Wir waren allein, nur wir beide. Jamie hatte Murtagh mit Simon und den Männern aus Beaufort nach Edinburgh geschickt, um sich ein Bild davon zu machen, wie es um die Highland-Armee bestellt war.
Das Haus stand massiv inmitten seiner Nebengebäude, weiß wie die verschneiten Felder, die es umgaben. Ich erinnerte mich noch lebhaft daran, was ich empfunden hatte, als ich den Hof zum ersten Mal sah. Zwar hatte ich ihn damals im Sonnenschein eines herrlichen Herbsttags gesehen, nicht umweht von eisigem Schneegestöber, doch selbst da war er mir wie eine einladende Zuflucht erschienen. Jetzt wurde der Eindruck von Unverrückbarkeit und Frieden, den das Haus ausstrahlte, noch durch den warmen Lampenschein verstärkt, der durch die Parterrefenster strömte, sanft und gelb im zunehmenden Grau des frühen Abends.
Das Gefühl, willkommen zu sein, nahm noch zu, als ich Jamie durch die Haustür folgte und uns der Duft nach Braten und frischem Brot das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
»Abendessen«, sagte Jamie und schloss selig die Augen, während er die herrlichen Aromen einatmete. »Gott, ich könnte ein Pferd essen.« Tauendes Eis tropfte vom Saum seines Umhangs und hinterließ nasse Flecken auf dem Holzboden.
»Ich dachte ja, wir würden eins von ihnen essen müssen«, stellte ich fest, während ich den Verschluss meines Umhangs öffnete und mir den schmelzenden Schnee aus dem Haar strich. »Das arme Tier, das du unterwegs eingetauscht hast, konnte ja kaum noch humpeln.«
Unsere Stimmen hallten durch den Flur, und über uns öffnete sich eine Tür, gefolgt vom Geräusch kleiner rennender Füße und einem Freudenschrei, als der kleinere Jamie seinen Namensvetter unten erspähte.
Der Lärm ihres Wiedersehens erregte die Aufmerksamkeit des restlichen Haushalts, und ehe wir uns versahen, wurden wir begrüßt und umarmt, weil Jenny und die kleine Maggie, Ian, Mrs. Crook und diverse Dienstmägde auf einmal in den Flur gelaufen kamen.
»Es ist so gut, dich zu sehen, mein Bester!«, sagte Jenny zum dritten Mal und stellte sich auf die Zehenspitzen, um Jamie zu küssen. »Nach allem, was wir von der Armee gehört haben, dachten wir, es würde Monate dauern, ehe du nach Hause kommst.«
»Aye«, sagte Ian, »hast du auch schon ein paar der Männer mitgebracht, oder seid ihr nur zu Besuch?«
»Mitgebracht?« Jamie erstarrte mitten in der Begrüßung seiner älteren Nichte und starrte seinen Schwager an. Im ersten Moment vergaß er das kleine Mädchen auf seinem Arm. Als sie ihn auf sich aufmerksam machte, indem sie ihn an den Haaren riss, gab er ihr geistesabwesend einen Kuss und reichte sie mir.
»Wie meinst du das, Ian?«, wollte er wissen. »Die Männer hätten alle vor einem Monat zurückkehren sollen. Sind denn einige nicht heimgekommen?«
Ich hielt die kleine Maggie fest im Arm, während mich eine grauenvolle Vorahnung beschlich und ich das Lächeln aus Ians Gesicht weichen sah.
»Keiner von ihnen ist heimgekommen, Jamie«, sagte er langsam, und sein längliches, gutmütiges Gesicht wurde plötzlich zum Spiegelbild des Grimms, den er in Jamies Miene sah. »Wir haben nichts mehr von ihnen gesehen, seit sie mit dir davonmarschiert sind.«
Draußen auf dem Hof, wo Rabbie MacNab die Pferde versorgte, erklang ein Ruf. Jamie fuhr zur Tür herum, drückte sie auf und lehnte sich in den Wind hinaus.
Über seine Schulter hinweg sah ich einen Reiter durch den Schneesturm kommen. Die Sicht war zu schlecht, um seine Züge auszumachen, doch diese kleine, drahtige Gestalt, die sich wie ein Äffchen an den Sattel klammerte, war unverwechselbar. »Schnell wie der Blitz«, hatte Jamie gesagt, und er hatte eindeutig recht; in einer Woche von Beauly nach Edinburgh und wieder nach Lallybroch zu reiten, war eine wahre Ausdauerleistung. Der nahende Reiter war Murtagh, und man brauchte Maisris Prophetengabe nicht, um zu erkennen, dass die Neuigkeiten, die er überbrachte, schlecht waren.
Kapitel 42
Wiedersehen
Weiß vor Wut knallte Jamie die Tür des Morgensalons von Holyrood auf. Ewan Cameron sprang auf und stürzte dabei das Tintenfass um, das er zum Schreiben benutzt hatte. Simon Fraser, der junge Lovat, saß ihm am Tisch gegenüber, doch er zog beim Eintreten seines Halbneffen lediglich die dichten schwarzen Augenbrauen hoch.
»Verdammt!«, sagte Ewan und fischte in seinem Ärmel nach einem Taschentuch, um die Pfütze aufzuwischen, ehe sie sich ausbreiten konnte. »Was ist los mit Euch, Fraser? Oh, guten Morgen, Mistress Fraser«, fügte er hinzu, als er mich hinter Jamie sah.
»Wo ist Seine Hoheit?«, wollte Jamie ohne Umschweife wissen.
»Stirling«, erwiderte Cameron, der das Taschentuch nicht fand, nach dem er suchte. »Habt Ihr ein Tuch für mich, Fraser?«
»Wenn ich eins hätte, würde ich Euch damit erwürgen«, sagte Jamie. Er hatte sich etwas entspannt, als er hörte, dass Charles Stuart nicht anwesend war, doch seine Mundwinkel waren immer noch starr. »Warum habt Ihr zugelassen, dass man meine Männer im Tolbooth festhält? Ich habe sie gerade gesehen, an einem Ort, an dem ich keine Schweine halten würde! Ihr hättet doch bei Gott gewiss etwas tun können!«
Cameron wurde zwar rot, doch seine klaren braunen Augen wichen Jamies Blick nicht aus.
»Ich habe es versucht«, sagte er. »Ich habe Seiner Hoheit gesagt, ich wäre mir sicher, dass es ein Irrtum war – aye, und was für einer, alle dreißig zehn Meilen von der Armee entfernt zu erwischen! – und dass er außerdem nicht genug Männer hätte, um auf sie verzichten zu können, selbst wenn sie tatsächlich hätten desertieren wollen. Das war alles, was ihn davon abgehalten hat, sie auf der Stelle hängen zu lassen«, sagte er, und nun, da der Schreck über Jamies abruptes Eintreten nachließ, stieg die Wut in ihm auf. »Gott, Mann, es ist Hochverrat, im Krieg zu desertieren!«
»Aye?«, sagte Jamie skeptisch. Er nickte Simon flüchtig zu und schob einen Stuhl in meine Richtung, ehe er sich selber setzte. »Und habt Ihr auch den Befehl erteilt, die zwanzig Eurer eigenen Männer zu hängen, die sich nach Hause abgesetzt haben, Ewan? Oder sind es inzwischen eher vierzig?«
Cameron errötete noch stärker und senkte konzentriert den Blick, um die Tinte mit dem Tuch aufzuwischen, das ihm Simon Fraser jetzt reichte.
»Sie haben sich ja nicht erwischen lassen«, murmelte er schließlich. Er blickte zu Jamie auf, und sein schmales Gesicht war ernst. »Geht nach Stirling zu Seiner Hoheit«, riet er ihm. »Er war außer sich über die Fahnenflucht, aber es war schließlich sein Befehl, der Euch nach Beauly geführt hat, so dass Eure Männer ohne Kommandeur dastanden, aye? Und er hat immer viel von Euch gehalten, Jamie, und nennt Euch seinen Freund. Möglich, dass er Eure Männer begnadigt, wenn Ihr ihn um ihr Leben bittet.«
Er hob das tintenfleckige Tüchlein auf, betrachtete es skeptisch und ging mit einer gemurmelten Entschuldigung aus dem Zimmer, um es draußen zu entsorgen. Offenbar hatte er es eilig, Jamie aus den Augen zu kommen.
Jamie saß mit ausgestreckten Beinen auf seinem Stuhl und atmete zischend durch die zusammengebissenen Zähne ein und aus, den Blick auf den kleinen gestickten Wandbehang geheftet, der das Stuartwappen zeigte. Die beiden steifen Finger seiner rechten Hand pochten langsam auf den Tisch. In diesem Zustand war er schon, seit Murtagh mit der Nachricht in Lallybroch eingetroffen war, dass die dreißig Mann unter Jamies Kommando als Deserteure festgenommen und zum Tode verurteilt in Edinburghs berüchtigtem Tolbooth-Gefängnis eingekerkert worden waren.
Auch ich glaubte nicht, dass Charles vorhatte, die Männer zu exekutieren. Wie Ewan Cameron korrekt festgestellt hatte, benötigte die Highland-Armee jeden waffenfähigen Mann, den sie auftreiben konnte. Der Vorstoß nach England, auf den Charles gedrängt hatte, war teuer gewesen, und die Unterstützung der englischen Bevölkerung, die er vorhergesehen hatte, war ausgeblieben. Nicht nur das; Jamies Männer in seiner Abwesenheit hinzurichten, wäre ein Akt politischer Idiotie und persönlicher Treulosigkeit gewesen, wie ihn in dieser Größenordnung nicht einmal der Prinz fertigbrachte.