»Sassenach! Claire! Bist du da?« Die leise Stimme am Fenster ließ mich aufspringen, und für einen Moment war Rupert vergessen.
»Jamie!« Ringsum atmete alles auf, und die Schwerter und Tartschen klirrten zu Boden. Das neue schwache Licht von draußen verschwand einen Moment hinter Jamies Kopf und Schultern. Dann schwang er sich leichtfüßig vom Altar und blieb als Umriss vor dem offenen Fenster stehen.
»Wer ist da?«, sagte er leise und sah sich um. »Dougal, bist du das?«
»Aye, ich bin’s, Junge. Deine Frau und noch ein paar andere. Hast du die Sassenach-Schufte draußen irgendwo in der Nähe gesehen?«
Jamie lachte kurz auf.
»Was meinst du, warum ich durch das Fenster gekommen bin? Am Fuß des Hügels sind etwa zwanzig von ihnen.«
Dougal stieß einen missmutigen Kehllaut aus. »Mit Sicherheit die Schufte, die uns vom Rest der Truppe abgeschnitten haben.«
»Kann sein. Ho, mo chridhe! Ciamar a tha thu?« Mein Pferd hatte inmitten des Irrsinns eine vertraute Stimme erkannt und den Kopf zu einem lauten Begrüßungswiehern gehoben.
»Ruhe, Dummkopf!«, sagte Dougal unfreundlich zu dem Tier. »Sollen dich die Engländer hören?«
»Ich glaube nicht, dass die Engländer ihn hängen würden«, stellte Jamie gelassen fest. »Und was die Möglichkeit angeht, dass sie uns bemerken, dazu brauchen sie keine Ohren, wenn sie Augen im Kopf haben; der Abhang draußen besteht zur Hälfte aus Matsch, und man kann eure Spuren deutlich sehen.«
»Mmpfm.« Dougal richtete den Blick auf das Fenster, doch Jamie schüttelte schon den Kopf.
»Keine Chance, Dougal. Ihre eigentliche Armee befindet sich südlich von uns, und Lord George Murray ist ihnen entgegengezogen, aber ein paar von dem Trupp, auf den wir gestoßen sind, sind noch hier. Eine Handvoll von ihnen haben mich über den Hügel gejagt; ich bin zwar zur Seite ausgewichen und auf dem Bauch durch das Gras gekrochen, aber ich vermute, sie suchen oben immer noch den Hügel ab.« Er streckte eine Hand in meine Richtung aus, und ich nahm sie. Sie war kalt und feucht von seiner Kriechtour, aber ich war froh, ihn einfach nur berühren zu können, ihn hier zu haben.
»Gekrochen, wie? Und wie hattest du vor, wieder fortzukommen?«, fragte Dougal.
Ich konnte Jamies Achselzucken spüren. Er neigte den Kopf in Richtung meines Pferdes.
»Ich hatte gedacht, ich schieße im Galopp aus der Kirche und reite sie über den Haufen; von dem Pferd hätten sie ja nichts gewusst. Das hätte vielleicht so viel Verwirrung ausgelöst, dass Claire unbemerkt ins Freie schlüpfen könnte.«
Dougal prustete. »Aye, und dich hätten sie vom Pferd gepflückt wie einen reifen Apfel.«
»Es spielt so oder so kaum eine Rolle«, sagte Jamie trocken. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr alle unbemerkt davonkämt, egal, wie viel Lärm ich machen würde.«
Wie zur Bestätigung stöhnte Rupert an der Wand laut auf. Dougal und ich ließen uns sofort neben ihm auf die Knie sinken, langsamer gefolgt von Jamie.
Er war zwar noch nicht tot, aber gut ging es ihm auch nicht. Seine Hände waren kalt, und seine Atmung hatte einen keuchenden, pfeifenden Unterton.
»Dougal«, flüsterte er.
»Ich bin hier, Rupert. Sei still, Mann, es geht dir gleich besser.« Hastig zog sich der MacKenzie sein Plaid aus und faltete es zu einem Kopfkissen zusammen, das er Rupert unter Kopf und Schultern schob. Etwas angehoben, schien ihm das Atmen leichter zu fallen, aber als ich ihn unterhalb seines Bartes betastete, spürte ich nasse Flecken auf seinem Hemd. Doch ein Rest von Kraft war ihm geblieben; er streckte die Hand aus und fasste Dougals Arm.
»Wenn … sie uns sowieso finden … macht mir etwas Licht«, sagte er keuchend. »Ich möchte dein Gesicht noch einmal sehen, Dougal.«
Dicht neben Dougal spürte ich den Schreck, der ihn bei diesen Worten und dem, was sie andeuteten, durchlief. Sein Kopf wandte sich scharf in meine Richtung, doch natürlich konnte er mein Gesicht nicht sehen. Er murmelte einen Befehl hinter sich, und nach leisem Hin und Her schnitt jemand eine Handvoll Riet vom Dach, verdrehte es zu einer Fackel und zündete es mit einem Feuerstein an. Es brannte zwar schnell herunter, spendete mir aber genug Licht, um Rupert zu untersuchen, während die Männer einen langen Kienspan aus einer Holzsäule lösten, der als etwas dauerhaftere Fackel dienen konnte.
Er war weiß wie ein Fischbauch; sein Haar war vom Schweiß verklebt, und seine Unterlippe war mit Blut verschmiert. Sein glänzender schwarzer Bart war voller dunkler Flecken, doch er lächelte mir schwach zu, als ich mich über ihn beugte, um ihm noch einmal den Puls zu fühlen. Längst nicht mehr so kräftig und rasend schnell, und hin und wieder setzte er einen Schlag aus. Ich strich ihm das Haar aus dem Gesicht, und er berührte dankbar meine Hand.
Ich spürte Dougals Hand an meinem Ellbogen und setzte mich in die Hocke zurück, um ihn anzusehen. Schon einmal hatte ich mich ihm so gegenüber gesehen, über dem Körper eines Mannes, den ein wilder Eber tödlich verletzt hatte. »Kann er überleben?«, hatte er mich damals gefragt, und ich sah die Erinnerung an diesen Tag über sein Gesicht hinweghuschen. Wieder stand ihm dieselbe Frage in den Augen, doch diesmal waren sie glasig aus Angst vor meiner Antwort. Rupert war sein bester Freund, der Verwandte, der an seiner rechten Seite ritt und kämpfte, wie Ian es für Jamie tat.
Diesmal antwortete ich nicht; Rupert tat es für mich.
»Dougal«, sagte er und lächelte, als sich sein Freund bemüht über ihn beugte. Er schloss die Augen und holte tief Luft, um Kraft für den Moment zu sammeln.
»Dougal«, sagte er erneut und öffnete die Augen. »Du darfst nicht um mich trauern, Mann.«
Dougals Gesicht zuckte im Schein der Fackel. Ich konnte sehen, wie sich seine Lippen bewegten, um den Tod zu verleugnen, aber er schluckte die Worte herunter.
»Ich bin dein Anführer, Mann«, sagte er mit einem kleinen, bebenden Lächeln. »Du kannst mir gar nichts sagen; wenn ich es will, dann trauere ich um dich.« Er ergriff Ruperts Hand, die auf seiner Brust lag, und hielt sie fest.
Rupert stieß ein leises, keuchendes Glucksen aus, dann folgte ein neuer Hustenanfall.
»Nun, dann tu das, wenn du willst, Dougal«, sagte er, als er fertig war. »Und es freut mich. Aber du kannst mich erst betrauern, wenn ich tot bin, aye? Ich möchte lieber von deiner Hand sterben, mo charaid, als durch die Hand eines Fremden.«
Dougal fuhr zusammen, und Jamie und ich wechselten hinter seinem Rücken einen entsetzten Blick.
»Rupert …«, setzte Dougal hilflos an, doch Rupert unterbrach ihn, indem er seinerseits die Hand des Freundes nahm und sie sacht schüttelte.
»Du bist mein Anführer, Mann, und es ist deine Pflicht«, flüsterte er. »Komm schon, tu es jetzt. Das Sterben schmerzt mich, Dougal, lass es uns zu Ende bringen.« Sein Blick wanderte rastlos umher und heftete sich auf mich.
»Wirst du meine Hand halten, wenn ich gehe, Kleine?«, fragte er. »Das hätte ich so gern.«
Etwas anderes schien es nicht zu tun zu geben. Langsam, als sei das alles nur ein Traum, nahm ich die breite, schwarz behaarte Hand zwischen die meinen und drückte sie, als könnte ich meine Wärme in seine erkaltende Haut zwingen.
Grunzend drehte sich Rupert ein wenig zur Seite und blickte zu Jamie empor, der an seinem Kopf saß.
»Sie hätte mich heiraten sollen, Junge, als sie die Chance hatte«, keuchte er. »Du bist zwar nur ein armer Teufel, aber tu dein Bestes.« Er kniff ein Auge zu einem gewaltigen Zwinkern zu. »Gib ihr einen anständigen Kuss von mir, Junge.«
Der Blick der schwarzen Augen richtete sich wieder auf mich, und ein letztes Grinsen breitete sich über sein Gesicht.
»Leb wohl, mein hübsches Mädchen«, sagte er leise.
Dougals Dolch drang ihm unter das Brustbein, geradeaus und fest. Der kräftige Körper krampfte sich zusammen und drehte sich in einer hustenden Explosion aus Luft und Blut zur Seite, doch der kurze Schmerzenslaut kam von Dougal.