Nein, ich ging davon aus, dass Cameron recht hatte und man die Männer irgendwann begnadigen würde. Jamie begriff das zweifellos ebenfalls, doch die Erkenntnis war ihm nur ein schwacher Trost, ging sie doch Hand in Hand mit der weiteren Erkenntnis, dass sein eigener Befehl – statt seine Männer sicher aus der Gefahrenzone eines scheiternden Feldzugs zu bringen – dazu geführt hatte, dass sie in einem der schlimmsten Kerker von ganz Schottland saßen, als Feiglinge gebrandmarkt und zu einem schändlichen Tod am Galgen verurteilt waren.
Zusammen mit der Aussicht, die Männer in ihrem finsteren, schmutzigen Verlies allein zu lassen, um nach Stirling zu reiten und sich vor Charles als Bittsteller erniedrigen zu müssen, war dies eine mehr als ausreichende Erklärung für Jamies Gesichtsausdruck – nämlich den eines Mannes, der gerade Glasscherben gefrühstückt hat.
Auch Simon schwieg, die breite Stirn nachdenklich gerunzelt.
»Ich begleite dich zu Seiner Hoheit«, sagte er abrupt.
»Ach ja?« Jamie warf seinem Halbonkel einen überraschten Blick zu, dann kniff er die Augen zusammen. »Warum?«
Simon grinste schief. »Verwandtschaft, Mann. Oder meinst du, ich würde versuchen, deine Männer für mich zu beanspruchen, wie es mein Vater getan hat?«
»Etwa nicht?«
»Vielleicht«, sagte Simon aufrichtig, »wenn ich glauben würde, dass es mir irgendwie nutzen könnte. Ich glaube aber eher, dass es mir Ärger machen würde. Mir ist weder danach, mich mit dem MacKenzies anzulegen – noch mit dir, Neffe«, fügte er hinzu, und sein Grinsen wurde breiter. »Lallybroch mag ja einträglich sein, aber es liegt ein gutes Stück von Beauly entfernt, und wahrscheinlich müsste ich hart darum kämpfen, es in die Finger zu bekommen, entweder mit Gewalt oder vor Gericht. Das habe ich Vater auch gesagt, aber er hört ja nur, was er hören will.«
Der junge Mann schüttelte den Kopf und legte sich den Schwertgürtel um die Hüften.
»In der Armee gibt es vermutlich mehr zu verdienen, zumindest unter einem wiedereingesetzten König. Und …«, so schloss er, »wenn diese Armee noch einmal so kämpfen soll wie in Preston, wird sie jeden Mann brauchen, den sie haben kann. Ich gehe mit dir«, wiederholte er überzeugt.
Jamie nickte, und langsam dämmerte ein Lächeln in seinem Gesicht heran. »Dann danke ich dir, Simon. Es wird helfen.«
Simon nickte. »Aye, nun ja. Es würde dir allerdings auch nicht schaden, wenn du Dougal MacKenzie bitten würdest, sich für dich zu einzusetzen. Er ist im Moment in Edinburgh.«
»Dougal MacKenzie?« Jamie zog verwundert die Augenbrauen hoch. »Aye, es kann gewiss nicht schaden, aber …«
»Nicht schaden? Mann, hast du denn nicht davon gehört? Der MacKenzie ist des Prinzen neuer Wunderknabe.« Simon lehnte sich lässig zurück und sah seinen Halbneffen spöttisch an.
»Warum?«, fragte ich. »Was in aller Welt hat er getan?« Dougal hatte zwar zweihundertfünfzig Mann zur Armee der Stuarts beigesteuert, doch es gab diverse Clanführer, die größere Beiträge geleistet hatten.
»Zehntausend Pfund«, sagte Simon und ließ sich jedes Wort genüsslich auf der Zunge zergehen. »Zehntausend Pfund in feinstem Sterling hat Dougal MacKenzie seinem Herrscher zu Füßen gelegt. Und der kann sie gut brauchen«, sagte er nüchtern und gab die lässige Pose auf. »Cameron hat mir gerade erzählt, dass Charles den Rest des spanischen Geldes aufgebraucht hat und dass von den englischen Anhängern, auf die er gezählt hatte, nur verdammt wenig nachkommt. Dougals zehntausend halten die Armee mindestens noch ein paar Wochen in Schuss, und mit etwas Glück hat er bis dahin mehr aus Frankreich bekommen.« Da Louis endlich begriff, dass ihm sein tollkühner Vetter im Moment die Engländer vom Hals hielt, stimmte er jetzt doch widerstrebend zu, etwas Geld herauszurücken. Doch es war mehr als überfällig.
Ich starrte Jamie an, dessen Gesicht meine eigene Verwunderung widerspiegelte. Wie in aller Welt war Dougal MacKenzie an zehntausend Pfund gekommen? Plötzlich fiel mir ein, wo ich diese Summe schon einmal gehört hatte – im Diebesloch von Cranesmuir, wo ich drei endlose Tage und Nächte damit verbracht hatte, auf meinen Hexenprozess zu warten.
»Geillis Duncan!«, rief ich aus. Mir wurde kalt, als ich an dieses Zwiegespräch in der Finsternis einer feuchtkalten Grube dachte, mit einer Gefährtin, die nicht mehr gewesen war als eine Stimme in der Dunkelheit. Im Salon brannte zwar ein warmes Feuer, doch ich zog meinen Umhang fester um mich.
»Ich habe fast zehntausend Pfund abgezweigt«, hatte Geillis mit den Diebstählen geprahlt, die sie begangen hatte, indem sie die Unterschrift ihres Mannes fälschte. Arthur Duncan, den sie vergiftet hatte, war der Fiskalprokurator des Distrikts gewesen. »Zehntausend Pfund für die Sache der Jakobiten. Wenn es zur Rebellion kommt, werde ich wissen, dass ich mitgeholfen habe.«
»Sie hat es gestohlen«, sagte ich, und eine Gänsehaut lief mir über den Arm bei dem Gedanken an Geillis Duncan, die der Hexerei für schuldig befunden worden war und unter den Ästen einer Eberesche in den Flammentod gegangen war. Geillis Duncan, die dem Tod gerade lange genug entkommen war, um das Kind zu gebären, das sie von ihrem Geliebten bekommen hatte – Dougal MacKenzie. »Sie hat es gestohlen und es Dougal gegeben, oder er hat es ihr abgenommen, das lässt sich ja jetzt nicht mehr sagen.« Erregt stand ich auf und schritt vor dem Kaminfeuer hin und her.
»Dieser Schurke«, sagte ich. »Das war es also, was er vor zwei Jahren in Paris gemacht hat!«
»Was?« Jamie sah mich stirnrunzelnd an; Simon mit offenem Mund.
»Er hat Charles Stuart besucht. Er wollte sich ein Bild davon machen, ob Charles tatsächlich eine Rebellion plante. Vielleicht hat er ihm das Geld damals versprochen, vielleicht war es das, was Charles ermutigt hat, die Reise nach Schottland zu wagen – das versprochene Geld Geillis Duncans. Doch Dougal konnte Charles das Geld nicht offen übergeben, solange Colum noch lebte – Colum hätte ihm Fragen gestellt; er war ein viel zu ehrlicher Charakter, um gestohlenes Geld zu verwenden, ganz gleich, wer es gestohlen hatte.«
»Ich verstehe.« Jamie nickte, und sein Blick war nachdenklich. »Doch jetzt ist Colum tot«, sagte er leise. »Und Dougal MacKenzie ist der Günstling des Prinzen.«
»Was ja nur gut für dich ist, wie ich schon sagte«, meldete sich Simon zu Wort. Ihm reichte das Gerede über Leute, die er nicht kannte, und Vorgänge, die er nur halb verstand. »Geh ihn suchen; um diese Tageszeit ist er wahrscheinlich im World’s End.«
»Meinst du, er wird für dich mit dem Prinzen sprechen?«, fragte ich Jamie besorgt. Dougal war zwar einmal Jamies Ziehvater gewesen, doch ihr Verhältnis hatte unleugbar seine Höhen und Tiefen gehabt. Möglich, dass Dougal seine neu gewonnene Beliebtheit bei Charles nicht aufs Spiel setzen wollte, indem er sich für einen Haufen Feiglinge und Deserteure einsetzte.
Der Junge Fuchs mochte zwar nicht die Lebenserfahrung seines Vaters besitzen, doch von der Geistesgegenwart seines alten Herrn besaß er einiges. Seine dichten schwarzen Augenbrauen zuckten in die Höhe.
»MacKenzie hat es doch nach wie vor auf Lallybroch abgesehen, oder? Und wenn er glaubt, Vater und ich haben vor, es dir wieder abzunehmen, wird er mehr als begierig sein, dir zu helfen, deine Männer zurückzubekommen, aye? Es würde ihn einiges mehr kosten, mit uns darum zu kämpfen, als sich mit dir zu befassen, wenn der Krieg erst vorbei ist.« Er nickte und kaute fröhlich an seiner Oberlippe, während er die möglichen Konsequenzen der Situation erwägte.
»Ich werde mit einer Kopie der Liste meines Vaters vor seiner Nase wedeln, ehe du mit ihm sprichst. Dann kommst du herein und sagst, dass du eher mit mir zur Hölle fahren als zulassen wirst, dass ich deine Männer für mich beanspruche, und dann reiten wir alle gemeinsam nach Stirling.« Er grinste Jamie verschwörerisch zu.