Also ging es nach Livingston, im Sattel der beiden traurigsten Klappergäule, die ich je gesehen hatte. Schließlich wurde ich aus der Aufsicht meines Begleiters entlassen, ohne dass mir das jedoch weitergeholfen hätte. Stattdessen fand ich mich in einem Zimmer im ersten Stock eines Hauses in Livingston wieder, wo ich die Geschichte erneut erzählte, diesmal einem gewissen Oberst Gordon MacLeish Campbell, einem Lowlandschotten, der eins der königstreuen Regimenter befehligte.
»Aye, ich verstehe«, sagte er in einem Tonfall, der nahelegte, dass er nicht das Geringste verstand. Er war ein schmächtiger Mann mit einem Fuchsgesicht und einer rötlichen Halbglatze, deren restliche Haare er sich aus den Schläfen gebürstet hatte. Er kniff die Augen noch weiter zusammen und betrachtete den zerknitterten Brief auf seinem Löschpapier.
»Hier steht«, sagte er und setzte sich eine Halbbrille auf die Nase, um das Blatt Papier genauer zu betrachten, »dass einer Eurer Häscher, Mistress, ein Schotte aus dem Fraser-Clan war, ein hochgewachsener Mann mit rotem Haar. Ist diese Information korrekt?«
»Ja«, sagte ich und fragte mich, worauf er hinauswollte.
Er neigte den Kopf, so dass ihm die Brille auf die Nasenspitze rutschte und er mich besser über die Ränder hinweg anstarren konnte.
»Die Männer, die Euch in Falkirk gerettet haben, schildern hier ihren Eindruck, dass einer Eurer Häscher niemand anders war als der berüchtigte Highlandfürst, der als der ›Rote Jamie‹ bekannt ist. Mir ist natürlich bewusst, Mrs. Beauchamp, dass Ihr während Eurer Gefangenschaft … sagen wir, verstört?«, er zog bei diesem Wort die Lippe hoch, doch es war kein Lächeln. »Und möglicherweise nicht zu genauen Beobachtungen imstande wart, doch ist Euch zu irgendeinem Zeitpunkt aufgefallen, ob die anderen Anwesenden diesen Mann mit Namen angesprochen haben?«
»Ja. Sie haben ihn Jamie genannt.« Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgendwie schaden konnte, wenn ich ihm das erzählte; die Flugblätter, die ich gesehen hatte, hatten ja keinen Zweifel daran gelassen, dass Jamie ein Anhänger der Stuarts war. Möglich, dass es die Engländer interessierte, ob Jamie an der Schlacht von Falkirk teilnahm, doch es konnte ihn kaum noch mehr belasten.
»Sie können mich schließlich nicht öfter als einmal hängen«, hatte er gesagt. Einmal war ja auch mehr als genug. Ich blickte zum Fenster. Es war vor einer halben Stunde dunkel geworden, und unten auf der Straße leuchteten Laternen in den Händen vorübergehender Soldaten. Jamie würde jetzt das Callendar House nach dem Fenster absuchen, an dem ich wartete.
Plötzlich erfüllte mich die absurde Gewissheit, dass er mir gefolgt war, dass er irgendwie gewusst hatte, wohin man mich brachte, und dass er unten auf der Straße darauf wartete, dass ich mich zeigte.
Ich erhob mich abrupt und ging zum Fenster. Die Straße war jetzt leer bis auf einen Mann, der eingelegte Heringe verkaufte. Er saß auf einem Schemel, hatte eine Laterne zu seinen Füßen stehen und wartete auf mögliche Käufer. Natürlich war es nicht Jamie. Er hatte keine Möglichkeit, mich zu finden. Niemand im Lager der Stuarts wusste, wo ich war; ich war völlig allein. In plötzlicher Panik presste ich die Hände fest gegen das Glas, ohne mich daran zu stören, dass ich es zerbrechen könnte.
»Mistress Beauchamp! Geht es Euch gut?« Die Stimme des Obersts in meinem Rücken klang beunruhigt.
Ich presste die Lippen fest aufeinander, um das Zittern abzustellen, und holte mehrmals tief Luft, so dass die Scheibe beschlug und die Straße dahinter im Nebel verschwand. Äußerlich ruhig, wandte ich mich wieder dem Oberst zu.
»Bestens«, sagte ich. »Wenn Ihr Eure Fragen gestellt habt, würde ich jetzt gern gehen.«
»Ach ja? Mmm.« Er betrachtete mich mit einem Hauch von Skepsis, dann schüttelte er entschlossen den Kopf.
»Ihr werdet hier übernachten«, verkündete er. »Morgen früh werde ich Euch nach Süden schicken.«
Ich spürte, wie mir der Schreck die Eingeweide zusammenballte. »Nach Süden? Warum denn das, zum Teufel?«, platzte ich heraus.
Seine Fuchspelzbrauen hoben sich erstaunt, und ihm klappte der Mund auf. Dann schüttelte er sich leicht und schloss ihn wieder. Seiner nächsten Worte entledigte er sich nur durch einen Schlitz.
»Ich habe den Befehl, jede Information bezüglich des kriminellen Highlanders namens Jamie Fraser weiterzugeben«, sagte er. »Beziehungsweise jede Person, die mit ihm in Verbindung steht.«
»Ich stehe aber nicht mit ihm in Verbindung!«, sagte ich. Es sei denn natürlich, man zählte eine Ehe mit.
Oberst Campbell beachtete mich nicht. Er wandte sich dem Schreibtisch zu und blätterte in einem Stapel Depeschen.
»Aye, da ist es ja. Hauptmann Mainwaring wird der Offizier sein, der Euch eskortiert. Er kommt Euch hier im Morgengrauen abholen.« Er läutete ein Silberglöckchen, das wie ein Kobold geformt war, und als sich die Tür öffnete, gab sie das fragende Gesicht seines persönlichen Burschen frei. »Garvie, Ihr bringt die Dame auf ihr Zimmer. Schließt die Tür ab.« Er drehte sich zu mir um und verbeugte sich oberflächlich. »Ich denke, wir werden uns nicht wiedersehen, Mrs. Beauchamp; ich wünsche Euch eine gute Nacht und gute Reise.« Und das war alles.
Eine gute Reise verlief in meinen Augen zügiger als Hauptmann Mainwarings schleichende Invasion. Der Hauptmann beaufsichtigte eine Kolonne von Vorratswagen auf dem Weg nach Lanark. Er hatte den Auftrag, nach ihrer Ablieferung mit dem Rest seiner Abteilung südwärts zu reiten und unterwegs eine Reihe unbedeutender Depeschen zu verteilen. Ich fiel anscheinend ebenfalls in die Kategorie der nicht besonders eiligen Nachrichten, denn wir waren inzwischen seit über einer Woche unterwegs, und nichts deutete darauf hin, dass unser Ziel in die Nähe rückte.
»Süden.« Ob das London bedeutete?, fragte ich mich zum tausendsten Mal. Hauptmann Mainwaring hatte mir mein endgültiges Ziel nicht genannt, doch eine andere Möglichkeit konnte ich mir nicht vorstellen.
Als ich den Kopf hob, ertappte ich einen der Dragoner gegenüber am Feuer dabei, dass er mich anstarrte. Ich starrte ausdruckslos zurück, bis er errötete und den Blick auf die Schale in seinen Händen senkte. Ich war an solche Blicke gewöhnt, obwohl sie meistens nicht ganz so unverblümt daherkamen.
Dieses Phänomen begleitete mich schon die ganze Zeit, angefangen mit einer gewissen reservierten Verlegenheit seitens des jungen Idioten, der mich nach Livingston gebracht hatte. Ich hatte einige Zeit benötigt, bis ich begriffen hatte, dass es nicht Argwohn war, der hinter der distanzierten Zurückhaltung der englischen Offiziere steckte, sondern eine Mischung aus Verachtung und Grauen, gepaart mit einer Spur von Mitleid und einem Gefühl offizieller Verantwortung, das verhinderte, dass sie ihre wahren Gefühle offen an den Tag legten.
Ich war nicht nur vor einer Bande wollüstiger schottischer Marodeure gerettet worden. Ich war aus der Gefangenschaft befreit worden, nachdem ich eine ganze Nacht in einem Raum mit einer Anzahl von Männern verbracht hatte, die, wie jeder rechtschaffene Engländer über jeden Zweifel erhaben wusste, kaum mehr waren als »Wilde Bestien, der Vergewaltigung und Räuberei schuldig und zahlloser anderer Schrecklicher Verbrechen«. Undenkbar daher auch, dass eine junge Engländerin eine Nacht in der Gesellschaft solcher Bestien verbracht hatte und unbehelligt geblieben war.
Die Tatsache, dass mich Jamie scheinbar ohnmächtig ins Freie getragen hatte, mochte die Dinge zwar anfangs erleichtert haben, dachte ich grimmig, doch sie hatte zweifellos das Ihre zu dem allgemeinen Eindruck beigetragen, dass er – und die gesammelten anderen Schotten – sich gewaltsam an mir vergangen hatten. Und dank des detaillierten Briefs, den der Hauptmann meiner ursprünglichen Retter verfasst hatte, wusste jeder, an den ich in der Folge weitergereicht worden war, davon – und vermutlich auch jeder, der wiederum mit diesen Männern in Berührung gekommen war. Da ich in Paris in die Lehre gegangen war, wusste ich genau, wie Gerede funktionierte.