Выбрать главу

Roger ließ die Hände sinken, doch ihre Wärme blieb, auf seinen Händen, seinen Lippen, seinem Körper, so dass er sich fühlte, als hielte er sie noch. Einen Moment standen sie da; ihre Körper streiften sich, und sie atmeten dieselbe Luft, dann trat er zurück. Er konnte sie noch in seinen Handflächen spüren und krümmte die Finger zu Fäusten, um das Gefühl festzuhalten.

Plötzlich zersplitterte die stille Luft der Kirche in tausend Einzelteile, und das Echo eines Schreis ließ die Staubpartikel auffliegen. Ehe er nachdenken konnte, war Roger schon im Freien, rannte, stolperte und kletterte über das Durcheinander der Steine auf die dunkle Eibenreihe zu. Er schob sich zwischen den tiefhängenden Zweigen hindurch, ohne sie für Brianna beiseite zu halten, die ihm dicht auf den Fersen war.

Er sah Claire Randalls Gesicht, bleich im Schatten. Jeder Farbe beraubt, sah sie vor dem dunklen Geäst der Eibe aus wie ein Geist. Einen Moment stand sie da und wankte, dann sank sie im Gras auf die Knie, als trügen ihre Beine sie nicht mehr.

»Mutter!« Brianna ging neben der zusammengekauerten Gestalt auf die Knie und rieb ihr eine der erschlafften Hände. »Mama, was ist? Geht es dir nicht gut? Du solltest den Kopf zwischen die Knie halten. Leg dich doch lieber hin.«

Claire widersetzte sich dem hilfsbereiten Drängen ihrer Tochter, und ihr Kopf hob sich wieder.

»Ich will mich nicht hinlegen«, keuchte sie. »Ich will … o Gott. O du lieber Gott.« Sie kniete im ungemähten Gras und streckte die zitternde Hand nach der Oberfläche des Steins aus. Er war aus Granit, eine einfache Platte.

»Dr. Randall! Äh, Claire?« Auch Roger ließ sich neben ihr auf ein Knie sinken und schob ihr die Hand unter den anderen Arm, um sie zu stützen. Er war ernsthaft alarmiert, denn ihre Schläfen waren von einem Schweißfilm überzogen, und sie sah aus, als könnte sie jeden Moment umkippen. »Claire«, sagte er erneut, drängend, und versuchte, sie aus ihrer blicklosen Trance zu reißen. »Was ist denn? Ist es ein Name, den du kennst?« Noch während er das sagte, hatte er seine eigenen Worte in den Ohren. Hier ist seit dem achtzehnten Jahrhundert niemand mehr beerdigt worden, hatte er zu Brianna gesagt. Hier ist seit zweihundert Jahren niemand mehr beerdigt worden.

Claires Finger streiften die seinen ab und berührten den Stein; liebevoll, als berührten sie menschliche Haut, zeichneten sie sacht die Buchstaben nach, die zwar flach geworden waren, aber nach wie vor deutlich waren.

»›JAMES ALEXANDER MALCOLM MACKENZIE FRASER‹«, las sie vor. »Ja, ich kenne ihn.« Ihre Hand sank tiefer, um das Gras beiseitezustreichen, das rings um den Stein wucherte und die kleineren Buchstaben an seinem Fuß verdeckte.

»›Geliebter Ehemann von Claire‹«, las sie.

»Ja, ich kannte ihn«, sagte sie noch einmal, so leise, dass Roger sie kaum hören konnte. »Ich bin Claire. Er war mein Ehemann.« Dann blickte sie auf in das Gesicht ihrer Tochter, weiß und schockiert. »Und dein Vater«, sagte sie.

Roger und Brianna starrten auf sie hinunter, und der Kirchhof war still bis auf das Rascheln der Eiben über ihnen.

»Nein!«, sagte ich aufgebracht. »Zum fünften Mal – nein! Ich möchte keinen Schluck Wasser. Ich habe keinen Sonnenstich. Mir ist nicht schwindelig. Ich bin nicht krank. Und ich habe auch nicht den Verstand verloren, obwohl ich vermute, dass ihr das denkt.«

Roger und Brianna wechselten einen Blick, der mir verdeutlichte, dass sie in der Tat genau das dachten. Sie hatten mich mit vereinten Kräften von dem Kirchhof ins Auto bugsiert. Ich hatte mich geweigert, ins Krankenhaus zu fahren, also waren wir zum Pfarrhaus zurückgekehrt. Roger hatte mir einen medizinischen Whisky gegen den Schock verabreicht, doch sein Blick huschte jetzt zum Telefon hinüber, als fragte er sich, ob er zusätzliche Hilfe rufen sollte – zum Beispiel eine Zwangsjacke, vermutete ich.

»Mama«, sagte Brianna beruhigend und streckte die Hand aus, um mir das Haar aus dem Gesicht zu streichen. »Du bist ja ganz aufgeregt.«

»Natürlich bin ich aufgeregt!«, brauste ich auf. Ich holte tief und zitternd Luft und presste die Lippen fest aufeinander, bis ich es mir zutraute, ruhig zu sprechen.

»Ich bin zwar aufgedreht«, begann ich, »aber ich bin nicht verrückt.« Ich brach ab und rang um Fassung. So hatte ich das nicht vorgehabt. Ich wusste zwar nicht genau, was ich vorgehabt hatte, aber nicht das – mit der Wahrheit herauszuplatzen, ohne mich vorbereiten oder meine Gedanken sortieren zu können. Der Anblick dieses verdammten Grabs hatte jeden Plan zunichtegemacht, den ich gehabt haben mochte.

»Verflixt, Jamie Fraser!«, sagte ich wütend. »Was machst du da überhaupt, es ist doch meilenweit von Culloden entfernt!«

Brianna fielen fast die Augen aus dem Kopf, und Rogers Hand schwebte in der Nähe des Telefons. Ich hielt abrupt inne und versuchte, mich in den Griff zu bekommen.

Ganz ruhig, Beauchamp, instruierte ich mich selbst. Tief einatmen. Einmal … zweimal … noch einmal. Besser. Also. Es ist ganz einfach; alles, was du tun musst, ist, ihnen die Wahrheit sagen. Deshalb bist du doch nach Schottland gekommen, oder nicht?

Ich öffnete den Mund, doch es kam kein Ton heraus. Ich schloss ihn wieder, und meine Augen ebenfalls, in der Hoffnung, dass ich den Mut wiederfinden würde, wenn ich die beiden aschfahlen Gesichter vor mir nicht mehr sehen konnte. Lass … mich … einfach … die … Wahrheit … erzählen, betete ich, ohne recht zu wissen, an wen es gerichtet war. Jamie, dachte ich.

Ich hatte schon einmal die Wahrheit erzählt. Es hatte keinen guten Ausgang genommen.

Ich presste die Augenlider noch fester zu. Wieder konnte ich die Karbolatmosphäre eines Krankenhauses riechen und das ungewohnte, gestärkte Kissen unter meiner Wange spüren. Aus dem Flur drang Franks Stimme herein, erstickt vor verdutzter Rage.

»Was soll das heißen, drängen Sie sie nicht? Sie nicht drängen? Meine Frau ist über zwei Jahre verschwunden gewesen, und sie ist verlottert, halbtot und schwanger zurückgekehrt, zum Kuckuck, und ich soll ihr keine Fragen stellen?«

Und die Stimme des Arztes, ein beruhigendes Murmeln. Ich fing die Worte »Wahnvorstellung« und »traumatisiert« auf und »Heben Sie es sich für später auf – nur ein wenig«, während Franks Stimme, die immer noch widersprach und unterbrach, mit sanfter Gewalt durch den Flur gedrängt wurde. Diese so sehr vertraute Stimme, die den Sturm aus Schmerz und Wut und Grauen in meinem Inneren erneut entfachte.

Ich hatte meinen Körper abwehrend zusammengerollt, mir das Kissen an die Brust gedrückt und darauf gebissen, so fest ich konnte, bis ich spürte, wie der Baumwollbezug nachgab und mir seidige Federn zwischen den Zähnen knirschten.

Ich knirschte auch jetzt mit den Zähnen, was meiner neuen Füllung nicht besonders guttat. Ich hielt inne und öffnete die Augen.

»Hört zu«, sagte ich, so sachlich ich konnte. »Es tut mir leid, ich weiß, wie es klingt. Aber es ist wahr, und daran kann ich nichts ändern.«

Diese Worte trugen nicht zu Briannas Beruhigung bei, und sie rückte dichter auf Roger zu. Er jedoch sah nicht mehr ganz so grün um die Kiemen aus und legte Anzeichen vorsichtiger Neugier an den Tag. War es möglich, dass er tatsächlich genügend Fantasie besaß, um die Wahrheit fassen zu können?

Ich schöpfte Hoffnung aus seiner Miene und öffnete meine Fäuste.

»Es sind die verfluchten Steine«, sagte ich. »Du weißt schon, dieser Steinkreis auf dem Feenhügel, westlich von hier?«

»Craigh na Dun«, murmelte Roger. »Meinst du den?«

»Richtig.« Ich atmete bewusst aus. »Vielleicht kennst du ja die Legenden, die sich um die Feenhügel ranken – ja? Von Menschen, die in Felsenhügeln in die Falle geraten und zweihundert Jahre später aufwachen?«

Brianna sah mit jeder Sekunde alarmierter aus.