bewegung nicht bemerkt.
Er fuhr fort, jetzt wieder ernst. »Nun denn, Dougal MacKenfie auf Leoch hat wich hinter Charles geftellt. Ift er dein Anführer? Ift es daff, waff du mir wagen willft – daff du ihm deinen Eid geleiftet hast?«
»Nein. Ich habe niemandem einen Treueeid geleistet.«
»Nicht einmal Charlsch?« Der Alte begriff schnell und stürzte sich auf diesen Punkt wie eine Katze auf eine Maus. Ich konnte beinahe sehen, wie sein Schwanz zuckte, während er Jamie beobachtete, und seine Schlitzaugen glänzten unter den faltigen Lidern.
Jamies Blick war auf die tanzenden Flammen geheftet, sein Schatten reglos hinter ihm an der Wand.
»Er hat mich nicht darum gebeten.« Das war die Wahrheit; Charles hatte Jamie gar nicht um einen Eid bitten müssen – er war dieser Notwendigkeit einfach zuvorgekommen, indem er Jamies Namen selbst auf die Liste seiner Gefolgsleute setzte. Dennoch wusste ich, dass es Jamie wichtig war, dass er Charles nicht sein Wort gegeben hatte. Wenn er den Mann verraten musste, so wenigstens nicht als jemanden, den er als seinen Anführer anerkannt hatte. Die Tatsache, dass die ganze Welt davon ausging, dass ein solcher Eid existierte, war von weitaus geringerer Bedeutung.
Wieder grunzte Simon. Ohne die falschen Zähne stießen seine Nase und sein Kinn beinahe aneinander, so dass die Unterhälfte seines Gesichts seltsam verkürzt wirkte.
»Dann hindert dich also nichtf daran, mir alf dem Oberhaupt deinef Clanf die Treue zu ffwören«, sagte er leise. Der zuckende Schwanz war nicht mehr ganz so deutlich zu sehen, doch er war noch da. Ich konnte beinahe hören, wie die Gedanken in seinem Kopf auf Samtpfoten umherglitten. Wenn Jamie ihm die Treue schwor, nicht Charles, würde Lovat an Einfluss gewinnen – ebenso wie an Reichtum, denn als Jamies Häuptling konnte er einen Anteil an den Einnahmen Lallybrochs einfordern. Selbst die Möglichkeit eines Herzogtums rückte näher und schimmerte verheißungsvoll im Nebel.
»Nichts außer meinem eigenen Willen«, stimmte ihm Jamie freundlich zu. »Aber das ist nur ein kleines Hindernis, nicht wahr?« Seine Augenwinkel kräuselten sich, als er die Augen noch weiter zusammenkniff.
»Mmpfm.« Lovats Augen waren fast geschlossen, und er schüttelte den Kopf langsam hin und her. »Oh, aye, Junge, du bift deinef Vaters Wohn. Ftur wie Holpf und tfweimal wo dumm. Ich hätte wiffen müffen, daff Brian mit dieser Hure nichtf als Dummköpfe tfeugen würde.«
Jamie streckte die Hand aus und nahm die Buchenholzzähne vom Teller. »Steck sie dir besser wieder in den Mund, du alter Dickschädel«, sagte er rüde. »Ich verstehe ja kein Wort von dem, was du sagst.«
Sein Großvater verzog den Mund zu einem humorlosen Lächeln, das den gelben Stumpf eines einsamen, abgebrochenen Zahns in seinem Unterkiefer zeigte.
»Nein?«, sagte er. »Verftehft du vielleicht einen Handel? Dein Eid gegen die Ehre deiner Frau, wie klingt daf?«
Jamie, der das Gebiss noch in der Hand hatte, lachte laut auf.
»Oh, aye? Hast du etwa vor, sie vor meinen Augen mit Gewalt zu nehmen, Großvater?« Er lehnte sich verächtlich zurück, eine Hand auf dem Tisch. »Nur zu, und wenn sie mit dir fertig ist, schicke ich Tante Frances nach oben, damit sie die Scherben zusammenfegt.«
Sein Großvater betrachtete ihn ruhig. »Ich doch nicht, Junge.« Eine Seite seines zahnlosen Mundes verzog sich zu einem schiefen Lächeln, und er wandte den Kopf in meine Richtung. »Obwohl ich ef ffon mit Fflimmeren getrieben habe.« Beim Anblick der kalten Bosheit in seinen Augen hätte ich mir am liebsten den Umhang schützend vor die Brüste gezogen, doch unglücklicherweise trug ich keinen.
»Wie viele Männer wind hier in Beaufort, Jamie? Wie viele, die deine Waffenach gern für den einfigen Tweck benutfen würden, für den wie gut ift? Du kannft nicht Tag und Nacht auf wie aufpaffen.«
Jamie richtete sich langsam auf, und der große Schatten an der Wand spiegelte seine Bewegungen. Er starrte ausdruckslos auf seinen Großvater hinunter.
»Oh, ich glaube, da brauche ich mir keine Sorgen zu machen, Großvater«, sagte er leise. »Denn meine Frau ist keine gewöhnliche Frau. Sie ist eine weise Frau. Eine Weiße Dame, wie die Dame Aliset.«
Ich hatte zwar noch nie von der Dame Aliset gehört, Lord Lovat jedoch offensichtlich schon; sein Kopf fuhr herum, und er starrte mich mit großen, erschrockenen Augen an. Sein Mund hing offen, doch ehe er etwas sagen konnte, fuhr Jamie schon fort, und auch seinen glatten Worten war die Bosheit jetzt deutlich anzuhören.
»Dem Mann, der sie in unheiliger Umarmung nimmt, dem wird es das Gemächt verschrumpeln wie einen erfrorenen Apfel«, sagte er genüsslich, »und seine Seele wird für immer in der Hölle schmoren.« Er sah seinen Großvater mit entblößten Zähnen an und holte mit der Hand aus. »Nämlich so.« Mit einem Plop landete das Buchenholzgebiss mitten im Feuer und begann auf der Stelle zu brutzeln.
Kapitel 41
Der Fluch der Seherin
Die meisten Lowland-Schotten waren im Lauf der letzten beiden Jahrhunderte zum Presbyterianismus übergegangen. Einige der Highlandclans waren ihnen gefolgt, doch andere wie die Frasers und die MacKenzies waren ihrem katholischen Glauben treu geblieben. Vor allem die Frasers mit ihren engen Verbindungen zum katholischen Frankreich.
In der Burg Beaufort gab es eine kleine Kapelle, die den religiösen Bedürfnissen des Grafen und seiner Familie diente, doch das Kloster Beauly war und blieb die Begräbnisstätte der Lovats, auch wenn es nur noch eine Ruine war. Der Boden unter dem offenen Dach des Altarraums war dicht mit den flachen Grabsteinen derer gepflastert, die darunterlagen.
Es war ein friedvoller Ort, und trotz des kalten, wechselhaften Wetters spazierte ich hin und wieder dorthin. Ich hatte keine Ahnung, ob der Alte Simon seine Drohung mir gegenüber ernst gemeint hatte oder ob Jamies Vergleich mit der Dame Aliset – die sich als legendäre »Weiße Frau« oder Heilerin entpuppte, das schottische Gegenstück zu La Dame Blanche – ausreichte, um dieser Drohung Einhalt zu gebieten. Doch ich ging davon aus, dass mich zwischen den Gräbern der verstorbenen Frasers wohl niemand behelligen würde.
Einige Tage nach der Szene im Studierzimmer zwängte ich mich durch eine Lücke in der verfallenen Klostermauer und stellte fest, dass ich die Kirche heute nicht für mich allein hatte. Die hochgewachsene Frau, die ich im Flur vor Lovats Bibliothek gesehen hatte, lehnte dort an einem der Sandsteingräber, die Arme vor der Brust verschränkt, um sich zu wärmen, die langen Beine von sich gestreckt wie ein Storch.
»Ihr seid Mylady Broch Tuarach?«, sagte sie, wobei nicht mehr als der Hauch einer Frage in ihrer leisen Highlandstimme lag.
»Das bin ich. Und Ihr seid … Maisri?«
Ein kleines Lächeln erhellte ihre Miene. Sie hatte ein außerordentlich faszinierendes Gesicht, schwach asymmetrisch wie ein Gemälde von Modigliani, und langes schwarzes Haar, das ihr lose um die Schultern fiel und mit weißen Strähnen durchzogen war, obwohl sie offensichtlich noch jung war. Eine Seherin, hm? Auf jeden Fall sah sie so aus, dachte ich.
»Aye, ich habe das Zweite Gesicht«, sagte sie, und das Lächeln auf ihrem schiefen Mund verbreiterte sich ein wenig.
»Und Gedanken lesen könnt Ihr auch, wie?«, fragte ich.
Sie lachte, und der Laut verschwand im Wind, der zwischen den Ruinen stöhnte.
»Nein, Lady. Aber ich lese Gesichter, und …«
»Und das meine ist ein offenes Buch. Ich weiß«, sagte ich resigniert.