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Sie sah mich angestrengt an, von oben bis unten, von rechts nach links. Schließlich lächelte sie schwach und nickte.

»Alles, was ich sehe, seid Ihr, Lady«, sagte sie leise. »Da seid nur Ihr allein.«

Sie machte kehrt und verschwand auf dem Weg zwischen den Bäumen. Ich blieb im Schneegestöber zurück.

Verdammen oder retten. Das kann ich nicht. Denn ich besitze keine Macht außer meinem Wissen, keine Fähigkeit, mir andere gefügig zu machen, keine Möglichkeit, sie an dem zu hindern, was sie tun werden. Da bin nur ich allein.

Ich schüttelte mir den Schnee aus meinem Umhang und wandte mich ab, um Maisri auf dem Weg zu folgen. Ich teilte ihr bitteres Wissen, dass nur ich allein da war. Und ich war nicht genug.

Auch während der folgenden Zeit blieb Simon zwar ganz der Alte, doch ich ging davon aus, dass Maisri ihre Absicht wahr gemacht und ihm von ihren Visionen erzählt hatte. Eigentlich hatten wir den Eindruck gehabt, dass er kurz davorstand, seine Gefolgsleute und Pachtbauern zu mobilisieren, aber plötzlich wurde er ausweichend und sagte, dass ja schließlich keine Eile herrschte. Dieses Hin und Her brachte Simon junior in Rage, der es nicht erwarten konnte, in den Krieg zu ziehen und sich mit Ruhm zu bedecken.

»Es ist nicht dringend«, sagte der Alte zum dutzendsten Mal. Er ergriff einen Haferkeks, roch daran und legte ihn wieder hin. »Vielleicht ist es doch besser, die Frühjahrsaussaat abzuwarten.«

»Bis zum Frühling könnten sie längst in London sein!« Simon junior sah seinen Vater über den Tisch hinweg finster an und griff nach der Butter. »Wenn du nicht selber gehen willst, lass mich doch mit den Männern zu Seiner Hoheit gehen!«

Lord Lovat grunzte. »Du bist ungeduldig wie der Teufel«, sagte er, »hast aber nicht halb so viel Urteilsvermögen. Wirst du denn niemals lernen zu warten?«

»Die Zeit zu warten ist vorbei!«, entfuhr es Simon. »Die Camerons, die MacDonalds, die MacGillivrays – alle von Anfang an dabei. Sollen wir als Letzte kommen, um uns wie Bettler behandeln zu lassen und uns hinter Clanranald und Glengarry einordnen zu müssen? So wird aus deinem Herzogstitel nie etwas!«

Lovat hatte einen breiten, ausdrucksvollen Mund; selbst im Alter zeugte er noch von Humor und Sinnlichkeit. Nichts davon war im Moment zu sehen. Er presste die Lippen fest zusammen und betrachtete seinen Erben mit sichtlichem Mangel an Begeisterung.

»Wer hastig heiratet, hat viel Zeit zu bereuen«, sagte er. »Das gilt erst recht, wenn man einen Anführer wählt. Einer Frau kann man sich entledigen.«

Junior prustete und sah Jamie hilfesuchend an. Seine ursprüngliche argwöhnische Feindseligkeit war im Lauf der vergangenen Wochen widerstrebendem Respekt vor der offensichtlichen Erfahrung gewichen, die sein unehelicher Verwandter in der Kunst der Kriegsführung besaß.

»Jamie sagt …«, begann er.

»Ich weiß zur Genüge, was er sagt«, unterbrach der Alte Simon. »Er hat es ja oft genug gesagt. Ich werde meine Entscheidung treffen, wenn die Zeit gekommen ist. Aber vergiss nicht, Junge – wenn es darum geht, im Krieg eine Seite zu wählen, kann man mit Abwarten nicht viel verlieren.«

»Abwarten, wer gewinnt«, murmelte Jamie und wischte gewissenhaft mit einem Stück Brot über seinen Teller. Der Alte blickte scharf auf, beschloss aber anscheinend, diesen Wortbeitrag zu ignorieren.

»Du hast den Stuarts dein Wort gegeben«, fuhr sein Sohn hartnäckig fort, ohne den Missmut seines Vaters zu beachten. »Du hast doch wohl nicht vor, es zu brechen? Was werden die Leute über deine Ehre sagen?«

»Dasselbe, was sie ’fünfzehn auch schon gesagt haben«, erwiderte sein Vater ungerührt. »Die meisten, die damals den Mund aufgemacht haben, sind entweder tot oder bankrott, oder sie leben mittellos in Frankreich. Doch ich bin noch hier.«

»Aber …« Simon junior war rot im Gesicht, das übliche Resultat dieser Art von Unterhaltung mit seinem Vater.

»Das reicht«, unterbrach ihn der alte Graf abrupt. Er funkelte seinen Sohn kopfschüttelnd an und presste die Lippen missbilligend zusammen. »Himmel. Manchmal könnte ich wünschen, Brian wäre nicht gestorben. Er mag ja auch ein Narr gewesen sein, aber er wusste wenigstens, wann es genug der Worte war.«

Sowohl Simon junior als auch Jamie wurden rot vor Wut, doch nachdem sie einander argwöhnisch angesehen hatten, widmeten sie sich wieder ihrem Essen.

»Und was gafft Ihr hier an?«, knurrte Lord Lovat, der meinen Blick auf sich erhaschte, als er sich von seinem Sohn abwandte.

»Euch«, erwiderte ich unverblümt. »Ihr seht alles andere als gut aus.« Das stimmte, nicht einmal für einen Mann Ende siebzig. Er war von durchschnittlicher Größe, und er war zwar durch das Alter zusammengesackt und in die Breite gegangen, wirkte jedoch normalerweise dennoch robust, so als seien die Tonnenbrust und der runde Bauch unter seinem Hemd fest und gesund. Doch in letzter Zeit sah er wabbelig aus, als sei er in der eigenen Haut geschrumpft. Seine faltigen Tränensäcke waren dunkel, und sein Teint war kränklich und blass.

»Mmpfm«, grunzte er. »Warum auch nicht? Ich finde keine Ruhe, wenn ich schlafe, und ich fühle mich unwohl, wenn ich wach bin. Kein Wunder, wenn ich nicht aussehe wie ein Bräutigam.«

»Oh, aber das tust du doch, Vater«, gab sein Sohn boshaft zurück. Er ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, es dem Alten heimzuzahlen. »Am Ende seiner Flitterwochen, wenn er keinen Saft mehr hat.«

»Simon!«, sagte Lady Frances. Dennoch breitete sich leises Gelächter am Tisch aus, und selbst Lord Lovats Mund zuckte sacht.

»Aye?«, sagte er. »Nun, mir wäre lieber, das wäre der Grund für meine Beschwerden, das sage ich dir, Junge.« Unbehaglich rutschte er auf seinem Stuhl hin und her und schob den Servierteller mit gekochten Rübchen beiseite, der ihm angeboten wurde. Er griff nach seinem Weinglas und hob es an seine Nase, um daran zu riechen, dann stellte er es deprimiert wieder hin.

»Es zeugt von schlechten Manieren, andere anzustarren«, sagte er kalt zu mir. »Oder vielleicht haben die Engländer andere Vorstellungen von Höflichkeit?«

Ein Hauch von Röte stieg mir ins Gesicht, doch ich wandte meinen Blick nicht ab. »Ich habe mich nur gefragt – Ihr habt keinen Appetit, und Ihr trinkt nichts. Was für Symptome habt Ihr sonst noch?«

»Jetzt wollt Ihr wohl beweisen, was Ihr wert seid, wie?« Lovat lehnte sich zurück und faltete die Hände über seinem ausladenden Bauch wie ein bejahrter Frosch. »Eine Heilerin, sagt mein Enkel. Eine Weiße Dame, aye?« Er warf Jamie einen Basiliskenblick zu, doch dieser aß einfach weiter, ohne seinen Großvater zu beachten. Lovat grunzte und neigte den Kopf ironisch in meine Richtung.

»Nun, ich trinke nichts, Teuerste, weil ich nicht pissen kann und ich nicht den Wunsch habe, wie eine Schweineblase zu explodieren. Und ich finde keine Ruhe, weil ich jede Nacht ein Dutzend Mal aufstehe, um meinen Topf zu benutzen, aber es landet verdammt wenig darin. Also, was sagt Ihr dazu, Dame Aliset?«

»Wirklich, Vater«, murmelte Lady Frances, »ich finde, du solltest nicht …«

»Könnte eine Blasenentzündung sein, aber eigentlich klingt es eher nach Prostatitis«, erwiderte ich. Ich griff nach meinem Weinglas und nahm einen Schluck, den ich genüsslich auskostete, ehe ich ihn mir durch die Kehle gleiten ließ. Als ich das Glas dann wieder hinstellte, lächelte ich Seine Lordschaft sittsam über den Rand hinweg an.

»Ach ja?«, sagte er mit hochgezogenen Augenbrauen. »Und was bitte ist das?«

Ich schob die Ärmel hoch und hob die Hände. Dabei bewegte ich die Finger wie ein Zauberkünstler bei der Vorbereitung eines Tricks. Ich hielt den linken Zeigefinger hoch.

»Die Prostata ist eine Drüse«, sagte ich belehrend, »die sich bei Männern um die Harnröhre schmiegt, also um die Passage von der Blase nach außen.« Zur Demonstration legte ich zwei Finger der rechten Hand rings um den Zeigefinger. »Wenn sich die Prostata entzündet oder vergrößert – und das ist es, was man Prostatitis nennt –, drückt sie die Harnröhre zu«, ich verkleinerte den Ring meiner Finger, »und schneidet den Urinfluss ab. Das kommt bei älteren Männern häufig vor. Versteht Ihr?«