»Tut mir leid, wenn ich Euch erschreckt habe«, sagte ich mit einem fröhlichen Lächeln. »Ich konnte nämlich nicht schlafen und dachte, ich versuche es mit etwas heißer Milch. Sagt mir, bin ich auf dem richtigen Weg in die Küche?«
»Häh?« Das Hausmädchen, eine rundliche junge Frau Anfang zwanzig, gaffte mich an und legte dabei einen bestürzenden Mangel an Zahnhygiene an den Tag. Glücklicherweise war es nicht die Magd, die mich auf mein Zimmer gebracht hatte; vielleicht begriff sie ja gar nicht, dass ich eine Gefangene war, kein Gast.
»Ich bin ein Gast des Hauses«, sagte ich, und getreu dem Prinzip, dass Angriff die beste Verteidigung ist, blickte ich sie vorwurfsvoll an.
»Albert, wie? Weiß Seine Durchlaucht eigentlich, dass Ihr nachts Männer in Eurem Zimmer empfangt?«, wollte ich wissen. Das schien einen Nerv zu treffen, denn die Frau erbleichte und fiel auf die Knie, wo sie sich an meinen Rock klammerte. Die Aussicht, bloßgestellt zu werden, erschreckte sie so sehr, dass sie gar nicht auf die Idee kam, sich zu fragen, warum ein Gast mitten in der Nacht durch die Korridore wandern sollte und dabei nicht nur Kleid und Schuhe, sondern auch einen Reiseumhang trug.
»Oh, Ma’am! Bitte sagt Seiner Durchlaucht nichts, ja? Ich kann sehen, dass Ihr ein gütiges Gesicht habt, Ma’am; Ihr wollt doch gewiss nicht, dass ich entlassen werde? Habt Mitleid mit mir, Mylady; ich habe noch sechs Geschwister daheim, und ich …«
»Aber, aber«, beruhigte ich sie und klopfte ihr auf die Schulter. »Macht Euch keine Sorge; ich erzähle dem Herzog nichts. Geht einfach wieder ins Bett, und …« In dem Ton, den man normalerweise bei Kindern und Geisteskranken benutzt, drängte ich sie unter ausführlichen Beschwichtigungen in ihr winziges Kämmerchen zurück.
Ich schloss die Tür hinter ihr und lehnte mich mit dem Rücken daran, um mich zu stützen. Jamies Gesicht tauchte grinsend vor mir im Schatten auf. Er sagte nichts, sondern tätschelte mir gratulierend den Kopf, ehe er meinen Arm nahm und mich weiter durch den Flur drängte.
Mary wartete unter dem Fenster auf dem Treppenabsatz, und ihr Nachtrock schimmerte weiß im Mondschein, der draußen vorübergehend zwischen den dahinjagenden Wolken aufleuchtete. Dem Aussehen nach zog ein Unwetter herauf, und ich fragte mich, ob uns das auf der Flucht behilflich oder hinderlich sein würde.
Mary klammerte sich an Jamies Plaid, als er den Treppenabsatz betrat.
»Schh!«, flüsterte sie. »Es kommt jemand!«
So war es; ich konnte leise Schritte von unten kommen hören, und der schwache Schein einer Kerze erhellte das Treppenhaus. Mary und ich sahen uns hektisch um, doch es gab nirgendwo eine Möglichkeit, sich zu verstecken. Dies war eine Hintertreppe, die für die Dienstboten gedacht war, und die Treppenabsätze waren hier weder mit Möbeln noch mit praktischen Wandbehängen geschmückt.
Jamie seufzte resigniert. Dann winkte er Mary und mich in den Flur zurück, aus dem wir gekommen waren, zog seinen Dolch und wartete, zum Sprung bereit, in der dunkelsten Ecke des Treppenabsatzes.
Marys Finger verschränkten sich mit den meinen und drückten vor quälender Anspannung fest zu. Jamie hatte zwar eine Pistole am Gürtel hängen, konnte sie aber natürlich im Haus nicht benutzen – und das würde jeder Bedienstete sofort begreifen, so dass sie als Drohmittel nicht in Frage kam. Es kam nur das Messer in Frage, und mein Magen erbebte vor Mitleid mit dem arglosen Dienstboten, der im Begriff war, einem nervösen Hundert-Kilo-Schotten und seinem drohenden schwarzen Stahl in den Weg zu treten.
Gerade betrachtete ich meine Kleidung und überlegte, dass ich wohl einen meiner Unterröcke entbehren könnte, um jemanden damit zu fesseln, als der gesenkte Kopf des Kerzenträgers in Sicht kam. Sein dunkles Haar war in der Mitte gescheitelt und mit einer süßlich stinkenden Pomade eingeschmiert, die sofort die Erinnerung an eine dunkle Gasse in Paris und die Rundung schmaler, grausamer Lippen unter einer Maske zurückholte.
Ich keuchte auf, als ich ihn erkannte, so dass Danton eine Stufe unterhalb des Treppenabsatzes abrupt den Kopf hob. Im nächsten Moment wurde er am Hals gepackt und mit solcher Gewalt an die Wand gedrückt, dass sein Kerzenhalter durch die Luft flog.
Mary hatte ihn ebenfalls gesehen.
»Das ist er!«, rief sie aus und vergaß vor Schreck sowohl zu flüstern als auch zu stottern. »Der Mann aus Paris!«
Jamie drückte den Kammerdiener, der sich schwach wehrte, mit dem muskulösen Unterarm auf der Brust flach an die Wand. Das Gesicht des Mannes, das im Licht der vorüberhuschenden Wolken auftauchte und wieder verschwand, war gespenstisch blass. Im nächsten Moment erbleichte es noch mehr, denn Jamie hielt Danton die Schneide seines Dolches an die Kehle.
Ich trat auf den Treppenabsatz hinaus, denn ich wusste weder, was Jamie tun würde, noch, was ich mir wünschte. Danton stieß ein ersticktes Stöhnen aus, als er mich sah, und versuchte vergeblich, sich zu bekreuzigen.
»La Dame Blanche!«, flüsterte er, und seine Augen weiteten sich entsetzt.
Mit plötzlicher Heftigkeit packte Jamie den Mann beim Haar und zerrte ihm den Kopf so weit zurück, dass er gegen die Holzvertäfelung schlug.
»Hätte ich Zeit, a thrustair, würdet Ihr langsam sterben«, flüsterte er, und die fehlende Lautstärke ließ seine Stimme nicht weniger überzeugend klingen. »Nennt es Gottes Gnade, dass ich keine habe.« Er riss Dantons Kopf noch weiter zurück, so dass ich seinen Adamsapfel hüpfen sehen konnte, als er krampfhaft schluckte, den Blick angstvoll auf mich geheftet.
»Ihr nennt sie ›Dame Blanche‹«, sagte Jamie mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich nenne sie meine Frau. So soll ihr Gesicht denn das Letzte sein, was Ihr seht.«
Das Messer fuhr dem Mann so heftig über die Kehle, dass Jamie vor Anstrengung grunzte und sich eine dunkle Flut von Blut über sein Hemd ergoss. Der Gestank des plötzlichen Todes erfüllte den Treppenabsatz, gemeinsam mit einem keuchenden Gurgeln von dem zusammengesunkenen Haufen auf dem Boden, das lange anzudauern schien.
Die Geräusche in meinem Rücken riefen mich schließlich zu mir: Mary übergab sich krampfhaft im Flur. Mein erster zusammenhängender Gedanke war, dass die Dienstboten am Morgen eine ziemliche Sauerei zu beseitigen haben würden. Mein zweiter galt Jamie, den ich im Aufblitzen des flüchtigen Mondes sah. Sein Gesicht war mit Blut bespritzt, sein Haar damit verklebt, und er atmete schwer. Er sah aus, als könnte auch er sich im nächsten Moment übergeben.
Ich wandte mich zu Mary um und sah weit hinter ihr im Flur, wie sich Licht in einem Türspalt zeigte. Es kam jemand, um nachzusehen, woher die Geräusche stammten. Ich packte den Saum ihres Morgenrocks, wischte ihr unsanft damit über den Mund und zog sie auf den Treppenabsatz zu.
»Los!«, sagte ich. »Verschwinden wir hier!« Jamie, der aus seiner benommenen Betrachtung der Leiche auffuhr, schüttelte sich plötzlich, und als auch er jetzt wieder zu sich kam, wandte er sich der Treppe zu.
Er schien zu wissen, wohin er ging, und führte uns ohne Zögern durch die dunklen Korridore. Mary stolperte neben mir her, und ihr keuchender Atem klang laut wie ein Motor in meinem Ohr.
An der Tür der Spülküche machte Jamie plötzlich halt und stieß einen leisen Pfiff aus. Dieser wurde auf der Stelle beantwortet, und die Tür schwang in ein finsteres Inneres auf, das von verschwommenen Umrissen bewohnt wurde. Einer davon löste sich aus der Schwärze und kam herbeigeeilt. Einige leise Worte wurden gewechselt, und der Mann – wer auch immer es war – streckte die Hand nach Mary aus und zog sie in den Schatten. Ein kalter Luftzug verriet mir, dass sich irgendwo vor uns eine offene Tür befand.
Jamies Hand auf meiner Schulter lenkte mich zwischen den Hindernissen der unbeleuchteten Spülküche und einer kleineren Kammer, in der anscheinend Gerümpel gelagert wurde, hindurch. Ich stieß mir das Schienbein, schluckte aber meinen Schmerzensruf hinunter.
Endlich draußen in der freien Nacht, packte der Wind meinen Umhang und blies ihn zu einem übermütigen Ballon auf. Nach dem nervenaufreibenden Weg durch das dunkle Haus fühlte ich mich, als könnte ich mich in den Himmel aufschwingen.