»Ich habe mir ja immer schon gedacht, dass es einen Grund gibt, warum sich ›Schotte‹ mit ›Komplotte‹ reimt«, stellte ich fest.
»Was?« Beide Männer hoben verblüfft die Köpfe.
»Egal«, sagte ich und schüttelte den Kopf. »Ein Fraser ist wie der andere.«
Ich blieb in Edinburgh, während Jamie mit seinen rivalisierenden Onkeln nach Stirling ritt, um das Problem mit dem Prinzen auszubügeln. Unter den Umständen konnte ich nicht in Holyrood bleiben, doch ich fand ein Kämmerchen in einer der kleinen Gassen oberhalb von Canongate. Es war nur ein kaltes, vollgestelltes Zimmerchen, doch ich hielt mich nicht viel darin auf.
Die Gefangenen konnten zwar den Tolbooth nicht verlassen, doch es gab nichts, das Besucher fernhielt, die zu ihnen wollten. Fergus und ich suchten das Gefängnis täglich auf, und ein Hauch von diplomatischer Bestechung ermöglichte es mir, die Männer aus Lallybroch mit Nahrungsmitteln und Arznei zu versorgen. Theoretisch durfte ich zwar nicht unter vier Augen mit den Gefangenen sprechen, doch auch hier ließ sich das System ein wenig schmieren, und ich konnte mich zwei- oder dreimal allein mit Ross, dem Schmied, unterhalten.
»Es war meine Schuld, Mylady«, sagte er beim ersten Mal sofort. »Ich hätte so schlau sein sollen, die Männer zu dritt oder viert marschieren zu lassen, nicht alle zusammen, wie wir es getan haben. Aber ich hatte Angst, dass ich einige verlieren würde; die meisten von ihnen waren doch noch nie weiter als fünf Meilen von zu Hause fort gewesen.«
»Ihr dürft Euch keine Vorwürfe machen«, beruhigte ich ihn. »Nach dem, was ich gehört habe, war es einfach Pech, dass man Euch erwischt hat. Keine Sorge, Jamie ist nach Stirling geritten, um den Prinzen aufzusuchen; er holt Euch in null Komma nichts hier heraus.«
Er nickte und strich sich müde eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Er war schmutzig und ungepflegt und um einiges geschrumpft im Vergleich zu dem kräftigen, robusten Handwerker, der er noch vor ein paar Monaten gewesen war. Dennoch, er lächelte mich an und bedankte sich für die Verpflegung.
»Das können wir brauchen«, sagte er offen. »Wir bekommen hier kaum mehr als Schweinefraß. Meint Ihr …« Er zögerte. »Meint Ihr, Ihr könnt vielleicht ein paar Decken auftreiben, Mylady? Ich würde nicht darum bitten, aber vier der Männer sind krank, und …«
»Das kann ich«, sagte ich.
Auf dem Heimweg fragte ich mich allerdings, wie ich das bewerkstelligen würde. Zwar war der Kern der Armee erst nach Süden gezogen, um in England einzufallen, dann nördlich gen Stirling, doch Edinburgh war nach wie vor eine besetzte Stadt. Dank des ständigen Kommens und Gehens von Soldaten, Fürsten und anderem Fußvolk waren sämtliche Güter des täglichen Lebens überteuert und knapp. Es ließen sich zwar Decken und warme Kleidung finden, doch sie würden eine Menge kosten, und ich hatte noch exakt zehn Shilling in der Tasche.
Es gab einen Bankier in Edinburgh, einen gewissen Mr. Waterford, der in der Vergangenheit einige Transaktionen für Lallybroch betreut hatte, doch Jamie hatte schon vor Monaten alle Geldmittel aus der Bank abgezogen, weil er Angst hatte, dass die Krone sie beschlagnahmen könnte. Das Geld war in Gold eingetauscht und zum Teil zur Aufbewahrung an Jared nach Paris übersandt worden, während der Rest in Lallybroch versteckt lag. Beides war also für mich im Moment gleichermaßen unerreichbar.
Ich blieb auf der Straße stehen, um nachzudenken, während sich die Passanten auf dem Pflaster an mir vorbeischoben. Ich hatte zwar kein Geld, doch ein paar Wertsachen besaß ich noch. Den Kristall, den mir Raymond in Paris geschickt hatte – der Kristall selbst war zwar nicht von großem Wert, doch die Goldfassung und die Kette waren es. Meine Eheringe – nein, davon würde ich mich nicht trennen, nicht einmal vorübergehend. Aber die Perlen … Ich tastete in meine Tasche, um mich zu vergewissern, dass die Perlenkette, die mir Jamie an unserem Hochzeitstag geschenkt hatte, noch sicher in meinen Rocksaum eingenäht war.
Sie war es; ich spürte die kleinen, asymmetrisch geformten Süßwasserperlen hart und glatt unter meinen Fingern. Nicht so kostbar wie orientalische Perlen, doch es war eine schöne Kette mit kleinen Goldkügelchen zwischen den einzelnen Perlen. Sie hatte einmal Jamies Mutter Ellen gehört. Ich war überzeugt, dass es in ihrem Sinne gewesen wäre, wenn ich sie jetzt benutzte, um seinen Männern Erleichterung zu verschaffen.
»Fünf Pfund«, sagte ich entschlossen. »Sie ist zehn wert, und ich könnte sechs dafür bekommen, wenn mir danach wäre, den ganzen Weg bergauf zur nächsten Pfandleihe zu laufen.« Ich hatte zwar keine Ahnung, ob das stimmte, doch ich streckte trotzdem die Hand aus, als wollte ich die Kette wieder an mich nehmen, um die Räume des Pfandleihers zu verlassen. Der Pfandleiher, Mr. Samuels, legte hastig die Hand auf die Kette, und seine Eile verriet mir, dass ich besser von vornherein sechs Pfund verlangt hätte.
»Drei Pfund zehn«, sagte er. »Damit treibe ich zwar meine Familie an den Rand des Ruins, aber für eine Dame, wie Ihr es seid …«
Die kleine Glocke über der Ladentür klingelte hinter mir, und die Tür ging auf. Dann hörte ich zögernde Schritte auf den abgenutzten Dielen des Fußbodens.
»Entschuldigung«, begann die Stimme einer jungen Frau, und ich vergaß die Perlenkette und fuhr herum. Der Schatten der drei goldenen Kugeln, die das Markenzeichen der Pfandleiher waren, fiel Mary Hawkins ins Gesicht. Sie war im Lauf des letzten Jahres gewachsen und rundlicher geworden und strahlte eine neue Reife und Würde aus, doch sie war immer noch sehr jung. Sie kniff die Augen zu, dann stürzte sie sich mit einem Freudenschrei auf mich, und ihr Pelzkragen kitzelte mich in der Nase, als sie mich fest umarmte.
»Was machst du denn hier?«, fragte ich, als ich mich schließlich von ihr löste.
»Vaters Schwester lebt hier«, erwiderte sie. »I-Ich wohne bei ihr. Oder was meinst du, warum ich hier bin?« Sie wies mit der Hand auf Mr. Samuels’ zwielichtige Warenwelt.
»Nun, das auch«, sagte ich. »Aber das kann noch etwas warten.« Ich wandte mich dem Pfandleiher zu. »Vier Pfund sechs, sonst gehe ich bergauf zur nächsten Pfandleihe«, sagte ich zu ihm. »Überlegt es Euch; ich habe es eilig.«
Murrend griff Mr. Samuels unter die Ladentheke nach seiner Geldschatulle, und ich wandte mich wieder an Mary.
»Ich muss ein paar Wolldecken kaufen. Kannst du mich begleiten?«
Sie warf einen Blick vor die Tür, wo ein schmächtiger Mann in der Livree eines Hausdieners stand, der auf sie zu warten schien. »Ja, wenn du danach mit mir kommst? Oh, Claire, ich freue mich ja so, dich zu sehen!«
Gemeinsam gingen wir den Hügel hinunter. »Er hat mir eine Nachricht geschickt«, vertraute mir Mary unterwegs an. »Alex. Eine Freundin hat mir seinen Brief gebracht.« Ihr Gesicht leuchtete zwar, als sie seinen Namen sagte, doch sie hatte eine kleine Falte zwischen den Augenbrauen.
»Als ich herausgefunden habe, dass er in Edinburgh war, habe ich Vater überredet, mich z-zu Tante Mildred zu Besuch zu schicken. Er hatte nichts dagegen«, fügte sie verbittert hinzu. »Es machte ihn g-ganz krank, mich nur anzusehen, nach dem, was in Paris geschehen ist. Er war froh, mich aus dem Haus zu haben.«
»Dann hast du Alex besucht?«, fragte ich. Wie mochte es dem jungen Sekretär seit unserer letzten Begegnung wohl ergangen sein? Und woher hatte er den Mut genommen, Mary zu schreiben?
»Ja. Er hat mich aber nicht darum gebeten«, fügte sie hastig hinzu. »Ich b-bin von allein gegangen.« Sie hob zwar trotzig das Kinn, doch sie schluckte auch sacht, als sie sagte: »Er … er hätte mir nicht geschrieben, aber er glaubte, dass er im Sterben lag, und er wollte, dass ich weiß … dass ich weiß …« Ich legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie rasch in eine der kleinen Gassen, um dem Verkehr auf der Straße nicht im Weg zu sein.